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Das Subjekt erreichte die Bodenebene, ging durch parallel geführte Bänder aus Licht und Schatten weiter bis zu dem Fabrikturm, in dem es seinen Arbeitstag verbrachte.

Marguerite sah weiter zu, ließ ihre Schreibtischarbeit liegen. Sie war keine Primärbeobachterin und es war auch nicht sehr wahrscheinlich, dass ihr irgendetwas Relevantes auffallen würde, das den fünf Kernkommissionen entgangen war. Ihre Aufgabe war es, deren Beobachtungen zusammenzufassen, nicht, eigene anzustellen. Aber das konnte noch warten, wenigstens bis nach dem Mittagessen. Die Abriegelung hatte zur Folge, dass ihre Berichte von den Außendienststellen ohnehin nicht gelesen werden konnten. Sie hatte Zeit zum Beobachten.

Zeit, wenn sie wollte, zum Träumen.

In der Kantine im Westflügel der Plaza nahm sie ein schnelles Mittagessen ein. Ray war nicht da, aber sie sah seine Assistentin Sue Sampel, die sich an der Kasse einen Kaffee holte. Marguerite war Sue erst ein- oder zweimal begegnet, dennoch tat sie ihr aufrichtig leid. Sie wusste, wie Ray seine Untergebenen behandelte. Schon in Crossbank hatten seine Mitarbeiter ständig gewechselt. Wahrscheinlich hatte auch Sue bereits ihre Versetzung beantragt. Oder würde es bald tun. Marguerite winkte ihr zu; Sue nickte zerstreut zurück.

Nach dem Mittagessen setzte Marguerite sich an ihren Papierkram. Sie prüfte einen besonders interessanten Bericht des Leiters eines Physiologie-Teams, der tausend Stunden Videomaterial durch einen Grafikprozessor geschickt, dazu die beweglichen Körperteile des Subjekts markiert und deren Bewegungen zum Wechsel von Tageszeiten und Situationen in Beziehung gesetzt hatte. Dieser Ansatz hatte eine überraschende Menge von harten Daten erbracht, die an alle anderen Abteilungen in Form eines Rundschreibens zur Kenntnisnahme verschickt werden mussten. Dieses Rundschreiben würde sie selbst erstellen müssen, mit Beiträgen von Bob Corso und Felix Kawakami von der Physiologie, sobald diese von ihrer Konferenz in Cancun zurückgekehrt waren … eine stichpunktartige Zusammenfassung, dachte sie sich, mit der Andeutung, dass noch mehr kommen würde, aber so knapp wie möglich, sodass die diversen Gruppenleiter sich nicht über die zusätzliche Informationslast beschweren konnten.

Sie behielt das Subjekt auf dem Wandbildschirm, sodass sie von Zeit zu Zeit von ihrer Arbeit aufblicken und ihm bei seiner zusehen konnte. Subjekt arbeitete in einer Einrichtung, die man mit einiger Sicherheit als Fabrik bezeichnen konnte. Es stand an einem Sockel in einem sehr großen umschlossenen Raum unter einem Punktstrahler, der seine Arbeitsstation beleuchtete. Auf diese Weise, über punktgenaue Lichtstrahlen, wurden Hunderte von gleichartigen Eingeborenen voneinander abgegrenzt, hinter ihm aufgereiht wie phosphorizierende Pfeiler in einer düsteren Höhle. Subjekt nahm Teile (bislang noch nicht näher identifizierte zylindrische Module) aus einem Behälter seitlich des Sockels und setzte sie in vorgestanzte Scheiben ein. Die Scheiben stiegen auf einer erhöhten Plattform aus einer Kammer in seinem Sockel auf und senkten sich wieder, sobald es den Zylinder eingesetzt hatte. Dieser Kreislauf wiederholte sich etwa alle zehn Minuten. Den Vorgang als monoton zu bezeichnen, dachte Marguerite, hieße, die Grenzen des Understatements zu strapazieren.

Aber etwas hatte ihre Aufmerksamkeit erregt.

Weil das Subjekt mehr oder weniger an einem Punkt verharrte, war die virtuelle Kamera herumgefahren, um ihn von vorn abzubilden. Sie konnte Subjekts Gesicht sehen, hart konturiert im Licht von oben. Sofern man es ein Gesicht nennen konnte. Es gab Leute, die es als »Schrecken erregend« bezeichneten, aber das war es natürlich nicht, sondern einfach nur äußerst fremdartig. Schockierend zunächst, weil man einige der Teile, aus denen es zusammengesetzt war, erkannte (die Augen zum Beispiel, die wie menschliche Augen in knochigen Höhlen saßen, allerdings durch und durch weiß waren), während andere Teile (die Versorgungsarme, der Kiefer) insektenartig oder auf sonstige Weise unvertraut anmuteten. Aber man lernte, solch erschreckende erste Eindrücke zu überwinden. Beunruhigender war die Unfähigkeit, über sie hinauszusehen, Bedeutung zu erkennen. Menschen waren darauf geeicht, menschliche Gefühle in menschlichen Gesichtern gespiegelt zu sehen, und mit einiger Übung und Erfahrung konnte ein Forscher lernen, den physiognomischen Ausdruck eines Affen oder eines Wolfes zu deuten. Aber Subjekts Gesicht entzog sich jeder Deutung.

Seine Hände allerdings …

Es waren Hände, beunruhigend menschenähnlich. Lange, gelenkige Finger, drei an der Zahl, und der »Daumen« ein starrer knochiger Auswuchs aus dem Gelenk. Aber alle diese Teile erschienen unmittelbar sinnvoll. Man konnte sich einen Greifvorgang mit diesen Händen vorstellen. Sie bewegten sich schnell und in vertrauter Weise.

Marguerite beobachtete sie bei der Arbeit.

Zitterten sie?

Marguerite hatte den Eindruck, dass die Hände des Subjekts zitterten.

Sie sandte eine rasche Notiz an das Physiologie-Team.

Ein Zittern von Subjekts Händen? Sah so aus (heute, 15:30 Uhr auf Direktleitung.) Haltet mich auf dem Laufenden. M.

Dann wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu. Es war irgendwie angenehm, auf ihre Tastatur einzutippen und dabei das Bild des Subjekts im Rücken zu haben. Als würden sie zusammenarbeiten. Als hätte sie Gesellschaft. Als hätte sie einen Freund.

Auf dem Heimweg holte sie Tess ab.

Es war ein Tag mit Sportunterricht, und an Tagen, wo sie Sport hatte, verließ Tess die Schule unweigerlich mit schief zugeknöpfter Bluse oder nicht zugebundenen Schuhen. Heute war keine Ausnahme. Aber Tess war sehr still, kroch angesichts der herbstlichen Kühle fast in den Sitz hinein, und Marguerite sagte nichts wegen ihrer Kleidung. »Alles in Ordnung?«

»Glaub schon«, sagte Tess.

»Nach allem, was ich höre, sind die Datenleitungen immer noch dicht. Kein Video heute Abend.«

»An Montagen gucken wir Sunshine City.«

»Ja, aber heute nicht, mein Schatz.«

»Ich habe noch ein Buch, das ich lesen kann«, bot Tess an.

»Das ist gut. Was liest du denn gerade?«

»Etwas über Astronomie.«

Zu Hause bereitete Marguerite das Abendessen, während Tess in ihrem Zimmer spielte. Es gab das gefrorene Hühnchenmenü aus dem Lebensmittelladen von Blind Lake. Langweilig, aber praktisch und noch im Rahmen von Marguerites recht begrenzten Kochkünsten. Das Huhn drehte sich gerade im Mikrodämpfer, als ihr Telefon summte.

Marguerite fischte das Gerät aus ihrer Hemdtasche.

»Mrs. Hauser?«

»Am Apparat.«

»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie zur Essenszeit störe. Hier ist Bertie Fleischer — Tessas Klassenlehrer.«

»Ja, richtig.« Marguerite überspielte das flaue Gefühl, das sie überkam. »Wir haben uns im September kennengelernt.«

»Ich wollte Sie fragen, ob es Ihnen möglich wäre, irgendwann diese Woche vorbeizuschauen, damit wir uns unterhalten können.«

»Gibt es ein Problem mit Tess?«

»Kein Problem im Grunde. Ich dachte nur, wir sollten uns mal austauschen. Nähere Einzelheiten vielleicht, wenn wir uns dann treffen.«

Marguerite verabredete einen Termin, dann steckte sie das Telefon in ihre Tasche zurück.

Bitte, dachte sie. Bitte, bitte, dass jetzt bloß das nicht wieder losgeht.

Sechs