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Chris zog Tess zurück in eine sitzende Haltung.

Sie saß wie katatonisch da, starre Arme, starrer Blick, kein Blinzeln.

»Tess«, sagte er. »Hör mir zu. Ich muss da helfen, aber ich möchte, dass du hierbleibst. Knöpf dir die Jacke zu, wenn dir kalt wird, wende dich an irgendeinen anderen Erwachsenen, wenn du Hilfe brauchst, ansonsten aber warte auf mich, okay?«

»Glaub schon.«

»Warte auf mich.«

»Auf dich warten«, sagte sie stumpf.

Es gefiel ihm nicht, wie sie sprach und sich verhielt, aber sie war nicht verletzt, und in dem brennenden Wrack waren vielleicht noch Überlebende. Er umarmte sie kurz, zur Beruhigung, wie er hoffte, und stürmte dann den Hang hinunter, riss Löcher in den vom Rodeln verdichteten und glitschig gewordenen Schnee.

Er erreichte das brennende Flugzeug zusammen mit drei anderen Erwachsenen, zwei Männern und einer Frau, vermutlich alles Eltern, die mit ihren Kindern Rodeln gegangen waren. Soweit es irgend ging, näherte er sich dem Feuer, dessen Hitze ihm in die Gesichtshaut biss und Schnee in der Luft verdampfen ließ. An einigen wässrigen Stellen glitzerte bereits das Pflaster hindurch. Von dem Transporter — dessen Dach abrasiert worden war — konnte er genug erkennen, um zu wissen, dass sich niemand darin befunden hatte. Anders sah es in dem kleinen Flugzeug aus. Hinter seinem heftig kochenden Motor drängte eine zappelnde menschliche Gestalt gegen das beschlagene Glas der Cockpittür.

Chris schälte sich aus seiner Stoffjacke und wickelte sie um seine rechte Hand.

Später sollte Marguerite zu ihm sagen, er habe »heroisch« gehandelt. Möglich. Es kam ihm nicht so vor. Vielmehr empfand er es als das, was zu tun einfach nahegelegen hatte. Er hätte es vielleicht nicht versucht, wenn das Feuer nicht relativ eingegrenzt, wenn mehr Benzin im Flugzeug gewesen wäre. Allerdings konnte er sich nicht erinnern, irgendwelche Risikoabschätzungen durchgeführt zu haben. Er hatte nur gesehen, was zu tun war. Er fühlte die Hitze auf seinem Gesicht, das Prickeln der Haut, von hinten kalte Luft, die auf die Flammen zuwehte. Die im eingedrückten Cockpit undeutlich zu erkennende Gestalt zuckte ein paarmal, dann rührte sie sich nicht mehr. Die Tür fühlte sich selbst durch die Stoffschichten seiner Jacke noch heiß an. Sie stand einen Spalt offen, klemmte aber im Rahmen fest. Chris zog vergeblich daran herum, trat ein paar Schritte zurück, um zwischendurch etwas kühlere Luft zu atmen, dann trat er wuchtig gegen das zusammengedrückte Aluminium. Ein-, zwei-, dreimal, bis es weit genug durchgebogen war, dass er die Tür mit seiner inzwischen glimmenden Jacke richtig zu fassen bekam und nun mit vollem Krafteinsatz ziehen konnte.

Der Pilot kippte wie ein Fleischsack auf den feuchten Boden. Sein Gesicht war haarlos und geschwärzt, an manchen Stellen nur noch eine schockierend rote, verkohlte Masse. Er trug eine Fliegerbrille, eins der Gläser fehlte, das andere war kraqueliert. Aber er atmete noch. Seine Brust hob und senkte sich in wogenden Wellen.

Die Männer hinter ihm kamen herbeigeeilt, um den Piloten von dem Wrack wegzuziehen. Chris verharrte, ohne dass er recht wusste, warum. War da noch mehr, was er zu tun hatte? Von der Hitze war ihm schwindlig geworden. Er fühlte eine Hand auf seiner Schulter, fühlte, wie auch er aus dem Bereich der Flammen gezerrt wurde. Nur ein paar Schritte weiter schien die Luft schon dramatisch kälter, viel kälter als vorher auf dem Rodelberg. Wankend stolperte er noch ein Stück weiter, setzte sich dann auf die Motorhaube eines unbeschädigt gebliebenen Autos und ließ den Kopf hängen. Jemand brachte ihm eine Flasche Wasser. Er leerte sie fast in einem Zug, obwohl ihm davon noch mehr übel wurde. Er hörte die heulende Sirene eines Rettungswagens auf der Straße nach Blind Lake.

Tess, dachte er. Tess auf dem Hügel.

Wie viel Zeit war vergangen? Er blickte zum Hang, hielt Ausschau nach ihr. Inzwischen waren alle heruntergekommen, hatten sich auf dem Parkplatz versammelt, in sicherer Entfernung von dem brennenden Flugzeug, alle außer Tess. Er hatte ihr gesagt, sie solle bleiben, wo sie war, und sie hatte das wörtlich genommen. Er rief nach ihr, aber sie war zu weit weg, um ihn zu hören.

Erschöpft stieg er wieder nach oben. Tess stand regungslos da, starrte auf die Trümmer. Sie zeigte keine Reaktion, als er sie ansprach. Nicht gut — offenbar stand sie unter Schock.

Chris kniete sich vor ihr hin, hielt sein Gesicht in ihre Blicklinie und legte seine Hände auf ihre kleinen Schultern. »Tess«, sagte er. »Tess, alles in Ordnung?«

Sie antwortete nicht, nach einer Weile aber begann sie zu zittern. Ihr Körper bebte. Blinzelnd öffnete sie den Mund, doch es kam kein Ton heraus.

»Wir müssen dich ins Warme bringen«, sagte er.

Sie lehnte sich gegen ihn und begann zu weinen.

Marguerite verlor Charlie im lärmenden Chaos des Kontrollraums aus den Augen.

Für einen Sekundenbruchteil herrschte vollständige Dunkelheit — ein totaler Stromausfall. Dann gingen die Lichter flackernd wieder an und der Raum war von Stimmen erfüllt. Marguerite verdrückte sich in eine freie Ecke, um nicht im Weg zu stehen. Sie konnte nichts Hilfreiches tun und war verständig genug, sich nicht einzumischen.

Etwas Schlimmes war passiert, etwas, das sie nicht verstand, etwas, das die Ingenieure zu hektischer Aktivität veranlasste. Sie konzentrierte sich auf den großen Wandbildschirm, die Direktübertragung aus dem Auge, erschreckenderweise noch immer ohne Bild. Es konnte jederzeit zu Ende gehen.

Ihr Telefon klingelte. Sie achtete nicht darauf. Jetzt tauchte Charlie wieder auf und sie beobachtete ihn, wie er durch den Raum kreiste, die verschiedenen Tätigkeiten koordinierte. Da sie hilflos war — oder jedenfalls nicht in der Lage zu helfen —, entwickelte sie ein Vorgefühl des Verlustes. Verlust der Kommunikation, Verlust der Orientierung, Verlust des Sehens, Verlust des Subjekts, mit dem sie sich quer durch die Wüste bis ins Herz eines Sandsturms gekämpft hatte. Von Zeit zu Zeit explodierten stochastische Farbkaskaden auf dem Bildschirm. Marguerite starrte angestrengt hin, versuchte vergeblich ein Bild auszumachen. Kein Signal, nur Rauschen, nichts als Rauschen.

Ein paar grüne Lichter mehr, hörte sie jemanden sagen. War das gut? Anscheinend. Da kam Charlie, und er lächelte zwar nicht, aber sein Gesichtausdruck war nicht mehr ganz so ernst wie vorher — wann war das gewesen, vor einer Stunde?

»Wir kriegen wieder ein bisschen was zu fassen«, sagte er.

»Ein Bild?«

»Vielleicht.«

»Sind wir noch immer auf dem Subjekt drauf?«

»Warten Sie's einfach ab, Marguerite.«

Sie wandte sich wieder dem Bildschirm zu, auf dem neues Licht zu erscheinen begann. Winzige digitale Mosaike, zusammengesetzt in den unergründlichen Tiefen der O/BEK-Zylinder. Weiß ging in ein gelbliches Braun über. Die Wüste! Wir sind wieder da, dachte Marguerite und ein Schauer der Erleichterung lief ihr über den Rücken — aber wo war das Subjekt und was war das da für eine gestaltlose Leere?

»Sand«, murmelte sie. Feine Silikatkörner, vom Wind unbehelligt. Der Sturm hatte sich offenbar ausgetobt. Aber der Sand war nicht bewegungslos. Der Sand warf Hügel auf und rutschte in diese oder jene Richtung.

Subjekt wälzte sich unter einem schweren Umhang aus Sand hervor. Es war vom Wind eingeweht und begraben worden, lebte aber noch. Mithilfe seiner Werkzeugarme erhob es sich, stand dann, noch etwas unsicher, im frappierenden Sonnenlicht. Die virtuelle Kamera erhob sich mit ihm. Hinter ihm sah Marguerite den Sandsturm, der zum Horizont weitergewandert war, schwarze Wirbel hinter sich herziehend wie einen üppigen Pferdeschwanz.