Ich muss ihn zum Flugzeug bringen. Hier draußen kann ich nichts für ihn tun.
So rasch er konnte, legte Rodriguez das Klettergeschirr ab, dann hob er den bewusstlosen Fuchida behutsam hoch und kämpfte sich auf die Beine. Gut, dass wir auf dem Mars sind. Bei normaler Erdschwerkraft könnte ich ihn in seinem Anzug unmöglich hochheben. Und wo, zum Teufel, ist jetzt das Flugzeug?
In der Ferne sah er eine weitere Geo/Met-Bake, die sie aufgestellt hatten. Mit seinem Kameraden auf den Armen ging er in diese Richtung.
Für dich konnte ich das nicht tun, Luis, sagte Rodriguez stumm. Ich wünschte, ich hätte es gekonnt, aber mehr als das kann ich nicht tun.
MITTERNACHT: SOL 49/50
In der Basiskuppel war es dunkel und still. Die Beleuchtung war auf Schlafenszeitniveau heruntergedimmt, und die Kunststoffhaut war opak, damit keine Wärme in die Marsnacht entwich. Stacy Deschurowa, die noch immer an der Kommunikationskonsole saß, döste ungewollt vor sich hin, als Rodriguez' Anruf kam.
»Wir sind wieder im Flugzeug«, erklärte der Astronaut ohne Einleitung. »Ich möchte mit Vijay sprechen.«
»Vijay!«, rief Stacy mit einer Stimme, die die schläfrige Stille zerbrach. »Jamie!«, setzte sie hinzu.
Eilige Schritte nackter oder bestrumpfter Füße tappten im Halbdunkel über den Kunststoffboden. Vijay glitt auf den Stuhl neben Deschurowa. Ihre pechschwarzen Augen waren weit offen und wach. Jamie und Trudy kamen mit trüben Augen hereingelaufen und blieben hinter den beiden Frauen stehen.
»Hier ist Vijay«, sagte sie. »Wie geht es euch?«
Auf dem Bildschirm konnten sie nur die Helme und Schultern der beiden Männer sehen. Ihre Gesichter waren hinter den stark getönten Sichtscheiben verborgen. Aber Rodriguez' Stimme klang ruhig und fest.
»Mit mir ist alles in Ordnung. Bin ein bisschen durch den Wind, aber das ist nichts weiter. Ich habe Mitsuos Anzug gereinigt und ihn an die Luft-Notversorgung des Flugzeugs angeschlossen. Aber er ist immer noch nicht bei sich.«
»Wie lange ist das her?«, fragte Vijay. Ihr dunkles Gesicht war starr vor Anspannung.
»Fünfzehn, sechzehn Minuten.«
»Und da meldest du dich jetzt erst?«, rief Deschurowa.
»Ich musste seinen Batteriensatz reparieren«, antwortete Rodriguez, ohne sich von ihrem Ton aus der Ruhe bringen zu lassen. »Die Anschlüsse hatten sich gelöst, als er zu Boden geschleudert wurde …«
»Zu Boden geschleudert?«, entfuhr es Jamie.
»Ja. Dabei hat er sich den Knöchel verletzt.«
»Wie schlimm ist die Verletzung?«, fragte Vijay.
»Der Knöchel ist zumindest verstaucht. Vielleicht auch gebrochen.«
»Im Anzug kann man sich gar nichts brechen«, murmelte Jamie. »Nicht bei all den Schutzvorkehrungen.«
»Jedenfalls bekam sein Raumanzug keinen Strom mehr«, fuhr Rodriguez fort. »Ich fand, seine Stromversorgung zu reparieren, war das Zweitwichtigste, was ich zu tun hatte. Frische Luft in ihn reinzupumpen war das Wichtigste.«
»Und anzurufen das Drittwichtigste«, ergänzte Deschurowa viel sanfter.
»Genau«, sagte Rodriguez.
»Ich kriege seine Daten«, sagte Vijay, den Blick auf den medizinischen Diagnoseschirm gerichtet.
»Ja, sein Anzug ist jetzt okay. Die Batterien sind wieder angeschlossen.«
»Funktioniert sein Kühlsystem?«, fragte Vijay.
»Müsste eigentlich«, sagte Rodriguez. »'blick mal …«
Sie sahen, wie der Astronaut sich vorbeugte und seinen Helm an die Schulter des ohnmächtigen Fuchida legte.
»Jawoll«, verkündete er gleich darauf. »Ich höre die Pumpe tuckern. Das Wasser müsste jetzt wieder durch seine Unterwäsche zirkulieren.«
»Das sollte seine Temperatur senken«, sagte Vijay leise, halb zu sich selbst. »Das Problem ist, er könnte einen Schock von der Überhitzung haben.«
»Was kann ich tun?«, fragte Rodriguez.
Die Ärztin schüttelte den Kopf. »Nicht viel, Kamerad. Schon gar nicht, wenn ihr beide in eure Anzüge eingeschlossen seid.«
Für einen langen Moment schwiegen sie alle. Vijay starrte auf den medizinischen Monitor. Fuchidas Temperatur sank allmählich. Sein Puls wurde langsamer. Die Atmung war fast schon wieder normal. Eigentlich müsste er …
Der Biologe hustete und bewegte sich. »Was ist passiert?«, fragte er matt.
Alle vier im Kommunikationszentrum begannen zu grinsen. Keiner von ihnen konnte Rodriguez' Gesicht hinter seiner Sichtscheibe sehen, aber sie hörten die Erleichterung in seinem Ton: »Nee, Mitsuo; die Frage heißt: ›Wo bin ich?‹«
Der Biologe setzte sich aufrechter hin. »Ist Trudy da?«
»Mach dir keine …«
»Ich bin hier, Mitsuo«, sagte Trudy Hall und beugte sich zwischen Deschurowa und Vijay durch. »Was gibt's?«
»Siderophile Organismen!«, rief Fuchida aufgeregt. »In der Caldera leben eisenfressende Bakterien.«
»Hast du Proben genommen?«
»Ja, natürlich.«
Jamie trat zurück, als die beiden Biologen miteinander plauderten. Fuchida wäre um ein Haar ums Leben gekommen, aber wichtig ist ihm nur, dass er einen neuen Organismus gefunden hat. Vielleicht hat er Recht, gestand Jamie sich insgeheim lächelnd ein.
BALLONS
Bevor die Forscher auf dem Mars landeten, zu einem Zeitpunkt, als sie noch im Orbit waren und mit großen Augen auf die rostige, abgenutzte Unermesslichkeit des Roten Planeten hinabschauten, setzten sie die Ballons aus.
Ihr Versorgungsfahrzeug, das ebenfalls um den Mars kreiste, warf sechs weinkistengroße Kapseln ab und zündete dann deren Bremsraketen. Sie tauchten flammend in die dünne Marsatmosphäre ein, wo sie jeweils ein Dutzend Ballons freisetzten. Die Ballons waren grandios simpel, kaum mehr als lange, schmale Schläuche aus außerordentlich dünnem, aber zähem Mylar, die sich automatisch mit Wasserstoffgas aufbliesen, als sie die richtige Höhe erreichten, und dann wie phantastische, riesige weiße Zigaretten über der Landschaft schwebten.
Unter jedem langen, schmalen Ballon baumelte eine ›Schlange‹, eine biegsame, dünne Metallröhre, die Sensoren, ein Funkgerät, Batterien und eine Heizung zum Schutz gegen das eisige Wetter enthielt.
Tagsüber trieben die Ballons hoch oben in der Marsatmosphäre und prüften die Temperatur (niedrig), den Druck (niedriger), die Feuchtigkeit (noch niedriger) und die chemische Zusammensetzung der Luft. Die Höhe, in der jeder einzelne Ballon schwebte, wurde von der Menge des Wasserstoffs in seinem schlanken, zigarettenförmigen Rumpf bestimmt. Die Tageswinde trugen sie wie Löwenzahnfederkronen über die rote Landschaft.
Nachts, wenn die Temperaturen in solche Tiefen stürzten, dass selbst der Wasserstoff in den Ballons zu kondensieren begann, sanken sie alle wie ein Chor von Ballerinas, die müde die Köpfe hängen ließen, zur Oberfläche hinunter. Oftmals berührten die Instrumenten-›Schlangen‹ tatsächlich den Boden und übertrugen pflichtgetreu Daten über die nächtlichen Bedingungen an der Oberfläche, während die Ballons in den dunklen Winden tanzten; sie hatten gerade so viel Auftrieb, dass sie ungefährdet über dem mit Geröll übersäten Boden schwebten.
Ähnliche Ballons waren bei der ersten Marsexpedition mit großem Erfolg eingesetzt worden, obwohl viele von ihnen irgendwann an Bergflanken hängen blieben oder aus unbekannten Gründen verschwanden. Die meisten trieben jedoch wochenlang anmutig über das Antlitz des Mars, sanken jede Nacht langsam hinab und stiegen wieder hoch, wenn das morgendliche Sonnenlicht ihre wasserstoffgefüllten Hüllen erwärmte, flogen still und mühelos dahin, lebten mit dem marsianischen Tag- und-Nacht-Zyklus und erstatteten brav Bericht über die Umweltbedingungen, die von einem Pol zum anderen herrschten.