»Ja, und ich bin auch schon mal von 'ner brennenden Bohrinsel in den Golf von Mexiko gesprungen. Heißt aber nich, dass ich das noch mal machen möchte.«
Trumballs Reaktion bestand darin, dass er noch fester aufs Gaspedal trat. Craig sah zu, wie der Tachometer über die Einunddreißig-Stundenkilometer-Marke hinauskroch. Mit einem grimmigen Lächeln erinnerte er sich an die Maxime eines alten Preisboxers: Du kannst weglaufen, aber verstecken kannst du dich nicht.
TARAWA
Pete Connors hatte gerade dienstfrei und räkelte sich genussvoll am Strand vor dem zweistöckigen Haus, in dem er wohnte, als der Anruf kam. Als Chef des Kontrollzentrums der Marsexpedition hatte Connors immer und überall ein Handy dabei, auch wenn man sich auf den kleinen Inselchen des Atolls ohnehin nicht sehr weit vom Kontrollzentrum entfernen konnte. Er lag bequem auf einer alten Decke, hatte die Fersen in den weichen, weißen Sand gestemmt und lauschte dem Rhythmus der Brandung, die gegen das Riff schlug, als das kleine Telefon piepste. Selbst in der Plastikhülle für den Strand gelang es dem Ding, dringlich zu klingen.
Mit einem genervten Seufzer setzte Connors sich auf und tastete in der Tasche nach dem Telefon. Er hatte die Video-Erweiterung auch dabei, beschloss jedoch, sich nicht damit abzuplagen, außer wenn er sich irgendwelche Daten ansehen musste.
»Connors«, sagte er kurz, während eine Möwe auf der Suche nach Resten herabstieß und im Tiefflug über den Strand hinwegschoss.
»Hier ist Dr. Li Chengdu«, ertönte die Stimme des chinesischen Akademikers so klar und deutlich, als wäre er hier bei ihm auf der Insel.
»Dr. Li! Wie geht es Ihnen?« Conners setzte sich aufrechter hin.
»Mein Gesundheitszustand ist ausgezeichnet. Und Ihnen?«
»Könnte nicht besser sein«, sagte Connors rituell. In Wahrheit bekam er seit der Landung der Forscher auf dem Mars nicht mehr genug Schlaf und war deshalb häufig schlecht gelaunt.
»Ich möchte Sie über ein mögliches Problem in Kenntnis setzen«, sagte Lis Stimme ausdruckslos und ruhig, ohne jede Emotion.
»Ein Problem?«
»Vielleicht bin ich übermäßig pessimistisch, aber Sie waren besser mit Waterman befreundet als ich, und …«
»Ein Problem mit Jamie?« Connors war verblüfft.
»Nicht mit ihm. Für ihn.«
»Was soll das heißen?«
Li zögerte nur einen Herzschlag lang. »Wie Sie wissen, bin ich im Beirat des Ausschusses des Internationalen Universitätskonsortiums für die Marsexpedition.«
»Des IUK, ja.«
»Ich habe gerade einen Anruf der Ausschussvorsitzenden bekommen, Professor Quentin aus Cambridge.«
»Ich weiß, wer sie ist«, sagte Connors, der sich fragte, wann Li zum Punkt kommen würde.
»Sie wiederum war zuvor von Mr. Trumball angerufen worden.«
Oh, oh, dachte Connors. Der Geldmann ist sauer über irgendwas.
»Mr. Trumball schlägt vor«, fuhr Li fort, »Waterman als Missionsleiter abzulösen.«
»Ihn abzulösen?«, fuhr Connors auf. »Das ist doch Schwach … äh … Unsinn.«
»Trumball ist leider sehr hartnäckig.«
»Wie, zum Teufel, können die Jamie ablösen, solange das Team auf dem Mars ist?«
Diesmal zögerte Li merklicher. »Die Angelegenheit könnte natürlich Auswirkungen auf die Finanzierung der nächsten Expedition haben.«
»Worüber ist Trumball denn so sauer, verdammt noch mal?«, fragte Connors. Er vergaß seinen üblichen Respekt für den Mann, der Missionsleiter der ersten Expedition gewesen war.
»Das ist mir nicht vollständig klar.«
»Was können wir dann dagegen unternehmen?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich dachte allerdings, da Sie Watermans Freund sind, würden Sie ihn vielleicht gern über diese Situation unterrichten. Ihn vorbereiten, sozusagen.«
»Ihm die schlechten Neuigkeiten beibringen, meinen Sie.«
»Nein, nein! Seine Ablösung steht noch nicht fest. Ich glaube sogar, dass der größte Teil des IUK-Ausschusses dafür ist, ihn weiterhin mit der Leitung zu betrauen. Ich dachte einfach, er sollte wissen, was hier vorgeht.«
Connors nickte. »In Ordnung. Ich verstehe.«
»Danke«, sagte Li. Dann war die Leitung tot.
Connors saß lange Zeit im Sand und dachte nach. Der Ausschuss mag Jamie behalten wollen, aber wenn der alte Trumball genug Terror macht, werden sie Jamie fallen lassen, nur um den Mistkerl bei Laune zu halten. Wenn es auf eine Entscheidung zwischen Jamie und dem Geld für die nächste Expedition hinausläuft, werden sie sich für das Geld entscheiden. Das müssen sie auch.
NACHMITTAG: SOL 50
Jamie stieg in seinen Raumanzug und ging hinaus, um die Rückkehr des Raketenflugzeugs zu beobachten. Keine Probleme mit dem Wetter, dachte er. Trotz des Staubsturms, der sich über die südliche Hemisphäre ausbreitete, war der Himmel hier sauber und hell, vielleicht eine Nuance dunkler als das übliche Orangebraun, aber klar und völlig wolkenlos. Nicht einmal ein klitzekleines Zirruswölkchen verschandelte das sanfte, lohfarbene Gewölbe über ihnen.
Ich sollte in der Kuppel sein und die Daten der Baken analysieren, die Dex und Possum unterwegs aufstellen, sagte er sich. Oder die stratigraphische Untersuchung des Gebiets um die Basis herum abschließen. Die Untersuchung, die Dex eigentlich durchführen sollte.
Aus ihren geologischen Daten waren größere Ungereimtheiten erwachsen, ein Problem, das die Planetenwissenschaftler auf der Erde in zunehmendem Maße beunruhigte und verärgerte. Sie waren sich alle einig, dass der Mars irgendwann einmal wärmer und feuchter gewesen war als heute. Früher hatte ein Meer oder zumindest ein ausgedehnter, flacher See einen großen Teil der nördlichen Halbkugel umgeben. Aber das war mehrere hundert Millionen oder vielleicht sogar Milliarden Jahre her.
Die Daten, welche die Forscher zutage förderten, trübten dieses Bild allerdings. Die Geo/Met-Baken, die von den Bohrern heraufgeholten Kernproben, die Daten aus den dahintreibenden Ballons, alle deuteten sie darauf hin, dass der Mars heutzutage unter seiner öden Sandoberfläche wärmer war, als man geglaubt hatte. Aus dem Innern des Planeten kam mehr Wärme herauf, als von den Geologen erwartet. Erheblich mehr. Der Mars war noch vor weniger als hundert Millionen Jahren warm gewesen, nach geologischen Begriffen also noch vor relativ kurzer Zeit. Wenn ihren Daten Glauben zu schenken war, hatte das ausgedehnte, flache Meer hier viel länger existiert, als es jemand für möglich gehalten hätte.
Wissenschaftler ändern ihre Meinungen auch nicht lieber als Theologen oder Lastwagenfahrer, aber wenn die Fakten ihren Überzeugungen widersprechen, können sie sich nicht vor den Fakten verstecken oder sie bequem ignorieren. Die Fakten schienen zu besagen, dass der Mars wärmer und feuchter gewesen war, und zwar länger, als sie es für möglich gehalten hatten. Viel länger. Es ergab keinen Sinn. Es widersprach ihren sorgfältig zurechtgezimmerten Theorien über die Vergangenheit des Roten Planeten. Dennoch deuteten die Daten vom Mars genau darauf hin.
Wenn Zweifel bestehen, wenn die Daten und die Theorien nicht übereinstimmen, dann suche man nach weiteren Daten. Die Planetenwissenschaftler auf der Erde deckten die Forscher mit Bitten um weitere Daten, weitere Fakten, weitere Informationen über die Geschichte des Mars ein. Bevor sie auch nur erwogen, ihre geliebten Theorien über den Roten Planeten ad acta zu legen, wollten, brauchten, verlangten sie weitere Daten.
Jamie wusste, dass er alle Anstrengungen unternehmen sollte, die Wünsche von der Erde zu erfüllen. Die Unstimmigkeiten im geologischen Bild störten ihn ebenso sehr wie die Wissenschaftler daheim auf der blauen Welt. Dennoch stand er nun untätig draußen vor der Kuppel und guckte angestrengt in die Luft, um einen ersten Blick von dem zurückkehrenden Raketenflugzeug zu erhaschen. Und dachte an die Felsenbehausung. Ich kann nicht zum Canyon aufbrechen, solange Dex und Possum nicht zurück sind, sagte er sich. Ich kann mich nicht einfach meinen Pflichten hier entziehen und mich Hals über Kopf auf eine Suche begeben, die nicht einmal im Missionsplan steht.