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Aber er spürte den Lockruf jener Nische hoch oben in der Wand des Canyons. Ihm war, als würden seine Ahnen ihn rufen. Wie damals, als sein Großvater ihn zum ersten Mal in das verlassene Dorf der Alten auf der Mesa Verde mitgenommen hatte.

»Deine Vorfahren haben ihre Häuser hier vor langer Zeit errichtet, Jamie«, hatte Großvater Al gesagt.

»Das waren nicht unsere Vorfahren«, hatte Jamie mit all der rechtschaffenen Selbstsicherheit eines Zwölfjährigen erwidert. »Wir sind Navajos, das waren Anasazi.«

»Aber natürlich waren sie unsere Vorfahren«, hatte Al mit Nachdruck behauptet. »Anasazi heißt ›die Alten‹.«

Der junge Jamie hatte störrisch den Kopf geschüttelt. »Unser Volk ist erst hergekommen, als sie schon weg waren, Grandpa. Das hab ich in einem der Bücher gelesen, die du mir gegeben hast.«

Al hatte nur leise gelacht. »Ach, Bücherschreiber. Was wissen die schon?«

Vielleicht hat Al Recht, dachte Jamie. Vielleicht sind wir doch miteinander verwandt, wir alle, sogar hier auf dem Mars.

Dann lenkte eine rasche Bewegung am dunkler werdenden Himmel seine Aufmerksamkeit auf sich. Ein kurzes Aufblitzen, das war alles. Jamie suchte das kupferne Gewölbe über sich ab, sah jedoch nichts.

Ein weiteres Aufblitzen, und diesmal hielten seine Augen es fest. Das Flugzeug nahm Gestalt an, während es träge hoch droben am Himmel kreiste. Jamie wandte den Blick nicht davon ab, um es nicht wieder aus den Augen zu verlieren. Automatisch schaltete er sich übers Tastenfeld an seinem Handgelenk auf die Kommunikationsfrequenz.

»Setzen zum Landeanflug an«, sagte Rodriguez' Stimme ruhig und professionell.

»Landeanflug, verstanden«, sagte Stacy Deschurowa genauso ausdruckslos und geschäftsmäßig.

Jamie hörte zu und beobachtete, wie das Flugzeug hoch oben am karamellfarbenen Himmel größer wurde, und ganz tief drinnen durchlief ihn ein freudiger Schauer über das Wunder, dass er hier auf dem Mars stand, während zwei Forscher nach einem Ausflug zum höchsten Berg im Sonnensystem zu ihrer Basis zurückkehrten.

Rodriguez bestand darauf, dass sie sich alle von ihnen fern hielten, als er und Fuchida aus ihren Anzügen stiegen.

»Ich will keine Stinkwitze hören«, erklärte der Astronaut mit Nachdruck.

Jamie hatte ihnen erlaubt, direkt in die Kuppel zu gehen, ohne das Flugzeug zu entladen. Der Biologe stützte sich schwer auf Rodriguez und benutzte ihn als Krücke. Stacy Deschurowa kam heraus und half Jamie, Fuchidas Probenbehälter in die Luftschleuse der Kuppel zu tragen, während die beiden Männer ihre Raumanzüge ablegten und schnurstracks unter die Dusche gingen. Erst danach durfte Vijay Fuchidas Knöchel untersuchen.

Zuallererst einmal zurrten Jamie und Deschurowa das Flugzeug ordentlich fest. Obwohl die Marsatmosphäre so dünn war, dass nicht einmal eine steife Brise das hauchzarte Segelflugzeug hochheben würde, gingen sie angesichts eines Mammut-Staubsturms, der mit jedem Tag größer wurde, kein Risiko ein und sorgten dafür, dass das Flugzeug gut vertäut war.

Nachdem sie Fuchidas Probenbehälter zur Luftschleuse der Kuppel getragen hatten, sagte Stacy: »Ich sollte das Flugzeug überprüfen und mich vergewissern, dass alle Systeme ordnungsgemäß abgeschaltet sind.«

»Okay«, sagte Jamie. »Ich bringe Mitsuos Behälter rein.«

Gleich hinter der Luke der Luftschleuse wartete Trudy Hall begierig auf Fuchidas Proben. Sie eilte mit ihnen ins Biologielabor, während Jamie sich daranmachte, seinen Raumanzug abzulegen.

Vijay kam zu den Spinden, als Jamie gerade den Helm abnahm.

»Was ist mit Mitsuos Knöchel?«, fragte er.

»Böse verstaucht, aber kein Bruch, nicht mal ein Haarriss.«

»Gut«, sagte Jamie und zog seine Handschuhe aus.

Sie sah ihm einen Moment lang schweigend zu, dann verzogen sich ihre Lippen zu einem neckischen kleinen Lächeln. »Brauchst du Hilfe beim Ausziehen?«, fragte sie.

Jamie merkte, wie er die Stirn runzelte. Sie hatte eine Art, ihn in Verlegenheit zu bringen, die ihn … nun ja, verlegen machte.

»Ich falle schon nicht über dich her, Jamie«, sagte sie leise, während sie ihm half, das feste Oberteil des Anzugs über den Kopf zu heben.

»Schade«, hörte er sich murmeln.

»Du entwickelst ja tatsächlich Humor!«

»With a little help from my friends.«

»Dann besteht noch Hoffnung für dich, Kamerad.«

Er setzte sich auf die Bank und beugte sich vor, um die Stiefel aufzumachen. Vijay ließ sich zu seinen Füßen auf die Knie nieder, um ihm zu helfen, aber er gab ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie das bleiben lassen sollte.

»Zu provozierend«, sagte er. »Ich würde das Unterteil nicht mehr abkriegen.«

Sie machte einen Moment lang große Augen, dann brach sie in Gelächter aus. Jamie grinste zurück und begann dann selbst zu lachen.

»Es ist zweifelsfrei eine andere Spezies!« Trudy Hall sprudelte geradezu über vor Freude. Selbst Fuchida gestattete sich ein breites Zahnpastalächeln auf seinem normalerweise ausdruckslosen Gesicht.

»Ares olympicus«, sagte er. »Wir haben beschlossen, sie so zu nennen.«

Die sechs Forscher saßen mit ihren Essensschalen um den Tisch in der Messe. Gleich nachdem Fuchida und Hall aus dem Biologielabor gekommen waren, hatten sie verkündet, dass Mitsuos Gesteinsproben vom Olympus Mons Bakterienkolonien enthielten, die gewisse Ähnlichkeiten mit den von Craigs Tiefenbohrer in der Nähe der Kuppel heraufbeförderten Bakterien aufwiesen, sich aber auch signifikant von ihnen unterschieden.

»Warum nennt ihr sie nicht nach dem Entdecker?«, fragte Stacy Deschurowa. »So macht man das doch normalerweise, oder?«

Fuchida verneigte sich leicht. Hall erklärte: »Brumado und Malater haben mit Ares marineris, der Flechte, die sie auf dem Boden des Canyons entdeckt haben, den Präzedenzfall geschaffen.«

»Ja, aber der Canyon ist nach der Mariner-Sonde benannt, die ihn entdeckt hat«, warf Rodriguez ein.

»Tommy ist enttäuscht, weil wir die Flechte nicht nach ihm benannt haben«, spöttelte Hall.

Rodriguez' ohnehin schon dunkle Gesichtsfarbe wurde noch etwas dunkler.

»Aber im Ernst«, fuhr die englische Biologin fort, »ich finde, es ist eine gute Idee, die neu entdeckten Arten nach den Orten zu benennen, wo man sie gefunden hat, statt nach den Entdeckern.«

»Vor allem, weil du die Entdeckung nicht gemacht hast«, stichelte Vijay.

Trudy zischte sie aus.

Nach dem Abendessen ging Jamie in seine Unterkunft und fuhr wie üblich den Computer hoch, um sich die eingegangene Post anzusehen. Größtenteils das übliche Zeug — darunter eine weitere Anfrage des Vorsitzenden des Geologieausschusses nach der stratigraphischen Analyse, die Dex hatte anfertigen sollen —, aber auch eine persönliche Botschaft von Pete Connors.

Jamie fragte sich, was der ehemalige Astronaut wollte. Er erledigte zunächst die Routinesachen und holte dann Connors' dunkles, melancholisches Gesicht auf den Bildschirm seines Laptops.

»Hab ein paar beunruhigende Nachrichten für dich, alter Freund«, sagte Connors ohne Einleitung. »Dr. Li zufolge ist der alte Trumball auf dem Kriegspfad und versucht, dich als Missionsleiter abzuschießen. Li fürchtet, die Finanzierung der nächsten Expedition könnte gefährdet sein, wenn das IUK sich seinen Wünschen nicht fügt. Ich weiß, du kannst da nicht viel tun, aber Li fand, dass du es wissen solltest, und ich bin ganz seiner Meinung. Tut mir Leid, dass ich dich mit diesem Mist belasten muss, Jamie, aber ich glaube, es ist besser, wenn du darüber Bescheid weißt, als wenn es dich unvorbereitet trifft.«