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Sich zu einem jederzeit erkennbaren individuellen Wesen zu machen, war für diese Frauen deshalb eine Passion — und das war alles, was Mavra sah. Hunderte und Tausende gleich aussehender Frauen überall in der Stadt. Keinen einzigen Mann.

Die meist eintönige Arbeit, einschließlich jener, das Gepäck der Neuankömmlinge zu befördern, wurde von Robotern geleistet, so konstruiert, daß sie der korrodierenden Atmosphäre widerstanden. Es gab kluge und dumme Olympier, weil es kluge und dumme Erste Mütter gegeben hatte und natürlich auch andere Umweltfaktoren einwirkten, aber niemand brauchte Handarbeit zu leisten, und niemand tat es — dafür gab es Maschinen.

»Hotel Central«, sagte Yua zu der Maschine, die Mavra wie ein besserer und belebter Handkarren vorkam.

»Ja, Ma’am«, erwiderte eine mechanische Stimme, und die Maschine rollte eilig davon, um das Gepäck zu holen und durch unterirdische Handelsstraßen zu befördern.

Taxis gab es keine; von einer Olympierin wurde erwartet, daß sie sich auskannte und wußte, welche Straßenbahn sie nehmen mußte. Yua suchte sich eine aus, und sie sprangen auf, als sie losfuhr. Die Neuankömmlinge gesellten sich zu den vielen stehenden Insassen gleichen Aussehens. In Sparta saß offenbar niemand, dachte Mavra düster.

Die Fahrt nahm ungefähr zehn Minuten in Anspruch, wobei die Tram niemals hielt. Sie kroch nur langsam dahin, während die Leute auf- und absprangen. Niemand versuchte, Fahrgeld zu erheben.

Das Hotel Central war ein quadratischer Klotz in der Nähe der Stadtmitte; wie alle spartanischen Gebäude war es niedrig, vier Stockwerke: auf einem Planeten, der nur aus einer Erdbebenzone bestand, für eben diese Zone gebaut. Mavra studierte das Haus, bevor sie Yua hineinfolgte. Vermutlich vermieten sie Wandschränke, wo man an einer Betonmauer im Stehen schlafen kann, mutmaßte sie. Sie war von dem, was die Nachkommen ihrer Großeltern geschaffen hatten, nicht beeindruckt.

Die Halle war trist und bedrückend, was den Erwartungen entsprach; aber es fiel ihnen nicht schwer, ein Zimmer zu bekommen. Auch hier verlangte man weder Geld noch Ausweis. Die Gesellschaft war kommunal gesinnt bis zum nten Grad, und man ging einfach davon aus, daß derjenige, der ein Hotelzimmer brauchte, auch einen guten Grund dafür vorweisen konnte. Anmelden mußte man sich indessen; Mavra vermutete, daß irgendwo irgend jemand die Hotelregister überprüfte, um festzustellen, wer was mit wem trieb.

Sie trug sich als Mavra A 332-6 ein; Mavra war auf Olympus offenbar ein gebräuchlicher Name — was ihr gefiel. Nikki Zinder, auch eine der Ersten Mütter, hatte von Renard, dem belesenen Agitar-Satyr, als er noch in Menschengestalt gewesen war, eine Tochter zur Welt gebracht — eine der Gründerinnen — und das Kind nach Mavra Tschang benannt.

Mavra benützte Yuas Codenummer, was der Angestellten verriet, daß sie ein ›gebundenes‹ Paar waren. Solche Verbindungen waren auf Olympus häufig; irgendwann entschloß sich fast jede Bewohnerin, ein Kind zu bekommen, und es gab ein eingewurzeltes Beharren auf der Familienstruktur mit zwei Eltern. Ein ›gebundenes‹ Paar, das in einem Hotel abstieg, bedeutete für die Einheimischen nur eines: Die beiden waren in Sparta, um einen Geburtstempel aufzusuchen und sich befruchten zu lassen.

Sie sahen sich rasch als Neuvermählte behandelt. Mavra war das unangenehm, aber das war Obies Einfall gewesen. Damit ließ sich mühelos erklären, warum die beiden alles gemeinsam taten, und Yuas hingebungsvolle Anbetung Mavras mochte als Verhalten einer Liebenden abgetan werden.

Ihr Zimmer war eine freudige Überraschung; es enthielt ein riesiges, weiches Bett, eine Unterhaltungskonsole, eine vielseitige Trag-Bar und eine Wähl-die-Mahlzeit-Speiseanlage. Im vierten Stock gelegen, besaß das Zimmer ein Fenster mit Vorhängen, durch das man einen Teil der Stadt sehen konnte.

Yua zeigte Mavra begeistert einige Sehenswürdigkeiten.

»Da oben, bei den Bergen, befanden sich die ursprünglichen Häuser der Ersten Mütter, jetzt ein Nationalheiligtum. Am Fuß des Berges steht der Muttertempel, Sitz der jetzt interplanetarischen Religionsgemeinschaft und der Theokratie von Olympus, während drüben rechts das große, kubische Gebäude steht, wo ich aufgewachsen bin.«

Am nächsten Morgen wollten sie die Stadt besichtigen und dann den Muttertempel selbst besuchen. Mavra wußte selbst noch nicht genau, was sie tun wollte, wenn sie dort ankam, beschloß aber, das Problem zu überschlafen.

Yua wählte Speisen und Getränke für sie, während die Sonne, von geisterhafter, rot-oranger Farbe, hinter den Bergen verschwand. Dann legten sie sich auf das Bett, das trotz ihrer Schweife breit genug war, und das Bequemste, was Mavra während der ganzen Reise gesehen hatte. Sie spürte plötzlich, daß sie starke erotische Gefühle beschlichen. Irgendeine Zutat im Essen oder Trinken, vermutlich. Sie wehrte Yuas Avancen mühsam ab und schlief.

Sie wurden von einem Summton geweckt. Er war laut und beharrlich, wie man sich das von Weckern wünscht, wenn das Aufstehen unumgänglich wird. Yua stöhnte, schaute zu Mavra hinüber, lächelte strahlend und stand auf.

»Die Tür. Ich mach’ das schon«, sagte sie.

Mavra hatte Probleme. Der Sexualtrieb war eher noch stärker geworden; wenn das nicht nachließ, würde er nicht zu unterdrücken sein. Andererseits — wer konnte wissen, daß sie hier waren — und warum wurden sie von jemandem geweckt?

Dieser Jemand erwies sich als ein Zimmerservice-Roboter, beladen mit einer Reihe seltsam aussehender, aber enorm appetitanregender Frühstückszutaten nebst eine Flasche dessen, was auf Olympus als Champagner galt.

Mavra stand auf.

»Was?«fragte sie. »Das haben wir nicht bestellt.«

»Mit einer Empfehlung des Hotels«, tönte der Roboterkellner. »Alles frisch, keine synthetischen Stoffe. Wir haben uns auch erlaubt, Sie im Geburtstempel anzumelden. Ein zusätzlicher Service des Hotels«, fügte er hinzu, und seine Stimme klang beinahe stolz. »Es ist jetzt nullachtnull Uhr; Ihr Termin ist auf nullzehnnull Uhr bestimmt. Holen Sie die Karte beim Empfang ab und nehmen Sie Tram einssiebenundachtzig. Vielen Dank.«Er löste sich vom Serviertisch und rollte hinaus.

Die Tür schloß sich automatisch hinter ihm.

»Die unterstellen aber allerhand, wie?«sagte Mavra verstört.

»Was wollt Ihr tun?«fragte Yua. »Man wird sehr argwöhnisch werden, wenn wir den Termin nicht einhalten.«

Mavra nickte. Verdammt, bin ich wild! dachte sie. Sie freute sich beinahe darauf! Aber Yua hatte natürlich recht. Nicht hinzugehen, mochte Argwohn erregen und ihre Aufgabe erschweren. Die Prozedur würde ohnehin ziemlich sachlich ablaufen und schnell vorbei sein; anschließend konnten sie den Muttertempel aufsuchen.

Yua schien die Aussicht zu erregen. Mavra seufzte und setzte sich an den Tisch. Das Essen war mit Aphrodisiaka stark versetzt, aber was macht das schon, dachte sie. Heute erfahre ich wenigstens, wo die Männer sind.

* * *

Wenn eine Rasse bis zum nten Grad körperlich identisch ist, fällt es ausgebildeten Biochemikern leicht, beliebige physiologische Merkmale, die gewünscht werden, massenweise hervorzubringen. Die Tatsache, daß an der Bevölkerung von Olympus so wenige Modifikationen vorgenommen worden waren, mußte man ihrer Führung gutschreiben, wenn es eine solche gab. Bei der Fortpflanzung überließ man dem Zufall jedoch nur wenig. Eine Kombination von Anregungsmitteln, abgestimmt auf den olympischen Körper, hatte Mavra und Yua genau in den erwünschten körperlichen und gefühlsmäßigen Zustand versetzt. Bis sie den Geburtstempel erreichten, war den beiden Frauen kaum ein nicht-sexueller Gedanke möglich, und der innere körperliche und geistige Druck war schier unerträglich.

Man hatte sie offensichtlich erwartet, und sachliche Techniker führten sie ohne lange Umschweife hinein. Sie wurden zu getrennten Liften geführt, deren Kabinen jeweils nur eine Person aufnehmen zu können schienen. Die Tür schloß sich hinter beiden, und sie sanken, wenn auch langsam, hinunter. Mavra kam sich vor, als nähme man eine ungeheure Last von Körper und Geist.