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»Ja, Heilige Mutter.«Sie standen auf und betraten den Lift.

Nikki Zinder, eingeschlossen in ihren Computer, war wieder allein. Trotzdem tönte die unheimliche Stimme weiter und lachte brüchig.

»O Böser!«sagte sie zu niemand. »Du willst Gott, den HERRN, gefangennehmen, damit du das Universum zerstören kannst! Aber das wird dir nicht gelingen. So, wie dein Ebenbild mich im männlichen Kind heimsucht und quält, so erscheinst du nun selbst, um mich zu überlisten! Das lasse ich nicht zu, niemals, niemals…«

Kurze Zeit herrschte in der Kammer Stille, dann sagte die geisterhafte Stimme im verlorenen, klagenden Ton eines ganz kleinen Mädchens:»O Papa, Papa! Ich sehn’ mich so nach dir…«

Kwangsi

Marquoz zündete sich eine Pfeife an, indem er in den Kopf hineinblies. Er sog ein paarmal am Mundstück und blies beißende Rauchwolken in alle Richtungen. Schließlich sagte er:»Das Problem ist natürlich, den Kom-Bund herauszuhalten. Ich muß schon lügen, daß die Zähne knacken, nur um soviel Zugang für uns zu erreichen.«

Mavra Tschang zog die dünnen, schwarzen Brauen in die Höhe.

»Sie glauben, man wird aufmerksam?«fragte sie.

Er nickte.

»Ich glaube, es ist den Leuten klar, daß mehr dahinterstecken muß, als wir erzählt haben. Sie sind ja nicht dumm. Im Augenblick kommt man, weil Olympus wirtschaftlich großen Einfluß besitzt, einer kleinen Interessengruppe entgegen, aber man macht sich Sorgen, weil alle sich plötzlich so unsektiererhaft verhalten. Sie wissen, daß eine derart mächtige Gruppe eine ernste Bedrohung darstellen kann.«

Mavra ließ sich zurücksinken, steckte eine kleine Zigarre in den Mund, lehnte das Angebot von Marquoz, sie anzuzünden ab, und kam zur Sache.

»Wie nah sind wir denn dran? Obie schluckt riesige Mengen Daten, aber alles stammt aus zweiter Hand. Sie wissen, daß wir es nicht wagen können, ihn so nah nach Suba und zum Rat zu bringen.«

Ein Lautsprecher knackte.

»Hallo, Mavra«, sagte der Computer über seine kleine Direktverbindung. »War nicht zu vermeiden, daß ich mithörte. Wollen Sie einen Sachstandsbericht?«

»Bitte.«

»Er ist gut versteckt, soviel kann ich Ihnen sagen«, erklärte Obie. »Niemand kann in den Computern ganz gelöscht werden, das wissen Sie, aber wenn Ihnen jemand erzählt, keiner könnte etwas tun, ohne daß Computer es wissen und melden, ist er gründlich im Irrtum.«

»Du hast Schwierigkeiten gehabt, Daten über Nathan Brazil zu finden?«

»Nein, nein, das nicht, Mavra. Trotz sehr guter Tarnung war es ziemlich leicht, die Fakten seines Lebens über zweitausend Jahre zurückzuverfolgen — bis zur alten Erde. Er ist an mindestens drei Dutzend Orten geboren und öfter noch gestorben.«

»Wie denn das?«fragte Marquoz.

Obie lachte. Es war unheimlich, eine Maschine so menschlich wirken zu hören, noch dazu eine so mächtige und absolute wie Obie.

»O ja. Schließlich werden ja wirklich Aufzeichnungen geführt. Wenn man keine logische Vergangenheit hat, muß jemand aufmerksam werden. Ich mußte einem sehr klugen Gehirn nachspüren, das eben dies nicht wollte, und wenn nicht drei Faktoren gewesen wären, hätte ich es nicht schaffen können, das sage ich Ihnen.«

»Drei Faktoren?«fragte Mavra interessiert.

»Ja. Erstens scheint er nicht in der Lage gewesen zu sein, sein Aussehen zu ändern, nicht einmal chirurgisch, so daß das angehalten hätte. Versucht hat er es. Da er nicht Teil der markovischen Wirklichkeit ist, sondern vom vor-markovischen Urzustand des Universums herrührt, jenem Zustand, der sie geschaffen hat, ist er offenbar unzugänglich für Veränderungen durch alles, was vom Schacht der Seelen aufrechterhalten wird. Einmal, vor langer Zeit, gelang es ihm auf der Schacht-Welt selbst, die Körper tatsächlich zu wechseln, als der seinige schwer verletzt wurde. Er kann anscheinend alles regenerieren und nicht getötet werden, auch wenn man ihn verletzen kann, sogar sehr qualvoll. Aber selbst als er seinen alten Körper zurückließ, tauchte er später ganz ohne Veränderung im Kom-Bereich auf. Sehr seltsam — er besteht nur aus Widersprüchen. Man könnte sagen, seine jetzige Erscheinung war seine ursprüngliche. Das ist der Grund, weshalb er immer wieder zu ihr zurückkehrt. Alle Daten zeigen aber an, daß er dem Ursprung der Menschheit vorausgeht.«

Mavra dachte nach.

»Ich habe mir oft Gedanken gemacht. Ich begreife nicht, wie ein Gott verletzt oder dazu gebracht werden kann, das Gedächtnis zu verlieren; oder auch, sich an eine bestimmte Erscheinungsform zu klammern. Unter anderem. Er wirkt arg gewöhnlich, Obie, wenn er soviel Macht besitzt, wie du es darstellst.«

»Da stimme ich zu. Er besteht nur aus Fragen ohne Antworten. Und die Antworten würde ich zu gern finden, Mavra.«

»Wir versuchen es ja.«

»Du hast von drei Faktoren gesprochen«, meinte Marquoz. »Formbeständigkeit ist nur einer.«

»Gewiß. Der zweite besteht darin, daß er Raumfahrer ist, früher Seemann war. Auf der alten Erde hat er mindestens ein Schiff befehligt, das einen Wasserozean besegelte, und er hat derartige Schiffe, angetrieben wie auch immer, auf einer Reihe von Welten geführt. Die Kombination von Formbeständigkeit und Beruf macht es leichter, ihn aufzuspüren.«

»Und der dritte Faktor?«fragte Mavra.

»Seine Religion. Es ist mehr als sonderbar, daß er überhaupt eine hat, geschweige denn ihr anhängt, wissen Sie. Es handelt sich um eine uralte Religion der früheren Erde, die sich vor einigen tausend Jahren aus einer Ansammlung von Stammesgruppen heraus entwickelt hat. Sie scheinen als die üblichen Polytheisten begonnen zu haben und wurden ganz plötzlich zur ersten monotheistischen Religion der Menschheitsgeschichte. Die Religion wurde mit einer Reihe von Gesetzen und Gebräuchen in ein System gebracht. Daraus ergaben sich dann andere große Religionen, aber die Anhänger des Originals blieben klein an Zahl und überlebten die Jahrtausende mit ihrem Glauben. Sie wird ›Judaismus‹ genannt, die Anhänger heißen gewöhnlich ›Juden‹, und es gibt sogar heute noch welche davon, immer noch eine Handvoll, Sehr sonderbar.«

»Und er praktiziert seinen Glauben?«warf Marquoz ein.

»Ja, den Anschein hat es. Er lebt zwar nicht in einer der Gemeinschaften und scheint das auch nie getan zu haben, hält aber oft Kontakt mit ihnen, vor allen an ihren höchsten Religionsfeiertagen, und man kann hören, daß er für sie gesorgt hat.«

»Du sagst, er praktiziert seine Religion und hat ein besonderes Interesse am Wohlergehen ihrer Anhänger«, meinte der kleine Drache nachdenklich. »Es gibt aber keinen Hinweis darauf, daß er mehr tut, als an ihren Riten teilzunehmen? Er wird nicht als besonders heilig oder gottähnlich angesehen?«

»Ganz und gar nicht«, antwortete Obie. »Ihr Gott ist allumfassend, aber nicht greifbar, ganz gewiß kein gewöhnlicher Mensch. Als jemand, der ein gewöhnlicher Mensch zu sein schien, in ihrer Heimat auftauchte und behauptete, der Menschensohn ihres Gottes zu sein, wurde er sogar hingerichtet. Daraus entwickelte sich allerdings eine viel größere Religion.«

»Die Widersprüche häufen sich«, sagte Marquoz versonnen. »Weshalb sollte Nathan Brazil an einer solchen Gruppe interessiert sein? Wenn er Gott ist, weshalb schließt er sich ihr als Gläubiger an? Wenn nicht, dann ist er zumindest ein Überbleibsel der Markovier, der verdammt genau weiß, wo die Menschheit herkommt — eingeschlossen seine kleine Gruppe. Das ergibt doch alles gar keinen Sinn!«

»Es kommt noch mehr«, sagte Obie. »Die Religion, die der Hinrichtung des Mannes entsprang, der sich Gottes Sohn nannte, wurde ›Christentum‹ genannt. Es gibt sie nach wie vor in starkem Maß, und sie ist, wenn auch in Teilsekten zerfallen, ganz gut organisiert. Diese Leute kennen eine Legende, wonach es einen unsterblichen Menschen gibt, einen Juden, der Gottes Sohn auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte verfluchte. Er wurde seinerseits mit dem Fluch belegt, ewig leben zu müssen, bis der Hingerichtete zurückkehren würde, um die Herrschaft des Himmels zu errichten. Es ist klar, daß Nathan Brazil ohne Rücksicht auf den wahren Ursprung der Geschichte der Ewige Jude, die Quelle der Geschichte, ist