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Sie war erstaunt.

»Kapitäne? Religiöse Lehrer?«

»Sehen Sie, was ich meine. Und trotzdem ist das ein dreifach gutes Leben, weil es nicht nur lukrativ ist und viel Zeit für das Studium bietet, sondern sich auch als der beste Weg erweist, die kleinen, über Hunderte von Welten verstreuten Gemeinden zu erreichen. Von den dreien haben alle zu irgendeiner Zeit Tätigkeiten ausgeführt, an denen auch Brazils Schiff beteiligt war. Zwei davon scheinen im Lauf der Jahre — ja, Jahrzehnte — engen Kontakt mit Brazil gehabt zu haben, so daß sie als seine Freunde gelten dürfen. Aber nur einer ist Besitzer eines eigenen Schiffes; die anderen arbeiten für Reedereien. Ich war schon früher darauf gestoßen, verwarf den Mann aber, weil er zu den Chassidim gehört — der strengsten Sekte oder Abart des Judaismus, deren Mitglieder sich an starre Vorschriften für Kleidung, Essen, religiöse Formen und Verhaltensweisen halten müssen. Die Chassidim existieren in einer modernen Welt, ohne Kompromisse zu schließen, und bleiben bei ihren Jahrtausende alten Gesetzen. Ich hatte nicht damit gerechnet, Brazil in einer solchen Rolle zu finden, weil er ganz offensichtlich nur wenige dieser Vorschriften beachtet hat. Außerdem ist der bewußte Rabbi alt; er hat bereits zwei Verjüngungen hinter sich und ist größer und dicker als Brazil, mit weißem Vollbart. Aber heute eingegangene Daten überzeugen mich von der Logik des Ganzen.«

»Ich kann zwar einsehen, daß das eine leicht anzulegende Maske wäre«, sagte Mavra, »aber darüber hinaus?«

»Nun, ich konnte für einen Zeitraum von drei Jahrzehnten die Flugroutenbeschreibungen vom Schiff dieses Mannes und Brazils ›Stehekin‹ rekonstruieren. Sie wären entsetzt, wenn Sie sähen, wie oft ihre Wege übereinstimmen — und man darf nicht vergessen, daß sie beide Eigner ihrer Schiffe sind, so daß sie nicht gehalten waren, sich einem Routenchef zu unterwerfen. Ihre Nebenausflüge interessierten mich besonders. Sie besuchten in einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren praktisch jede streng jüdische Gemeinschaft. Während der zwanzig Jahre vor Brazils Verschwinden hatten sie bei der einen oder anderen Gemeinde gemeinsam die höchsten jüdischen Feiertage mitgefeiert. Sie kannten einander über sehr lange Zeit hinweg sehr gut.«

»Aber scheidet er damit nicht aus? War es nicht Brazils Arbeitsmethode, an die Stelle eines jungen Mannes zu treten?«

»Das hier ist genausogut. Ein alter Mann, der alle seine Zeitgenossen überlebt hat. Ein Frachterkapitän von hohem Ruf und bekanntem Namen. Aber wichtiger noch ist, daß Brazil und dieser Mann sich ungefähr sechs Monate vor Brazils Verschwinden auf einem kleinen Planeten trafen. Unser Mann war alt, er hatte medizinische Probleme, seine Untersuchung stand bevor, und ohne Verjüngung konnte er praktisch nicht durchkommen — die medizinischen Unterlagen zeigten indessen an, daß er eine weitere Verjüngung einfach nicht auszuhalten vermochte. Vier Monate danach kam er jedoch mit fliegenden Fahnen ohne Verjüngung durch eine vollständige Untersuchung!«

»Vier Monate?«sagte Mavra verwirrt. »Du hast doch gesagt, sie hätten sich sechs Monate vorher getroffen.«

»Sicher! Verstehen Sie denn nicht? Damals tauschten sie die Identität. Brazil nutzte die verbleibende Zeit, um den Rest dessen zu beschaffen, was er brauchte, um diesen Mann glaubhaft darzustellen, dann wurde er zu ihm, während der alte Rabbi als Brazil mit der ›Stehekin‹ davonflog — als ein Brazil demnach, der seine eigene Untersuchung erst ein Jahr zuvor bestanden hatte und die nächste erst in drei Jahren über sich ergehen lassen mußte.«

»Muß denn nicht jemandem aufgefallen sein, daß Brazil sich in einen alten Mann verwandelt hatte?«fragte sie.

»Gewiß. Wenn man ihn gesehen hat. Falls er aber Häfen bediente, wo man ihn nicht kannte, und wenn er in seinem Schiff blieb, entstand gar kein Rätsel. Die ›Stehekin‹ nahm während dieser Zeit keine Passagiere auf, beförderte jedoch Fracht. Zwei Monate nach dem Tausch wird für einen ›Überfall‹ gesorgt. Brazil kommt um. Fertig.«

»Und was ist aus dem Mann geworden, den er ersetzt hat? Ist er gestorben oder was sonst?«

»Mag sein. Das kommt darauf an. Überlegen Sie, was Brazil ihm bieten konnte. Ein alter Mann, der überall gewesen war und alles gesehen hatte, dem man Lebensunterhalt und Lebensfreude wegnehmen wollte — man muß den Weltraum lieben, wenn man zweihundert Jahre darin arbeitet —, mit der Aussicht, bald zu sterben. Was Brazil ihm bieten konnte, war ein neues Leben in einem neuen Körper, eine Wiedergeburt, neue Erlebnisse und neue Abenteuer!«

Mavra schalt sich eine Närrin.

»Natürlich! Markovier-Tore gibt es überall! Brazil hätte ihm erklären können, wie man sie benützt, ihn vielleicht sogar zu einem davon führen können. Er ist auf die Schacht-Welt gegangen!«Obie lachte leise.

»Möchte wissen, was er jetzt für ein Wesen ist. Ich würde zu gern sehen, wie es ihm gelingt, koscher zu leben.«

»Was?«

»Lassen Sie nur. Nicht wichtig. Ich bin überzeugt davon, daß Nathan Brazil jetzt Rabbi David Korf ist, Kapitän des Fracht-Raumschiffs ›Jerusalem‹.«

»Dann brauchen wir nur noch herauszufinden, auf welchem Planeten die ›Jerusalem‹ als nächstes landet, und sie dort erwarten!«sagte Mavra erregt.

»So sieht es aus«, bestätigte Obie. »Bis auf einen Punkt. Nach dem Tausch wechselte Korf sein Arbeitsgebiet total — wohl, um die Gefahr, Leuten zu begegnen, die den richtigen Korf genau kannten, möglichst geringzuhalten. Der Haken bei der Sache ist, daß er ein völlig unabhängiger Mann ist. Es könnte Jahre dauern, bis die Dokumente, die für einen solchen unabhängigen Unternehmer belangvoll sind, eingereicht werden. Ich habe alles überprüft, finde aber nach einem Zeitpunkt von ungefähr vor sechs Jahren keinen Hinweis darauf, daß die ›Jerusalem‹ je einen Beförderungsvertrag abgeschlossen oder in unserer kleinen Ecke des Weltraums irgendeine Fracht befördert hätte. Brazil hat nicht nur seine Nummer mit dem Verschwinden abgezogen, diesmal scheint er auch sein Raumschiff mitgenommen zu haben.«

Dem Lizenzierungsamt zufolge war Rabbi Korf in der Tat zurückgekehrt und hatte seine Lizenz erst ein Jahr zuvor erneuert. Das war rätselhafter als ein völliges Untertauchen. Die letzte Erneuerung zeigte an, daß Korf und die ›Jerusalem‹ noch Dienst taten und sogar einer Neubewertung bedurften. Aber wo? Und für wen? Es gab keine Angaben darüber.

»Streng privat, vielleicht?«meinte Marva. »Etwa illegal?«

Marquoz, der kurz vor den anderen erschienen war, zeigte sich skeptisch.

»Wenn so illegal, warum dann die Erneuerung, die Bestätigung seiner Identität? Wenn nicht, dann braucht er die Tarnung — also ging es auch um legale Geschäfte. Nein, ich glaube, er transportiert noch immer ganz offen und legal Fracht zwischen Kom-Welten.«

»Ausgeschlossen«, sagte Obie. »Wir haben alle Welten im Auge, wie Ihnen die Leute von der Gemeinde bestätigen werden.«

Marquoz legte den Reptilkopf auf die Seite und lächelte spöttisch.

»Nein, habt ihr nicht. Durchaus nicht. Was deine Gemeinde im Auge hat, sind menschliche Welten. In nicht-menschlichen Gebieten sind die Akoluthen nicht sehr beliebt — und genau dort könnte man der Sekte doch am besten ausweichen.«

Obie schwieg kurze Zeit.

»Die Kosten meiner Konstruktion waren astronomisch hoch«, sagte er dann, »mein Erbauer war vielleicht das größte Genie der Menschheit. Ich kann jede Berechnung in einem so kurzen Zeitraum bewältigen, daß er dem organischen Hirn unbegreiflich ist. Vielleicht verraten Sie mir, warum ich daran nicht gedacht habe.«