»Ziemlich scheußlich, wenn ich ehrlich sein soll«, schnaubte er. »Möchten Sie auf einer fremden Welt in einem Schuppen eingesperrt sein und zwei Tage lang nur religiöse Fanatikerinnen zur Gesellschaft haben?«
»Tut mir leid«, sagte sie mitfühlend, »aber wir mußten Sie alle dann einschmuggeln, wenn das eben möglich war. Sie hätten sich von Obie zu einem Rhone machen lassen können«, erinnerte sie, »dann wären Sie die letzten zwei Tage draußen gewesen und hätten es bequem gehabt.«
»Danke, ich bleibe lieber ich selbst«, knurrte er. »Aber ich sehe schon, daß Zigeuner der einzig kluge Kopf war. Er liegt auf Nautilus im Federbett und frißt sich voll wie ein Pferd.«
»Wir gehen bald zum Raumflughafen«, sagte Mavra. »Die Strapazen sind fast vorbei. Unser Mann ist in einer Umlaufbahn und soll in etwa zwei Stunden herunterkommen, um die Zoll- und Freigabeformalitäten zu erledigen.«
Eine Olympierin trat aus dem Schatten.
»Denken Sie an Ihr Wort!«sagte sie warnend. »Er muß zu uns gebracht werden!«
»Wir halten uns an die Abmachung«, versprach Mavra. Sie wandte sich an die zwei Leute von der Nautilus-Besatzung. »Dann los, Leibwächter! Ich möchte so bald wie möglich dort sein, damit wir ihn nicht verpassen.«Sie verabschiedete sich von den anderen. Einer der Männer schob die Tür auf und schloß sie hinter ihnen. Ein Windzug kalter Luft war alles, was außer dem Warten blieb.
Die Olympierinnen traten in die Schatten zurück, und die Anführerin wandte sich an die anderen drei.
»Zwei Stunden«, flüsterte sie. »Seid ihr bereit?«
Eine der anderen drehte sich um, nahm den Umhang ab und zog aus dem Stoffutter vier kleine, hochmoderne Pistolen und verteilte drei davon.
Auch das war ein Grund, weshalb die Olympierinnen nicht über Obie nach Meouit hatten gelangen wollen.
Marquoz verbrachte die Zeit mit Besatzungsmitgliedern in Rhone-Gestalt; einer hatte Würfel mitgebracht. Auf die Olympierinnen achteten sie überhaupt nicht, was deren Wünschen entsprach.
»Ladung prüfen«, flüsterte die Anführerin. Das leise Summen bei der Inbetriebnahme blieb ungehört.
Mavra Tschang vertrieb sich die Zeit im Reedereibüro und versuchte, gelangweilt zu wirken, aber tief innen fühlte sie sich beinahe wie ein kleines Mädchen, das auf die Ankunft eines Lieblingsonkels wartet, gleichzeitig fürchtend, der Onkel könnte sie vergessen haben.
Die Schleppraketen hatten die Umlaufbahn des Frachtschiffs stabilisiert, das Pilotenboot würde mit dem Lotsen und dem Kapitän herunterkommen, damit die Fracht verzollt werden konnte.
Mavra schaute zu, und ihr Herz schien einmal auszusetzen, als die Anzeigetafel im Büro der Hafenbehörde den Namen ›Jerusalem‹ aufleuchten ließ, daneben die Registernummer und die Worte ›Im Hafen‹.
Die Zeit schleppte sich dahin. Einer ihrer beiden Begleiter, der so tat, als fülle er Formulare aus, beugte sich herüber und flüsterte:»Sie müssen sich beruhigen. Sie sehen aus, als rechneten Sie jeden Augenblick damit, daß ihr langvermißter Ehemann zurückkommt.«
Mavra nahm sich zusammen und tat so, als suche sie im Vorraum nach Frachtlisten. Wenn Brazil nicht bald kam, würde jemand im Hafenamt sich fragen, warum sie so lange brauchte, um die richtigen Formulare herauszusuchen.
Plötzlich ging die Tür zischend auf. Der Pilot, das Gesicht zerfurcht und alt, was zu seinem gefleckten, grauen Teint zu passen schien, kam als erster herein, gefolgt von dem Verlademeister. Die beiden sprachen miteinander, und es dauerte einige Sekunden, bis sie begriff, daß sie nicht zueinander, sondern zu einer dritten, zwischen ihnen halb verborgenen Person sprachen.
Der erste Gedanke Mavras war, daß Korf zu groß erschien; fast 1,70 m groß. Er trug einen seltsamen, flachen Hut, unter dem lange, grauweiße Locken herabhingen und sich mit einem Vollbart von derselben Farbe vermischten. Man konnte nur Augen und Nase sehen. Die Gestalt des Rabbis war verhüllt durch einen schweren, schwarzen Mantel, der bis zu seinen Knien reichte. Wenn das Äußere etwas besagt, war er zwanzig Kilogramm zu schwer und ein Jahrhundert zu alt.
Auch die Stimme war unangenehm; sehr hoch und nasal, ganz anders als der tiefe Tenor, an den Mavra sich erinnerte. Sie verzagte; das war gewiß nicht der Mann, den sie suchten. Aus, dachte sie; wir haben danebengegriffen. Soviel Mühe, und alles umsonst. Sie sah zu ihren Begleitern hinüber und entdeckte auf ihren Gesichtern dieselben Gefühle. Einer wies mit dem Kopf kaum merklich zur Tür, und sie nickte knapp. Sie gingen zur Tür. Ihre Hufe klapperten auf dem harten Kunststoffboden, als sie an den beiden Rhone und Rabbi Korf vorbeimarschierten, die sich immer noch unterhielten.
»Der Mais befindet sich also in loot-Behältern?«fragte der Verlademeister mit tiefer Baßstimme.
Korf nickte.
»Ja. Sollte nicht mehr als zwei, drei Stunden dauern, um an sie heranzukommen. Nur die Baustoffe —«
In diesem Augenblick achtete Mavra nicht auf jene bürokratische Gesinnung, die Böden einwachsen läßt, und sie rutschte ein wenig aus. Korf und die beiden Rhone blickten auf.
Der Rabbi widmete sich, als er sah, daß ihr nichts passiert war, wieder seinen Unterlagen, dann riß er den Kopf hoch und starrte sie an. Mavra, die verlegen war, bemerkte das kaum, aber aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, daß sie mehr als die gewohnte Aufmerksamkeit erregt hatte. Sie blieb vor der Tür stehen und drehte ihren menschlichen Rumpf halb herum, um den Menschen anzusehen; für Sekundenbruchteile begegneten sich ihre Blicke, und irgend etwas in diesen Augen und in dieser Miene jagten ihr einen Schauer über den Rücken.
Ihre Begleiter, die nichts davon merkten, waren schon im Freien, bevor ihnen auffiel, daß sie fehlte.
»Es tut mir leid, wenn ich Sie durch meine Ungeschicklichkeit gestört habe«, sagte sie, bemüht, sich zu fassen. »Meine Mitarbeiter und ich warten auf den Kapitän des Schiffes, das eben eingetroffen ist, aber der müssen Sie sein, und ich sehe, daß Sie geraume Zeit beschäftigt sein werden. Ich — ich fürchte, ich bin das Geschäft noch nicht gewöhnt«, sagte sie mit listiger Nervosität.
Der Kapitän faßte sich rasch, obwohl er sie noch immer merkwürdig ansah.
»Der Kapitän bin ich, Bürgerin. Was wollten Sie von mir?«
»Mein Vater ist im Import-Export-Geschäft. Er und seine Mitarbeiter nehmen an einer Tagung in Hsuir teil, wo sie eben ein großes Geschäft abgeschlossen haben. Sie baten mich festzustellen, welche Schiffe ankommen und — nun ja, möglicherweise leer abfliegen. Vom Geschäft verstehe ich nicht viel, wissen Sie, aber da alle auf der Tagung sind, bin ich die einzige, die sie anrufen konnten.«Es klang so aufrichtig, daß sie sich beinahe selbst glaubte. »Aber ich sehe, daß ich zu früh gekommen bin.«
Der Kapitän nickte.
»Das fürchte ich auch. Das Entladen wird Stunden dauern, und ich möchte gerne richtig baden und heute nacht lange und weich schlafen, bevor ich mich Ihnen widme. Aber ich bin zur Zeit leer — könnten wir uns morgen nachmittag unterhalten?«
Sie lächelte liebenswürdig und nickte.
»Selbstverständlich. Wo wohnen Sie? Ich rufe Sie dort an. Ihren Namen und den des Schiffes kenne ich aus den Listen.«
»Im ›Pioneer‹. Das einzige Hotel hier mit Zimmern, die über eigene Küchen verfügen — ich muß eine besondere Diät einhalten.«
»Ich rufe an — nicht zu früh«, versprach sie.
»Wie, sagten Sie, war der Name Ihrer Firma? Und der Ihre, falls ich früher fertig bin?«
»Tourifreet, nach Ihrer Aussprache«, erwiderte sie sofort. »Es handelt sich um die Reederei Durkh — die Nummer steht im Buch.«Wieder lächelte sie. »Wir unterhalten uns morgen«, sagte sie und ging hinaus, während er ihr nachstarrte.
»Sind Sie sicher, daß er es ist?«brummte Marquoz. »Die Jungs sind offenbar nicht der Meinung.«