Viel von ›Korfs‹ Haar war ebenfalls falsch, aber darunter trug Brazil sein eigenes, dichtes, schwarzes Haar. Er schnitt es mit einer Schere kurz und rasierte einen großen Teil seines Körpers. Dann Theatersalbe, um die natürlichen Falten zu glätten und die Haut dunkler zu machen. Er arbeitete mit einem Schauspieler-Schminkkasten und verwandelte sich in jemand, der sehr wenig Ähnlichkeit mit ihm hatte. Die Römernase konnte er natürlich nicht verbergen, aber ein wenig glätten und die Nasenflügel verbreitern, so daß sie ganz anders aussah. Schließlich die Perücke, für die er über zwei Jahrhunderte zuvor ein Vermögen bezahlt hatte, und die Kleidung. Er war ein sehr kleiner Mann, was hier half.
Nach über einer Stunde sorgfältiger Arbeit betrachtete er sich im Spiegel. Perfekt. Für das kalte Winterwetter draußen besaß er jedoch keinen passenden dicken Mantel; er würde eine Weile sehr frieren und sich unbehaglich fühlen.
Obwohl das seine beste Maske war, hatte er sie nie gemocht, aber die Herausforderung machte ihm Spaß. Wenn man lange genug an vertrauten Orten ist, braucht man eine Methode, um fortzukommen, ein anderer zu sein, mit Leuten zu reden, bei denen man sich eigentlich nicht blicken lassen darf — und Leuten auszuweichen, die einen sprechen wollen, wie jetzt.
Er mußte sich maskieren, damit er der Beschreibung in den falschen Papieren entsprach, die er dabeihatte. Auf den meisten Planeten reichten sie aus, um ihn hinein- und hinauszuschleusen, ohne daß ein zweiter Blick auf ihn fiel, aber im einzigen Zugangshafen dieses Planeten gab es keine Unterlagen über seine Ankunft. Auf einer größeren menschlichen Welt; hier würde es zu Nachforschungen führen.
Er betrachtete sich ein letztesmal, dann ging er zum Fenster. Sah verdammt kalt aus, da draußen! Er schob das Fenster leise hoch. Die eisige Luft fegte herein. Er kehrte noch einmal um und programmierte Rhone-Musik, die nach einer Viertelstunde abschalten würde. Dann bat er den Empfang telefonisch, ihn am nächsten Morgen zu wecken.
Er griff nach einem kleinen Töpfchen, rieb klare Salbe auf seine Handflächen, atmete tief ein, schob sich zum Fenster hinaus und benützte mit Hilfe der Salbe seine Hände als Saugnäpfe, um die dreißig Meter Backsteinwand zum Durchgang hinunterzuklettern. Am Boden fand er den Hinterausgang, ließ sich ein wenig auftauen, rollte die Salbe von den Händen und schlenderte durch den Korridor zur Halle.
Es wurde schon spät, aber wie er vermutet hatte, war der Aufenthaltsraum für Menschen noch voll. Die meisten entspannten sich bei Lustdrogen oder Getränken, bei Tanz.
Es gab einen Garderobenraum, der unbewacht war. Wer würde sich hier die Mühe machen, einen Mantel für Menschen zu stehlen? Er ging hinein, suchte sich einen aus, der für Maske und Körper gleichermaßen paßte, zog ihn an, ging in die Halle zurück, nickte am Empfang und trat in das Winterwetter hinaus. Als keine Alarmlichter aufflammten, keine Schreie hinter ihm aufgellten und keine sichtbaren Beschatter auftauchten, begann er, vor sich hinzupfeifen.
Die Sonne kam herauf. Für die Mitglieder der Besatzung, die Lagerhaus und Hotel ›Pioneer‹ beobachtet hatten, war es eine stille, wenngleich kalte Nacht gewesen. Alle würden beschwören, daß niemand sie bemerkt hatte und daß, was sie anging, Korf die Nacht ruhig durchgeschlafen hatte.
Einer der Rhone-Beschatter im Korridor neben Zimmer 404 A fuhr hoch, als er ein fernes Geräusch hörte, und begriff, daß er eingenickt war. Er schaute den Flur hinunter, als der Lift, eine große Kabine für Zentauren, heraufkam und sich öffnete. Eine Person stieg aus, eine junge und hübsche Frau, elegant angezogen, mit herausforderndem Gang. Sie strich lange, braune Haare zurück, zog einen kleinen Block heraus, warf einen Blick darauf und achtete auf die Zimmernummern, bis sie 404 A erreichte. Die Aufpasser richteten sich auf. Sie klopfte an der Tür, schien Antwort zu erhalten, dann wurde herumgetastet und die Tür einen Spalt geöffnet. Sie zwängte sich hinein und schloß die Tür rasch hinter sich.
»Hol mich der Teufel!«zischte eine Stimme im Ohr des Aufpassers. »Ich dachte, er ist ein Heiliger.«
»Da kann man sich täuschen«, sagte ein anderer witzelnd. »Das ist schon eher meine Art von Religion!«
Die Männer wären verblüfft gewesen, hätten sie gesehen, daß Zimmer 404 A nur eine Person enthielt. Die Frau zog die Schuhe aus, nahm die Perücke und Körperpolster ab, entfernte aber nicht die ganze Maske. Es dämmerte schon, und Nathan Brazil wollte etwas schlafen, bevor er wieder Rabbi Korf werden mußte; er ließ sich auf das Bett fallen und schlief fast sofort ein. Er lächelte ein wenig bei dem Gedanken, daß seine Beschatter morgen, wenn er fort war, angesichts des Falles der verschwundenen Frau einen ordentlichen Schock davontragen würden, falls sie im Zimmer nachsehen sollten.
Im Lagerhaus — Mittag
»Er ist vor etwa einer Stunde weggegangen«, sagte die Stimme aus dem Funkgerät. »Tolga und Drur sind bei ihm. Mit dem Mädchen kennen wir uns aber noch nicht ganz aus.«
»Ich kann es mir denken«, sagte Mavra trocken und schaltete ab.
»Das Mädchen war also Brazil?«
Sie nickte.
»Natürlich, Marquoz. Eigentlich ganz einfach, noch dazu bei seiner Erfahrung.«
»Aber wie ist er aus dem Zimmer hinausgekommen? Man hat ihn doch beobachtet.«
»Ich habe Millionen aus stärker bewachten Gebäuden gestohlen, und es gibt unzählige Methoden«, erwiderte Mavra kopfschüttelnd. »Verdammt! Mein Gehirn ist ganz eingerostet! Ich habe mich zu sehr auf Obie verlassen! Und er hat uns auch noch eine lange Nase gedreht, indem er mit ein bißchen Bauchrednerei und einer angelehnten Tür direkt zu seinem Zimmer ging.«
»Sie wissen, was das bedeutet«, sagte Marquoz sorgenvoll.
Sie nickte.
»Ja. Er kennt sich aus mit uns.«
»Und er hat nicht angerufen, was heißt, daß er versuchen wird, das Weite zu suchen«, fügte der Chugach hinzu. »Ich glaube, wir sind in großen Schwierigkeiten, wenn wir ihn nicht sofort packen.«
Mavra überlegte fieberhaft.
»Ich weiß nicht. Es ist heller Tag, und bisher haben wir ihn nur dort gesehen, wo viele Leute sind. Er könnte bei der Polizei eine Beschwerde vorbringen und sich auf sein Schiff zurückbegleiten lassen.«
»Und was können wir tun, wenn er das wirklich macht?«fragte die Athene scharf.
»Obie rufen und das ganze, zweieinhalb Kilometer lange Ding entführen«, fauchte Mavra wütend. Sie war nicht zornig auf Brazil — diese Dinge stellten eher ihr Vertrauen in ihn und seine Legende wieder her — sondern auf sich selbst, weil sie so leichtgläubig gewesen war. Sie war einmal die größte Diebin im ganzen Kom-Gebiet gewesen, und es war ärgerlich, so hereingelegt zu werden.
Sie debattierten immer noch, als der elektronische Summer ertönte. Da sie alle durcheinanderschrien, dauerte es einen Augenblick, bis sie begriffen, dann verstummten sie schlagartig.
Das Telefon läutete.
Mavra blickte zu einem weiblichen Besatzungsmitglied in Rhone-Gestalt hinüber und nickte. Die Zentaurin ging achselzuckend zum Telefon, das am Boden lag. Wenigstens gab es auf Meouit keine Bildsprecher.
Beim fünften Summlaut nahm die Frau ab und sagte:»Reederei Durkh.«
»Tut mir leid, ich verstehe die Sprache nicht«, ertönte eine vertraute, hohe Stimme. »Sprechen Sie Standard?«
»Selbstverständlich, Sir«, sagte die Agentin im Ton einer geschulten Sekretärin. »Was können wir für Sie tun?«
»Wir können mich mit Bürgerin Tourifreet verbinden, wenn Sie so freundlich wären«, erwiderte der Anrufer. »David Korf am Apparat.«
»Ah — ach ja, Augenblick, Sir.«Die Rhone sah Mavra fragend an und drückte auf einen Knopf.
»Also?«sagte Mavra zu den anderen. »Was haltet ihr davon?«
»Ich würde sagen, seine Neugier hat ihn überwältigt«, gab Marquoz zurück. »Entweder das, oder sein nächtlicher Ausflug hatte den Zweck, ihm günstigere Chancen zu verschaffen.«