»Aber was soll ich tun — wenn man das alles berücksichtigt?«
Der Chugach zog die Schultern hoch.
»Beim ursprünglichen Plan bleiben. Schließlich wollen wir mit ihm ja nur reden.«
Sie nickte und ging zum Telefon, drückte wieder auf den Knopf und sagte freundlich:»Tourifreet.«
»Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Bürgerin«, erwiderte Korfs Stimme liebenswürdig. »Sie wollten geschäftlich mit mir sprechen?«
»Nur Tourifreet, bitte«, sagte sie beiläufig. »Wir verzichten auf Titel. Ja, hm, ich habe meinen Vater angerufen und alle Einzelheiten geklärt. Zwanzig Standard-Behälter, landwirtschaftliche Erzeugnisse.«
»Nicht gerade viel«, sagte er enttäuscht.
»Ich verstehe nichts davon, aber wir haben nichts dagegen, wenn Sie daneben noch andere Fracht übernehmen.«
»Zielhafen?«
Erstaunlich, wie er weiterspielt, dachte sie.
»Tugami — an der Grenze. Neue Route, ziemlich weit draußen, aber interessant, sagt mein Vater.«
Sie konnte im Hintergrund Stimmen hören, wie in einem vollen Büro oder auf einem Marktplatz. Dann raschelte Papier, und er sagte:»Ah ja. Sehe schon. Ich habe in meinem Navigationslog nicht alle Grenzwelten. Ja, gut. Ich glaube, ich kann kleineres Rhone-Frachtgut für die Fahrtunterbrechungen aufnehmen. Es eilt nicht?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Dann ist es gut. Einigen wir uns auf die Bedingungen und unterschreiben heute die Papiere? Ich möchte morgen um sechs abfliegen.«
Sie widerstand der Versuchung vorzuschlagen, sich zum Abendessen zu treffen. Das Rhone-Essen unterschied sich vom menschlichen beträchtlich, und außerdem würde er seine eigenen koscheren Mahlzeiten einnehmen müssen, wenn er Korf blieb.
»Warum kommen Sie hier nicht vorbei, wenn Sie frei sind? Irgendwann heute nachmittag oder am frühen Abend«, schlug sie vor. »Ich habe nicht viel anderes zu tun.«
»In Ordnung, wenn Sie mir den Weg beschreiben«, erwiderte er unbeirrt. »Sagen wir, in einer Stunde? Ich nehme an, Sie befinden sich in der Nähe der Hafenbehörde.«
»Ganz nah«, bestätigte sie und beschrieb ihm genau den Weg. Sie verabschiedeten sich mit den üblichen Floskeln, dann wandte sie sich den anderen zu. »Was haltet ihr denn davon?«fragte sie.
Marquoz lachte trocken.
»Das war sehr unterhaltsam. Man muß sich das vorstellen! Sie sind eine Schwindlerin, er ist ein Schwindler, jeder weiß es vom anderen — und trotzdem klang das Gespräch völlig überzeugend. Ich hätte Euch beinahe selbst geglaubt. Nicht zu fassen!«Er lachte in sich hinein.
»Glauben Sie, daß er kommt?«fragte die Olympierin nervös.
Marquoz nickte.
»Ganz bestimmt. Auf jeden Fall. Die Sache macht ihm auch noch Spaß, merken Sie das nicht?«Er wurde plötzlich ernst. »Aber er wird nicht blind daherkommen. Wenn er da drüben die Straße herunterkommt und über den Platz geht, können Sie sicher sein, daß er bewaffnet ist und ausgerüstet mit einem Sack voll Tricks und daß er vermutlich seine Freunde schon in Stellung gebracht hat. Das ist ein gefährlicher Mann — so tollkühn in eine Falle zu laufen, die er kennt. Wir sollten ihn nicht wieder unterschätzen.«
Sie waren sich alle einig. Mavra ging zur Tür und öffnete sie ein wenig. Es lag Schneematsch auf den Straßen und war immer noch ein wenig kalt, aber die Wolken waren aufgerissen, und die Sonne schien so hell auf den Schnee, daß die Augen schmerzten.
»Oben auf dem Dach ist Talgur mit einem Betäubungsgewehr samt Zielfernrohr«, sagte Mavra und deutete auf die einzelnen Stellen. »Da drüben ist Galgan, ebenso bewaffnet, dort auf dem Turm, oder was das sein soll, Muklo. Dazu wir hier, während Tarl und Kibbi ihn beschatten. Sollte genügen.«Sie schloß die Tür.
»Zuviel«, fauchte eine olympische Stimme hinter ihnen. Betäubungsstrahlen fauchten zuckend durch das Lagerhaus, als wohlverteilte Olympierinnen die Besatzungsmitglieder Mavra und Marquoz mühelos niederschossen. Die Athene schaute sich befriedigt um, dann wandte sie sich den anderen zu. »Die drei auf dem Dach. Ihr wißt, was ihr zu tun habt.«
Sie nickten und hasteten zu den Ausgängen im ersten Stock hinaus, mit denen sie sich vertraut gemacht hatten. Nach weniger als zehn Minuten waren alle wieder da.
»Sie schlafen, bis es dunkel wird«, versicherte eine der Aphrodites.
»Die Punkte waren gut ausgewählt«, stellte die Anführerin fest. »Geht auf das Dach und den Turm — das sind die besten Stellen, gleichgültig, welchen Weg er nimmt. Schießt die Beschatter nieder und jeden anderen, der in den Weg kommt, auch. Volle Betäubung!«
»Und wenn sie gegen Betäubung gepanzert sind?«fragte eine der Olympierinnen.
»Dann tötet sie.«
»Wo werden Sie sein?«
»Auf dem Platz draußen«, erwiderte sie. »Ich werde eine Statue werden, bis er nah genug herankommt, daß man ihn berühren kann. Dann und erst dann werde ich die Heilige Frage stellen.«Sie lächelte breit, während ihre Augen fanatisch funkelten. »Und diesmal wird die Antwort die wahre sein, Schwestern! Erlösung und Paradies warten auf uns!«
Die Anführerin blickte über den Platz. Alles war bereit, stellte sie fest; ihre Schwestern befanden sich in Stellung, und sie selbst verschmolz mit dem Schatten einer hohen Statue fast zur Unsichtbarkeit. Solange sie sich nicht bewegte, würde niemand sagen können, wo sie stand. Die Kälte störte sie nicht im geringsten; auf Olympus hätte das Schneegestöber von Meouit als Hochsommer gegolten. Der dumme, kleine Echsen-Polizist und das arrogante Weibsbild, die Brut des Bösen und seiner Helfer, waren zum Schweigen gebracht. Ihr Wort! So, als binde ein Wort, das man dem Bösen verpfändete. Die Heilige Mutter hatte recht gehabt. Sie hatte das alles sorgfältig geplant, und sie selbst und ihre Schwestern hatten es ausgeführt. Fehler waren keine gemacht worden. Alles war vollkommen. Tatsächlich hatte sie zwei Fehler gemacht. Einer davon war begreiflich; ihre Religion erlaubte ihr nicht den Glauben, Nathan Brazil werde andere einsetzen, um unliebsame Überraschungen zu verhindern; auf anderen Dächern saßen jetzt drei sehr grimmige Raumfahrer, mit denen er sich in der vergangenen Nacht in Verbindung gesetzt hatte, und verfolgten alles. Das scheinbare Verschwinden der Anführerin mitten auf dem Platz hatte sie überrascht, aber die anderen, die ihre Waffen nach unten richteten, waren deutlich sichtbar.
Der zweite Fehler bestand darin, vergessen zu haben, daß der Betäubungspegel auf die durchschnittliche menschliche Körpermasse eingestellt war; Rhone, was Mavra und alle ihre Besatzungsmitglieder jetzt waren, hatten viel größere Leiber und bedurften einer stärkeren Ladung. Was Menschen — und trotz seines Gewichts auch Marquoz — stundenlang niederwarf, begann bei den betäubten Rhone, Mavra eingeschlossen, im Lagerhaus nach dreißig Minuten abzuklingen. Es war etwa so, als erwache man mit einer Körperzelle nach der anderen, aber Bewußtsein, Schmerz und Bewegungsfähigkeit kehrten langsam in sie zurück.
Der Mann, der sich für David Korf ausgab, stand zwei Häuserblocks entfernt und blickte die Straße hinunter. Ich komme mir vor wie Grenzer-Rabbi, der Zwei-Colt-Weise aus dem Talmud, dachte er Absurderweise. Er hatte einen großen Teil der Polsterung entfernt und konnte ihn blitzschnell abwerfen. Die Taschen waren aufgeschnitten, so daß seine Hände darin auf zwei überaus wirksamen Kom-Maschinenpistolen ruhten, bei denen man nicht einmal mehr zu zielen brauchte. Sie waren von der Sorte, wie eigentlich nur Polizisten sie haben durften.
Er sprach in das Funkgerät in der rechten Hand.
»Wie sieht es aus, Paddy?«
»Tja, Unschuldige sind keine dabei, auch wenn’s stört«, erwiderte eine heisere Stimme. Die meisten alten Raumfahrer hatten irgendeine Macke; Paddy, dessen Steckenpferd Folksongs waren, hatte vor langer Zeit entschieden, daß er Ire sei, und verhielt sich auch so, trotz der Tatsache, daß er eine der schwärzesten Afrikanerhäute besaß, die je erblickt worden waren. »Sieht sich ganz nach ’ner Versammlung aus.«