»So ist es besser für sie«, sagte Nathan Brazil zu ihrer Überraschung. »Das Leben ist ohnedies eine Tragödie.«Er schien Nikkis Tod ernsthaft zu bedauern.
»Man hält Sie für Gott«, murmelte sie und sah ihn an. »Gibt es ein Leben nach dem Tod, wo sie Glück finden könnte?«
Zu ihrer Verwunderung antwortete er.
»Wenn ich ganz ehrlich sein soll, ich weiß es nicht, weil ich diesem Leben nicht entkommen kann«, sagte er leise. »Die Mathematik läßt eine solche Möglichkeit zu, aber — wer weiß? Die Hinweise sind widersprüchlich. Übrigens spielt das keine Rolle — selbst das würde ausgelöscht werden, wenn dieser Sektor verschwindet.«
Das war zu bedrückend, und niemand wollte sich damit befassen.
»Auf den Schirmen werden sie nicht viel sehen«, erklärte Obie. »Ich programmiere die Olympier um. Nathan Brazil ist gefunden worden und hat das Sagen, und er stellt ihnen neue Aufgaben. Sie werden seine Befehle ausführen — sie werden mit Freuden alles tun, was wir von ihnen verlangen. Ihr anderen übernehmt die Rollen von Heiligen. Sie werden Euch verehren, wie sie es bei ihm getan haben.«
»Das birgt Möglichkeiten, wissen Sie«, murmelte Brazil. »Ein ganzer Planet voll Superfrauen, die alles tun werden, was ich von ihnen verlange. Zum Henker mit der Pornographie!«
Ganz plötzlich hörten sie ein gewaltiges Summen; der große Schacht außerhalb vibrierte, die Wände des Kontrollraums erzitterten. Nur das Bild des Planeten auf den Schirmen blieb unbewegt. Die ungeheure Macht von Gil Zinders Schöpfung kam zum Einsatz.
Dann ging ein starkes Beben durch Nautilus. Der Planet setzte sich in Bewegung. Die Vibration war so heftig, daß sie die Bewegung nur wahrnahmen, weil der Planet auf den Bildschirmen sich langsam zu drehen schien. Er erweckte den Anschein, von starkem Glanz eingehüllt zu sein. Die Vibration dauerte einige Minuten an, bis Obie Olympus völlig umrundet hatte, dann verging sie langsam.
»Es ist geschehen«, teilte Obie mit. »Wir haben jetzt bereitwillige Mitarbeiter — zu Millionen.«
»Das Ganze erscheint ein wenig unmoralisch«, bemerkte Brazil verdrießlich. »Ein Schlag, und augenblicks herrscht rassische Sklaverei.«Er wirkte ernsthaft verstört. »Wenn ich die ganze Macht dieses Dings begriffen hätte, wäre ich zu der Party bei Trelig gekommen.«
Mavra sah ihn erbost an.
»Ein schöner Augenblick, um das zu erkennen«, fauchte sie.
»Ist das wahr?«fragte Yua staunend. »Bin ich für mein Volk jetzt eine Göttin?«
»Es ist wahr«, versicherte Obie.
»Aber — wie wird man mich von den anderen unterscheiden?«
»Niemand auf dem Planeten hat einen Schweif oder irgendeine Erinnerung daran, daß jemals irgend jemand auf Olympus außer Ihnen einen Schweif hatte«, sagte Obie. »Der Schweif ist Ihr göttliches Attribut.«
Marquoz lachte leise. »Unsere kleine Emanze scheint nur allzugut in ein größeres Universum zu passen als in jenes, in das sie hineingeboren wurde«, murmelte er. Zigeuner kicherte.
»Bitte, kommen Sie jetzt alle ins alte Labor«, sagte Obie. »Ich muß verschiedene Dinge tun und sagen. Vorsicht, wenn Sie um die Ecke gehen; der Hauptschacht ist sehr heiß.«
Das war er, heiß wie ein Ofen. Diejenigen, die schwitzen konnten, waren nach wenigen Schritten schweißnaß.
Das alte Labor wirkte nach dem Dampfbad eiskalt, und sie standen alle da und keuchten eine Weile.
Mavra schaute sich hustend um und sah auf dem Laufgang eine Reihe von Besatzungsmitgliedern mit Gewehren. Sie wurde ängstlich; Obie hatte sich seit dem Beginn des Problems im Raum-Zeit-Kontinuum sehr merkwürdig benommen, und diese Entwicklung gefiel ihr gar nicht.
»Bitte, gehen Sie hinunter«, sagte Obie. Sie gehorchten, warfen Blicke auf die bewaffneten Wachen und fragten sich, was das bedeuten mochte. Kurz danach standen sie vor dem Podium. Sie konnten die kleine Parabolanlage sehen.
»Bitte, verzeihen Sie die Bewacher«, sagte Obie, »aber ich rechne mit einigem Widerstand gegen das, was geschehen muß, und da ich damit rechne, heute sterben zu müssen, möchte ich, daß niemand in der Lage ist, etwas zu verändern.«
»Obie!«schrie Mavra auf.
»Ich muß, Mavra«, sagte er beinahe flehend. »Ich will das nicht tun. Ich will nicht sterben, Mavra. Niemand will es. Aber… ich glaube, ich muß. Ich weiß es nicht. Vielleicht sterbe ich auch nicht. Wir werden sehen. Aber ich muß mich so verhalten, als wäre das der Fall.«
Nathan Brazil schien durch Obies Erklärung nicht beunruhigt zu sein.
»Wozu das ganze Theater, Obie? Ich werde es nicht tun, das weißt du — und du weißt auch, daß du mich nicht dazu zwingen kannst.«
»Sie sprechen Ihr Herz aus, Brazil«, antwortete der Computer, »worum ich Sie beneide. Ich habe, im poetischen Sinn, auch ein Herz, aber ich bin durch meine Realisierung als gigantische Maschine verflucht. Maschinen sind so gebaut, daß sie logisch denken, den ganzen Quatsch mit unvorstellbarer Geschwindigkeit überwinden und die nötigen Informationen beschaffen. Wir Maschinen können weder Fakten noch Logik ignorieren. Sie sind immer da, stets vor den Fingerspitzen, bildlich gesprochen. Ich kann gleichzeitig Quintillionen verschiedene Berechnungen ausführen. Ich habe kein Unbewußtes — nur ein unendlich großes Bewußtsein. Ich kann traurig, ich kann glücklich sein. Ich kann den Tod meiner armen Schwester betrauern, ich kann Angst um mich selbst empfinden, ich kann Liebe und Haß und Mitleid spüren. Aber ich kann meine Emotionen nicht dazu gebrauchen, wie ihr, vor der Wahrheit zu flüchten. Ihr kommt alle zurecht, weil ihr die Fähigkeit habt, in euren Gehirnen umzuschichten, die Dinge durch eure Gefühle neu auszulegen — ein wenig psychotisch zu sein, wenn Sie wollen. Ich kann das nicht. Ich bin nicht so konstruiert worden, sosehr ich Sie auch um diesen Zug beneiden mag. Ich bin stets völlig bei Verstand. Das ist mein Fluch. Das ist der Faktor, der mich anders — nicht allein schneller — macht als Sie alle.«
Sie sagten nichts; es war klar, daß niemand wußte, worauf Obie hinauswollte.
»Ich sage, daß Nathan Brazil wieder in den Schacht der Seelen gehen muß«, fuhr Obie fort. »Er muß den Schacht von der Energiequelle abkoppeln. Das wird die letzten, sagen wir… grob gesprochen, die letzten zehn Milliarden Jahre ungeschehen machen, und zwar schlagartig. Alles, was wir wissen und kennen, wird aufhören zu existieren. Dann muß Brazil den Schaden beheben und dem Schacht die Möglichkeit geben, sich selbst zu reparieren. Er muß das tun, weil, wenn er es sofort oder in nächster Zukunft tut, er mit völliger Gewißheit in der Lage sein wird, die Schacht-Welt zur Wiedererschaffung des Universums zu gebrauchen. Es wird natürlich am Ausgangspunkt neu beginnen, für die markovischen Rassen und für die Kräfte der Evolution, die als Antwort auf ihre vorausbestimmten Naturgesetze neue Formen hervorbringen. Wenn er wartet, wie er das jetzt tun möchte, läuft Brazil eine einundzwanzigprozentige Gefahr, daß der Schacht innerhalb der nächsten Jahrzehnte einen Kurzschluß erleidet. Das bedeutet eine neunundsiebzigprozentige Chance, daß das nicht der Fall sein wird, und daran klammert er sich. Ich bin der Meinung, daß eine Chance von fünf zu eins ein zu großes Risiko darstellt, als daß man sich darauf einlassen dürfte. Sehen Sie, wenn der Schacht einen Kurzschluß erleidet, wird er über jede Möglichkeit einer Reparatur hinaus beschädigt sein. Es kann keine Wiedererschaffung geben. Es kann nur Dunkelheit geben, und Leben wird nur noch auf der Schacht-Welt selbst existieren. Für immer.«
Marquoz, Yua, Zigeuner und Mavra sahen Brazil an.
»Ist das wahr?«fragte der kleine Drache.
»Ich bin bereit, das Risiko zu tragen«, erwiderte Brazil ruhig. »Es steht fünf zu eins, daß die meisten Rassen des Universums die Jahrmillionen bekommen werden, die sie verdienen.«
»Aber es besteht eine Chance von eins zu fünf, daß geschieht, was er sagt?«setzte Marquoz nach.