Nathan Brazil seufzte.
»Verdammt noch mal, ich werde das nicht tun, und Schluß!«
»Bei drei werden die Bewaffneten Sie niederschießen«, sagte Obie tonlos. »Die Gewehre sind auf Nadelbetäubung eingestellt. Es wird weh tun — sehr weh. Und wenn Sie sich nicht mehr helfen können und starke Schmerzen haben, werden sie hinuntersteigen und Sie auf das da hinaufwerfen. Jetzt ist der Zeitpunkt für uns beide, Nathan Brazil. Eins… zwei…«
Brazil blickte unsicher auf die Bewaffneten und sprang auf die Plattform.
»Was für ein Haufen von melodramatischem Scheiß«, murmelte er trotzig, aber er wirkte nervös.
Das violette Leuchten griff hinunter und hüllte den kleinen Mann ein, dann war er verschwunden.
»Obie! Nein!«schrie Mavra auf und stürzte zur Plattform, aber es war schon zu spät. Brazil war fort.
Sie warteten. Mavra lauschte auf Explosionen, Vibrationen oder andere Anzeichen schrecklicher Vorgänge in Obie, aber sie hörte nur das ruhige, allgegenwärtige Summen einer Maschinenwelt. Vielleicht würde Obie nichts passieren.
Obie, der einen Planeten in ein, zwei Stunden umgestalten konnte, verbrachte vier mit Brazil in seinem Inneren, ohne sichtbares Zeichen für ein Ende. Die Nerven der Zuschauer wurden strapaziert; Yua ging unablässig hin und her, Marquoz und Zigeuner spielten Romme, ohne auf die Karten zu achten, und Mavra wurde schließlich so gereizt, daß sie anfing, die Wachen zu beschimpfen, obwohl sie wußte, daß sie unter geistigem Zwang von Obie standen. Sie nahmen ihren Ausbruch geduldig hin, und als sie verstummt war, gingen zwei von ihnen an die Oberfläche, um für die anderen Essen und Trinken zu holen.
Zeit verging. Yua schlug vor, man möge sich ausruhen, aber die anderen lehnten ab, sogar Zigeuner.
»Ich weiß nicht, wie Ihr denkt«, sagte Marquoz zu der Runde, »aber ich bleibe hier, bis die Hölle gefriert. »Ich muß wissen, wie das ausgeht.«Er warf einen Blick auf Mavra. »Wissen Sie, wenn Obie wirklich etwas zustößt, bleiben Sie von jetzt an eine Rhone-Frau.«
Daran hatte sie noch gar nicht gedacht.
»Es spielt keine Rolle«, sagte sie schließlich. »Wenn Obie uns nicht zur Schacht-Welt bringen kann, müssen wir ohnehin durch ein Markovier-Tor hinein. Das heißt, wir müssen durch den Schacht und werden auf jeden Fall in andere Wesen verwandelt. Und diesmal werden wir für den Rest unseres Lebens bleiben, was er uns zudiktiert.«
Der Gedanke hatte etwas Ernüchterndes an sich.
Zigeuner lachte leise.
»Ja, Marquoz, und du wirst in einen Menschen verwandelt.«
»Gott behüte!«sagte der kleine Drache naserümpfend. »Die Chancen stehen eins zu siebenhundertachtzig, glaube ich. Verlaß dich nicht drauf. Vergiß nicht — du könntest ein Chugach werden.«
»Ach du liebe Güte!«sagte Zigeuner mit gespieltem Entsetzen. »Immerhin wären dann die Zigaretten leicht anzuzünden. Oder gibt es auf dieser Schacht-Welt keine?«
Yua wandte sich Mavra zu, die mit ihrem Pferdeleib alle anderen überragte.
»Sie sind schon dortgewesen«, sagte sie. »Wie ist es da?«
Mavra lächelte trüb.
»Eigentlich wie überall. Stellt euch einen Planeten vor, der aus vielen kleinen Planeten besteht — genau fünfzehnhundertsechzig Stück; am Äquator der Schacht-Welt ist jeder ungefähr sechshundertfünfzehn Kilometer breit — nach den Polen hin verschiebt sich das ein wenig. Jeder hat die Form eines Sechsecks — die Markovier hatten eine Macke, was die Sechs betrifft. Jeder mit seinen eigenen Pflanzen, Insekten, was man will, und alle mit verschiedenen dominierenden Rassen. Alle, die auf Kohlenstoff aufgebaut sind, befinden sich südlich des Äquators — insgesamt siebenhundertachtzig. Die nördlich des Äquators beruhen nicht auf Kohlenstoff. Dort ist alles möglich.«
»Und man kann zwischen ihnen wechseln?«
Mavra nickte.
»Das ist wie eine unsichtbare, ungreifbare Wand. Auf der einen Seite kann es eiskalt, auf der anderen glühend heiß sein. Aber Flüsse, Bergketten und alles mögliche läuft ohne Rücksicht auf Grenzen hindurch. Hört sich an wie eine Welt aus lauter Kästen, aber das ist nicht der Fall — die Küsten sind unregelmäßig; Erosion, Ablagerungen und vulkanische Kräfte wirken dort wie anderswo. Jedes Sechseck ist ein künstliches Gebiet, für die von den Markoviern bestimmte Lebensform ökologisch ideal. Mutmaßlich war jedes ein kleines Labor. Markovische Techniker dachten sich die Welten aus, richteten sie ein und verfolgten die Entwicklung, um zu sehen, ob sie lebensfähig waren. Wetter, Klima, Atmosphäre, alles für eine bestimmte Kategorie von planetarischen Bedingungen optimal eingerichtet. Es gibt auch Behinderungen — in manchen Sechseck-Welten funktionieren keine Maschinen, wenn sie nicht von Muskelkraft betrieben werden, in anderen nur begrenzte Maschinerie wie Dampfmaschinen — und in manchen funktioniert alles, so wie hier. Diese Rangfolge der Technologien sollte wohl bestimmte Hilfsmittel — oder ihren Mangel — ausgleichen, die neue Rassen auf den zu besiedelnden Planeten vorfinden würden. In manchen Fällen auch Magie — die Fähigkeit, einige Kräfte durch den Schacht zu steuern. Künstliche Magie, gewiß, aber nicht weniger wirklich, weil nur die eine Rasse sie anwenden kann. Es könnte auch andere Erschwernisse gegeben haben.«
»Man möchte glauben, daß sie kämpfen wie die Wilden — oder sich blind vermehren«, meinte Marquoz.
»Der Schacht kontrolliert die Bevölkerung und hält sie für jedes Sechseck bei ungefähr einer Million«, erklärte Mavra. »Wenn etwas auftritt — Krieg, Seuche, Naturkatastrophe —, das eine Gruppe dezimiert, dann vermehren sie sich wie die Kaninchen, bis der Verlust ausgeglichen ist. Was Kriege betrifft — nun, es hat kleinere Auseinandersetzungen gegeben. Die Menschen dort entwickelten eine hochtechnologische Zivilisation, der schließlich die Rohstoffe ausgingen, so daß sie die nicht-technologischen Ambreza nebenan angriffen. Die Ambreza fanden ein Gas einer fremden Rasse aus der nördlichen Halbkugel — allerdings sind alle Nordländer fremdartig, selbst nach den Maßstäben der Schacht-Welt — und jagten die Menschen damit ins Steinzeitalter zurück, worauf sie mit ihnen die Sechsecke tauschten. Die Menschen sind primitiv und in Stämmen zusammengeschlossen — das waren sie jedenfalls bei meinem letzten Aufenthalt — und werden von den Ambreza in diesem Zustand erhalten, die die Rohstoffe ihres früheren Landes und die Technologie der menschlichen Vergangenheit genießen. Ein wichtiges Exportgut ist Tabak, Zigeuner. Er kommt nicht überall vor, ist aber bekannt und wird hoch geschätzt. Das kann aber ein teurer Genuß werden.«
»Es muß doch aber auch größere Kriege geben«, warf Marquoz ein. »Das hätte ich für natürlich gehalten.«
»Vielleicht für natürlich«, sagte Mavra, »aber ich weiß nur von zwei solchen Kriegen. Es gab einen berühmten Eroberer, der Schwierigkeiten hatte, weil seine Hoch-Tech-Waffen in einer Mehrheit von Sechsecken nicht funktionierten — eine nicht wirksame Laserpistole ist eine schlechte Waffe gegen einen geübten Bogenschützen — und manche Sechsecke waren so ungemütlich, daß seine Nachschublinien zu lang wurden und nicht aufrechterhalten werden konnten. Das war die große Lehre — man kann die Schacht-Welt nicht erobern. Als Obie und ich das letztemal dort waren, brach ein Krieg aus, der darum ging, die Fährrakete zu erlangen, die einige von uns hinuntergebracht hatte. Man wollte Obie erreichen und unter Kontrolle bringen. Auf der Schacht-Welt funktioniert Raumfahrt einfach nicht, wenn sie von Grund auf entwickelt wird, aber das war ein fertiges Raumfahrzeug. Der Krieg war blutig und brutal, regelte aber nichts, weil die Raumfahrtantriebe von einer Eremitenrasse zerstört wurden, die der Meinung anhing, niemand sollte sie haben.«