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Es blieb lange still.

»Ich glaube, ich gehe hinaus und fresse den Rasen ab oder sonst etwas«, sagte Mavra schließlich. »Es wird langsam Zeit, daß wir an die Arbeit gehen.«

Als sie in die große Halle zurückkam, stieß sie auf Nathan Brazil. Die Schneiderwerkstatt hatte ein schwarzes Pulloverhemd und Shorts gefunden, die ihm paßten, und ein Paar Plastiksandalen dazu. Seine Haare waren kurzgeschoren, und er war glattrasiert, nicht groß, höchstens 1,70 m, zierlich und mager, trotz kräftiger Schultern und starker, sehniger Arme.

Er sah sie an, nickte und lächelte schwach.

»Wie geht es, Urenkelin?«grüßte er leichthin.

»Ich lebe noch«, erwiderte sie kalt. Obie hatte in dieser Beziehung recht gehabt; sie waren einander zu ähnlich, um sich wohl zu fühlen, wenn sie beieinander waren.

»Überleben ist alles, wozu wir imstande sind«, gab er zurück. »Ich habe eine kleine Sitzung anberaumt, die anderen werden gleich kommen. Der Mangel an Material behindert mich sehr. Alles steckte in Obie. Wann sind Sie auf der Schacht-Welt gewesen?«

»Vor über siebenhundert Jahren«, erwiderte sie. »Wir haben dort gelegentlich ein wenig Ausschau gehalten, aber das war vor allem Obies Sache. Es ging ganz leicht. Zumeist hörten wir nur Sendungen ab. Ortega und Doktor Zinder hatten beide Sender, die uns erreichen konnten, aber Obie benützte sie nie. Wir waren von der Kom-Polizei angeblich zerstört worden. Obie fand, es sei für alle besser, wenn man ihn für tot hielt. Ich mag die Welt nicht, kannte Zinder kaum und bin Ortega nie begegnet — obwohl ich weniger Grund hatte, ihn zu mögen, als jeder andere.«

Brazil lächelte.

»Noch immer böse auf den alten Halunken? Ich dachte, Sie wären sich inzwischen klar darüber, daß Sie an seiner Stelle genau so mit ihm verfahren wären, wie er mit Ihnen. Ich würde dem alten Knaben aber nie unterstellen, daß er ein Gewissen besitzt.«

»Sie kennen Ortega?«fragte sie erstaunt.

Er nickte.

»Gewiß. Hab’ schon allerhand mit ihm erlebt. Er war das letztemal auf der Schacht-Welt, als ich mich dort aufhielt — zuerst mein Empfangskomitee, später dann mein Gegenspieler. Da hätte er schon tot sein sollen, aber auf irgendeine Weise muß er überlebt haben.«

»Irgendein magischer Zauber, wie ich hörte. Aber er ist Gefangener in Zone, obwohl er dort das Kommando führt.«

»Dann ist er sicher noch dort und hat noch mehr zu sagen«, stellte Brazil fest. »Das kann gut sein, oder es ist eine Katastrophe, und ich kann vorher nicht wissen, was. Verdammt! Das Schlimmste am Verlust von Obie ist, daß wir da völlig blind hineinfliegen. Ich werde von den Bedingungen auf der Schacht-Welt nichts wissen, bis ich dort bin. Ein echtes Kriegsspiel. Das habe ich nie gemocht.«

»Kriegsspiel?«

»Schach. Kennen Sie das Spiel? Nur sitzen die Gegenspieler Rücken an Rücken am Brett, und ein Schiedsrichter sagt einem, daß der Gegner einen zulässigen Zug getan hat. Aus den unzulässigen muß man entnehmen, wo die Figuren des Gegners stehen. Und wir haben hier keinen Unparteiischen.«

»Das klingt ganz so, als müßten wir auf der Schacht-Welt wieder einen Krieg ausfechten«, sagte sie ein wenig verwirrt. »Ich bin nicht sicher, daß ich mich hier schon auskenne.«

»Vermutlich wird es so sein«, sagte er und hob den Kopf. »Da kommen die anderen drei. Wenn alle es sich bequem machen, will ich erklären, worum es geht.«

* * *

»Zuerst wollen wir unsere eigene Lage genau festlegen«, begann Brazil. »Erstens muß ich von einem Sechseck im Süden der südlichen Halbkugel zu einer Avenue, einem Zugang zum Schacht der Seelen am Äquator. Der kürzeste Weg beträgt über viertausendneunhundert.«

»Aber warum so weit, wenn Sie entschuldigen?«unterbrach ihn Marquoz.

»Verständliche Frage. Ich vergesse immer wieder, daß Sie davon nichts wissen können. Nur Mavra und ich sind je dort gewesen, also muß ich aufs Wesentliche zurück. Die Schacht-Welt ist eine Konstruktion. Sie wurde vor knapp über zehn Milliarden Jahren geschaffen, von einer Rasse, die Sie als die Markovier kennen. Die Geschichte ist Ihnen bekannt — wir stoßen bei unserer Ausdehnung immer wieder auf die Überreste ihrer toten Planeten. Städte, ja, aber keinerlei künstlich angefertigte Gegenstände. Keine Maschinen, keine verdorbene Nahrung, keine Kunstwerke, nicht einmal Töpfereiwaren. Nichts. Der Grund ist ganz einfach. Die Markovier waren die erste Rasse, die sich aus dem Urknall, dem Beginn des Universums, entwickelte. Sie entwickelten sich in normalem Tempo, oder infolge der örtlichen Bedingungen vielleicht ein wenig schneller, und durchliefen die meisten Stadien, die unsere Völker durchgemacht haben. Bis das Universum knapp zweieinhalb Milliarden Jahre alt war — ich weiß, das hört sich nach einer langen Zeitspanne an, aber im kosmischen Maßstab ist das nicht der Fall —, hatten sie sich ausgebreitet und praktisch jeden Winkel ihrer Ecke des Alls erforscht. Da sie das Ende der Ausbreitung erreicht hatten, wandten sie sich nach innen und entwickelten schließlich einen Computer, dem sie alle geistig angeschlossen waren. Sie entfernten die Kruste von jedem ihrer Planeten und ersetzten sie durch eine gegossene, quasi organische Substanz mit einer Dicke von zwei Kilometern — dem Computer —, dann programmierten sie ihn mit praktisch allem, was sie wußten. Sie schlossen sich mit ihren Gehirnen an und — peng! Eine Zivilisation ohne Bedürfnis für irgend etwas Physisches. Sie brachten die alte Kruste über dem Computer natürlich wieder an und bauten Städte, mehr, um den körperlichen Raum, den Besitz jeder einzelnen Person zu umreißen, als zu irgendwelchen nützlichen Zwecken. Dann lehnten sie sich zurück und erträumten sich ihre Häuser — und der Computer schuf sie durch eine Umwandlung von Energie in Materie. Hunger? Stell dir einfach vor, was du möchtest, und der Computer serviert es dir. Kunst? Erschaffe in deinem Geist, was du willst, und der Computer macht es für dich wahr. Keine Bedürfnisse, keine Erfordernisse, das vollkommene materialistische Utopia.«

»Hört sich für mich sehr schön an, wenn auch ein wenig wie Zauberei«, warf Yua ein.

Brazil lachte leise.

»Zauberei? Zauberei ist, etwas zu tun, was der andere nicht kann. Wir können es noch nicht, also ist es Zauberei. Wenn wir lernen, wie es geht, und es begreifen, wird es Wissenschaft. Obie konnte es natürlich. Das entdeckte Gilgram Zinder, sein Erbauer — dieselben Grundlagen, nach denen die markovischen Computer arbeiteten. Obie war selbstverständlich nur ein winziger, primitiver Prototyp, verglichen mit den markovischen Anlagen, aber innerhalb seiner Grenzen konnte er dasselbe leisten. Zinder war nicht der erste, der auf die markovische Geschichte stieß, nur der erste, der in der Lage war, eine Maschine zu bauen, welche die Umwandlungen bewerkstelligen konnte.«

»Aber die Markovier sind alle tot«, sagte Zigeuner.

»Ja, alle tot«, sagte Brazil. »Sie wurden langweilig, fett, faul und stagnierten. Meine neueste Theorie ist die, daß sie zuviel Zeit angeschlossen an ihre Computer verbrachten und dazu neigten, mit einem Teil ihrer Anlagen zu verschmelzen. Dies zwang sie, sich der Tatsache zu stellen, daß sie das Ende des Weges erreicht hatten, alles getan hatten, wozu sie imstande waren, an dem Punkt angelangt waren, zu dem alle Rassen streben — und daß dort nichts war. Keine Herausforderung. Nichts, worauf man sich freuen konnte. Da dieser Gedanke sich bei den Markoviern im ganzen Universum verbreitet und Wurzeln geschlagen zu haben scheint, und zwar innerhalb relativ kurzer Zeit, wird diese Computervorstellung zur logischen. Sie verbrachten sehr wenig Zeit damit, Gott zu spielen, so hat es den Anschein. Ein paar Generationen, nicht mehr. Und dann beschlossen sie gemeinsam, alles hinzuwerfen und von vorne anzufangen.«