»All unsere Datenleitungen hier sagen uns, dass Dr. Watermans Lebenserhaltungssystem noch funktioniert; er ist nicht in Gefahr. Aber die Virtual-RealityVerbindung ist aufgrund einer technischen Störung abgebrochen.«
Pater DiNardo nahm langsam den Helm ab.
Ich war auf dem Mars, sagte er sich. Wenigstens das hat Gott mir gewährt. Ich sollte dankbar sein. Ich hoffe, mit Waterman ist alles in Ordnung, und er ist wirklich nicht in Gefahr. Ich werde für seine Sicherheit beten.
Doch als DiNardo sich mit einer müden Hand über den rasierten Schädel fuhr, standen ihm trotzdem Tränen der Trauer und der Verbitterung in den Augen. Ich hätte der Mann auf dem Mars sein sollen. Ich hätte dort sein sollen.
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
NEW YORK CITY
»Also, wo stehen wir in dieser Sache?«, fragte Roger Newell.
Zwei andere Männer und drei Frauen saßen um den Konferenztisch im Hauptquartier von Allied News. Ihre Kleidung war leger: Pullover, Chino-Hosen und Jeans, nirgends eine Krawatte oder ein Jackett. Newell legte großen Wert darauf, dass im Büro eine lockere Atmosphäre herrschte.
Nachrichten zu sammeln und zu senden war ein Beruf, in dem man ohnehin unter Hochdruck stand; es hatte keinen Sinn, den Stress mit albernen Kleidungsvorschriften noch zu verschärfen.
»Da oben ist alles in Ordnung«, sagte der hagere, träge junge Mann, der links von ihm saß. »Sie sind nicht in Gefahr. Nur die VR-Ausrüstung ist ihnen abgestunken.«
Newell unterdrückte ein Grinsen.
Eine der Frauen – rundlich, übergewichtig, teigiges Gesicht – sagte in lebhaftem, bissigem Ton: »Nach den Umfrageergebnissen von heute früh rangiert die Marsexpedition hinter der Tierrechtskonferenz und dem Streik der Obstpflücker in Florida auf dem dritten Platz.«
»Die alte Geschichte«, sagte die erheblich jüngere Frau neben ihr. Sie strahlte Ehrgeiz aus, von ihren modisch ausrasierten blonden Schläfen bis zu ihren Stiletto-Absätzen.
»Es interessiert die Leute einen feuchten Dreck, was die auf dem Mars treiben, außer wenn sie in Schwierigkeiten geraten.«
»Und wenn ihre VR-Ausrüstung kaputtgeht, sind das keine Schwierigkeiten?«
»Jedenfalls nicht genug.«
»Die Boulevardmagazine sehen das anders«, sagte der Mann zu Newells Rechten. »Habt ihr da gestern Abend mal reingeschaut? Drei Sendungen hintereinander darüber, wie im Untergrund lebende Marsianer mittels psychischer Kräfte die Ausrüstung der Expedition zerstören.«
Die Frau mit dem teigigen Gesicht lachte. »Letzte Woche haben sie behauptet, die Marsianer würden sich unseren Leuten zeigen und ihnen das Heilmittel für Krebs geben.«
Sie kicherten alle, sogar Newell.
Aber dann sagte er: »Dass ihre Ausrüstung den Geist aufgibt, fesselt unsere Zuschauer also nicht, hm?«
»Nee. Die Leute wollen 'ne waschechte Katastrophe.«
»Lebensgefahr.«
»Feuersbrünste und Blut.«
»In Ordnung«, sagte Newell und hob beide Hände. Das muntere Geplauder verstummte sofort.
Er lächelte sie an. »Sie kriegen ihre Virtual-Reality-Sendungen also nicht zu ihren Abonnenten, richtig?«
»Nicht, bis sie die Ausrüstung repariert haben.«
»Ihre Abonnenten müssen also zu uns umschalten, um ihre Neuigkeiten über den Mars zu erfahren, stimmt's?«
»Oder zur Konkurrenz.«
»Und was machen wir? Wir können nicht jeden Abend zehn bis fünfzehn Sekunden darauf verwenden, unserem Publikum zu erzählen, dass auf dem Mars nichts passiert ist.«
»Wir könnten eine kurze Wissenschaftsreportage bringen«, sagte die übergewichtige Frau.
Alle stöhnten. Mit Wissenschaftsreportagen verlor man Zuschauer, daran glaubten sie alle felsenfest. Wissenschaft war langweilig. Mit Wissenschaftsreportagen reichte man das Publikum quasi auf direktem Wege an die Konkurrenz weiter.
»Wollen wir den Mars einfach ganz ignorieren?«
Die älteste Frau am Tisch – sie musste mindestens schon auf die Vierzig zugehen – tippte sich mit einem Zeigefinger ans Kinn. »Ich weiß noch …«
»Was denn?«, fragte Newell.
»Etwas, das sie uns in der Schule gezeigt haben … da war ich – nein! Es war in dem Kurs über Mediengeschichte, den ich vor ein paar Jahren besucht habe.«
»Was denn?«, wiederholte Newell einigermaßen genervt.
»Cronkite hat das gemacht! Ja, so war's.«
»Was denn?«, riefen die anderen im Chor.
»Es gab da irgendeine Krise. Geiseln oder so. Hat sich über ein Jahr hingezogen. Am Ende jeder Sendung hat Cronkite gesagt: ›Das ist der vierundfünfzigste Tag‹, wovon auch immer.«
»So eine Art Countdown?«
»Eher eine Erinnerung. Ein Kalender, sozusagen.«
Newell legte den Kopf schief, ein Zeichen, dass er überlegte. Die anderen blieben stumm.
»Das gefällt mir«, sagte er schließlich. »Am Ende der Abendnachrichten wird der Anchor ab jetzt immer sagen:
›Das ist der vierundfünfzigste Tag, den unsere Forscher auf dem Mars sind.‹«
»Je nachdem, wie die richtige Zahl lautet.«
»Natürlich.«
»An der Formulierung muss noch gefeilt werden, finde ich.«
»Dafür haben wir Autoren«, sagte Newell ein bisschen verstimmt.
»Auf diese Weise erinnern wir das Publikum daran, dass diese Leute noch auf dem Mars sind.«
»Aber wir verschwenden keine Sendezeit mit einer Wissenschaftsstory.«
»Außer, wenn ihnen was zustößt.«
»Oh, wenn sie in Schwierigkeiten geraten, springen wir mit beiden Füßen zugleich rein«, versprach Newell. »Geht doch nichts über echte Gefahr, um die Quoten in die Höhe zu treiben.«
BOSTON
Darryl C. Trumball war viel zu beschäftigt gewesen, um sich die letzte Virtual-Reality-Übertragung vom Mars zu Gemüte zu führen. Er hatte sich die ersten zwei angesehen, die sein Sohn an den ersten beiden Tagen nach ihrer Ankunft auf dem Planeten durchgeführt hatte. Das reichte.
Natürlich hielt er sich auf dem Laufenden, was die Einkünfte aus den VR-Übertragungen betraf. Die ersten beiden Sendungen hatten etwas mehr als zwanzig Millionen Zuschauer gehabt. Zwanzig Millionen zahlende Zuschauer –
zehn Dollar pro Kopf – hatten den Forschern am Tag ihrer Landung auf dem Mars und am darauf folgenden Tag zugesehen, als Dex eine Führung durch die Kuppel veranstaltet hatte, in der sie für die nächsten anderthalb Jahre leben würden.
Und dann war die Zuschauerzahl rasch auf ungefähr drei Millionen geschrumpft. Wer wollte die Steine auf dem Mars schon zweimal oder öfter sehen, außer Schulkinder und spinnerte Weltraumfans? Aber drei Millionen waren ganz ordentlich: Sie brachten der Expedition pro Sendung drei
ßig Millionen Dollar ein.
Natürlich bezahlten nicht alle ihre zehn Dollar, wie Trumball sehr wohl wusste. Es kostete zehn Dollar pro Empfangsgerät, nicht zehn Dollar pro Kopf. Eine Schulklasse von dreißig Kindern bezahlte nur zehn Dollar. Eine Familie konnte ihre zehn Dollar hinlegen und all ihre Verwandten zuschauen lassen. Bars voller Betrunkener zahlten ihren Zehner, und das war's. Trumball kochte bei dem Gedanken, aber es gab keine praktikable Möglichkeit, dieses Nassauern zu unterbinden.
Jetzt war die VR-Ausrüstung ausgefallen. Dieser verdammte Indianer hatte irgendwas kaputtgemacht, als er draußen auf so einem verdammten Felsen herumgeturnt war.
Die sollen bloß zusehen, dass sie das schleunigst repariert kriegen, schimpfte Trumball. Wir verlieren dreißig Millionen Dollar pro Sendung.
NACHMITTAG: SOL 15
»Da ist er!«, rief Dex Trumball.
Jamie saß auf dem Beifahrersitz, während Stacy Deschurowa den Rover die sanfte Steigung des alten Erdrutschs hinauflenkte.
»Dachtest du, er wäre inzwischen weggefahren?«, fragte Trudy Hall fröhlich. Sie saß auf dem Notsitz hinter Jamie, Trumball auf dem Klappsitz hinter Deschurowa.