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»Auch über die Frauen?«

»Ja«, antwortete sie gelassen. »Auch über mich. Manchmal denke ich, ich muss die Verrückteste von uns allen sein.«

»Du?« Er war ehrlich überrascht.

»Ja, ich.«

»Aber du bist so ausgeglichen. Immer guter Dinge und so.«

Sie seufzte. »Irgendwann muss ich dir mal meine Lebensgeschichte erzählen.«

»Jederzeit.«

»Mittlerweile habe ich den Eindruck«, sagte sie, und ihr Ton war jetzt völlig ernst, »dass du ganz gut mit Dex klarkommst.«

»Dex ist gar nicht so schlimm … solange er kriegt, was er will.«

»Er ist ein sehr ehrgeiziger junger Mann und absolut daran gewöhnt, seinen Willen durchzusetzen. Je mehr du ihm nachgibst, desto mehr Forderungen wird er an dich stellen.«

Und welche Forderungen stellt er an dich? wollte Jamie fragen. Aber er verdrängte es und sagte stattdessen: »Als Missionsleiter habe ich die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass keine persönlichen Konflikte entstehen, die sich störend auf die Arbeit der Expedition auswirken.«

»Das ist Unfug, Jamie. Weder du noch sonst jemand kann persönliche Konflikte verhindern. Du hast vier sehr intelligente, hoch motivierte und total individualistische Wissenschaftler unter deiner Fuchtel. Nicht zu vergessen die beiden Astronauten, die ebenfalls ihre Macken haben.«

»Und auch die Ärztin und Psychologin der Expedition.«

»Die auch«, gab Vijay zu.

»Und dir zufolge sind wir alle Beinahe-Irre.«

»Wir leben unter extrem belastenden Bedingungen«, konterte sie. »Wir sind Millionen Kilometer von zu Hause entfernt, Jamie.«

»Wir sind alle dazu ausgebildet, damit fertigzuwerden.«

»Mag sein, aber es wird trotzdem Konflikte geben«, fuhr sie todernst fort. »Du wirst nicht ständig jedermann beschwichtigen können.«

Sie gingen einige Minuten in unbehaglichem Schweigen dahin und passierten dabei das Flugzeug, an dem Rodriguez gearbeitet hatte. Nichts von ihm zu sehen; er muss schon drin sein, dachte Jamie.

»Tja«, sagte er lahm, »die ersten drei Wochen haben wir ja recht gut überstanden.«

Die Sonne tauchte jetzt hinter die Hügel. Sie befanden sich im Schatten. Die Dämmerung war nur kurz, wenn kein neuer Sandsturm die Luft mit Partikeln füllte, die das erlöschende Sonnenlicht streuten. Die Krümmung der Kuppel zeichnete sich gerade eben über dem Rand des Hügels vor ihnen ab. Auf dem Weg zur Luftschleuse drehte Jamie sich um und warf einen letzten Blick auf die rote Welt.

»Ich bin sehr gern hier.« Die Worte überraschten ihn. Er hatte nicht gewusst, was er sagen würde, bis sie ihm von den Lippen purzelten.

Vijay folgte seinem Blick über die Gesteinstrümmer, die über die rostige Landschaft verstreut waren, und die vom Wind geformten Dünen, die darauf warteten, dass der nächste große Sandsturm sie neu strukturierte.

»Es ist so kahl«, sagte sie. »So kalt und trostlos.«

»Ich fühle mich hier wie zu Hause.«

»Das ist doch kein Zuhause, Jamie. Es ist eine sehr fremde Welt, die dich im Bruchteil einer Sekunde töten könnte.«

Er richtete den Blick einen Moment lang auf ihre vom Raumanzug umhüllte Gestalt. »Der Mars ist eine sanfte Welt, Vijay. Er will uns nichts Böses.«

»Warte ab, bis dir die Luft in deinem Anzug ausgeht.«

Er versuchte, die Achseln zu zucken. »Ja, das stimmt natürlich.«

»Jedes Geschöpf will überleben«, sagte sie. »Irgendwann macht sich die Realität bemerkbar. Sie setzt unseren Träumen Grenzen.«

»Mag sein.«

Sie stapften zur schützenden Zuflucht zurück. Jamie sah, wie der runde Buckel der Kuppel bei jedem Schritt ein kleines Stück höher über den Horizont stieg. Er spürte ein gewisses Widerstreben; er wusste, er würde eigentlich lieber über das Dünenfeld gehen, hinaus ins Unbekannte, über das Antlitz dieser roten Welt.

»Du warst mit Joanna Brumado verheiratet, nicht wahr?«

Überrascht von ihrer Frage, antwortete Jamie: »Es hat nicht funktioniert.«

»Gibst du dir die Schuld daran?«, fragte Vijay.

Er blieb stehen, sodass sie ebenfalls stehen bleiben und sich zu ihm umdrehen musste.

»Arbeitest du gerade wieder an meinem psychologischen Profil?«, fragte er kalt.

»Schon möglich.«

»Wenn das so ist: Nein, ich gebe mir nicht die Schuld an der Scheidung. Ich gebe niemandem die Schuld. Es hat einfach nicht geklappt, das ist alles.«

»Ich verstehe.«

»Scheidung in gegenseitigem Einvernehmen. Niemand hat Schuld.«

»Ja.«

Jamie fragte sich, warum er so wütend war. »Ich verstehe nicht, was meine Ehe mit meiner Arbeitsleistung hier zu tun hat. Zum Teufel, die Ehe hat nicht mal drei Jahre gehalten.«

»Tut mir Leid, dass ich gefragt habe«, sagte Vijay. »Ich wusste nicht, dass dich das derart aufwühlen würde.«

»Ich bin nicht aufgewühlt!«

»Nein, das sehe ich.«

TAGEBUCHEINTRAGUNG

Was wirklich schmerzt, ist, dass sie mich nicht respektieren. Sie dulden mich in ihrem Kreis, aber hinter meinem Rücken lachen sie über mich. Ich bin so gut wie jeder von ihnen, aber sie halten mich alle für zweitklassig oder schlimmer. Alle. Ohne Ausnahme.

ABEND: SOL 21

Jamie trank gemächlich eine Tasse dünnen Kaffee. Er war beinahe zufrieden.

»Viertausend Kilometer«, sagte Vijay. »Niemand hat bisher auch nur die Hälfte dieser Distanz geschafft.«

Sie saß als Einzige noch mit Jamie am Tisch in der Messe.

Das Abendessen war vorbei, der Tisch abgeräumt, bis auf ihr Geschirr. Rodriguez und Fuchida waren ins Biologielabor abgezogen, während Trumball, Craig und Deschurowa ins Geologielabor gegangen waren. Sie planten zwei Exkursionen: eine fast viertausend Kilometer weite Fahrt zum Ares Vallis und einen Flug zum höchsten Berg im Sonnensystem. Hall hatte die letzte Schicht im Kommunikationszentrum übernommen, bevor sie alle schlafen gingen.

»Ich glaube, der Ausflug zum Olympus Mons wird bei den Medien größere Aufmerksamkeit erregen«, sagte Jamie.

»Dex ist aber so begeistert über die Bergung der alten Pathfinder-Sonde. Glaubst du, die Medien werden auch begeistert sein?«

Er zuckte die Achseln. »Vermutlich, wenn die beiden erst mal dort sind. Aber Dex und Possum werden etliche Wochen durch die Gegend fahren. Ziemlich langweilig.«

»Außer wenn sie in Schwierigkeiten geraten.«

»Ja«, sagte Jamie. »Das stimmt natürlich.«

Er war ein wenig überrascht gewesen, als die technischen Leiter in Tarawa ihre Zustimmung zu der Fernexkursion gegeben hatten. Gott weiß, was für einen Druck Trumball und die anderen Finanziers auf sie ausgeübt haben, dachte Jamie. Muss ziemlich heftig gewesen sein.

»Glaubst du wirklich, dass der Flug zum Vulkan die Aufmerksamkeit die Medien mehr fesseln wird?«, fragte Vijay.

»Es ist nicht ganz das Gleiche wie die Erstbesteigung des Mount Everest«, erwiderte er, »aber es dürfte eine Menge Interesse erregen.«

Sie schien darüber nachzudenken, bevor sie ihm zustimmte. »Wenn das Virtual-Reality-Gerät funktioniert, können Millionen Menschen mit dabei sein.«

Die VR-Ausrüstung machte seit über einer Woche Mucken.

»Ich hätte nicht auf diesen Felsblock klettern sollen«, gab Jamie zu. »Dabei hab ich wohl irgendwas lose gerüttelt.«

»Das ist der Terminus technicus dafür«, sagte Vijay mit einem Grinsen.

Possum Craig hatte sich das VR-Gerät kurz angesehen und keinen erkennbaren Defekt gefunden. Dennoch funktionierte die Ausrüstung jetzt nur noch sporadisch; eine Weile ging alles gut, dann stellte sie unversehens den Betrieb ein.

»Ich wünschte, Possum hätte mehr Zeit«, sagte Jamie.

»Tarawa macht mir Druck, weil es nur noch so wenige VR-