Jamie fragte: »Meint ihr wirklich, dass ihr das tun solltet?«
»Müsste ganz einfach sein«, sagte Rodriguez lässig, »solange ich nicht wieder in die Nähe des verdammten Lavaschlots komme.«
»Gibt es dort, wo ihr die Bake aufstellen wollt, genug Sonnenlicht?«
Jamie spürte, dass der Biologe in seinem Helm nickte. »Oh ja, das Sims liegt täglich mehrere Stunden in der Sonne.«
»Dann kriegen wir Daten aus dem Innern der Caldera«, half Rodriguez nach.
»Nicht sehr tief im Innern«, setzte Fuchida hinzu, »aber immer noch besser als gar keine Daten.«
»Wollt ihr das wirklich machen?«
»Ja«, sagten sie alle beide. Jamie spürte ihre Entschlossenheit. Es war ihr kleiner Sieg über den Olympus Mons, ihre Art, sich zu beweisen, dass sie keine Angst vor dem riesigen Vulkan hatten.
»Also gut«, sagte Jamie. »Aber seid vorsichtig.«
»Wir sind immer vorsichtig«, sagte Fuchida.
»Jedenfalls meistens«, fügte Rodriguez mit einem Lachen hinzu.
»Wie is der Wetterbericht?«, fragte Wiley Craig.
»Weitgehend unverändert«, antwortete Dex Trumball aus dem Cockpit des Rovers. Er fuhr, während Craig die Überreste des Frühstücks wegräumte und den Tisch wieder in den Boden zwischen den Liegen klappte.
Craig kam nach vorn und setzte sich auf den Beifahrersitz.
Die Sonne war soeben über den zunehmend zerklüfteten östlichen Horizont gestiegen.
»Soll ich fahren?«, fragte er.
»Kommt gar nicht in Frage, Wiley. Ich werde heute den interplanetaren Geschwindigkeitsrekord brechen und dieses Baby auf fünfunddreißig Klicks pro Stunde hochbringen.«
Craig lachte spöttisch. »Dafür brauchste aber 'nen höllischen Rückenwind, Kumpel.«
»Nee, nur 'n bisschen Gefälle.«
»Na, dann viel Glück.«
»Ich mein's ernst, Wiley. Auf dem Weg nach Xanthe fällt das Gelände ab.«
»Klar«, sagte Craig. »Und mit 'ner ordentlichen Brise im Rücken könnten wir wirklich gut vorankommen.«
Trumball warf ihm einen Blick zu. »Check mal die Mail, hm?«
Im Posteingang waren zwei Nachrichten, beide von Stacy.
Die erste informierte sie über Fuchidas Unfall und Rodriguez' Rettungsoperation. Und über die siderophilen Organismen, die der Biologe entdeckt hatte. Die beiden Männer lauschten Halls kurzer Zusammenfassung und sahen sich dann an.
Craig stieß einen leisen Pfiff aus. »Möchte wissen, wie Mitsuos Jockey-Shorts aussehen.«
Trumball lachte und schüttelte den Kopf. »Ich jedoch nicht.«
Deschurowas zweite Nachricht war ein Wetterbericht. Der Staubsturm breitete sich aus, blieb jedoch nach wie vor unterhalb des Äquators.
»Solange er in der südlichen Hemisphäre bleibt, ist alles paletti«, sagte Trumball zufrieden.
Craig war weniger gut gelaunt. Ohne den Blick von der Wetterkarte auf ihrem Bildschirm zu wenden, murmelte er:
»Er wächst aber. Wenn er den Äquator überquert, is die Kacke am Dampfen.«
»Sei kein Weichei, Wiley. Dieses Fahrzeug hat schon mal
'nen Sturm überstanden, weißt du.«
»Ja, und ich bin auch schon mal von 'ner brennenden Bohrinsel in den Golf von Mexiko gesprungen. Heißt aber nich, dass ich das noch mal machen möchte.«
Trumballs Reaktion bestand darin, dass er noch fester aufs Gaspedal trat. Craig sah zu, wie der Tachometer über die Einunddreißig-Stundenkilometer-Marke hinauskroch. Mit einem grimmigen Lächeln erinnerte er sich an die Maxime eines alten Preisboxers: Du kannst weglaufen, aber verstecken kannst du dich nicht.
TARAWA
Pete Connors hatte gerade dienstfrei und räkelte sich genussvoll am Strand vor dem zweistöckigen Haus, in dem er wohnte, als der Anruf kam. Als Chef des Kontrollzentrums der Marsexpedition hatte Connors immer und überall ein Handy dabei, auch wenn man sich auf den kleinen Inselchen des Atolls ohnehin nicht sehr weit vom Kontrollzentrum entfernen konnte. Er lag bequem auf einer alten Decke, hatte die Fersen in den weichen, weißen Sand gestemmt und lauschte dem Rhythmus der Brandung, die gegen das Riff schlug, als das kleine Telefon piepste. Selbst in der Plastikhülle für den Strand gelang es dem Ding, dringlich zu klingen.
Mit einem genervten Seufzer setzte Connors sich auf und tastete in der Tasche nach dem Telefon. Er hatte die Video-Erweiterung auch dabei, beschloss jedoch, sich nicht damit abzuplagen, außer wenn er sich irgendwelche Daten ansehen musste.
»Connors«, sagte er kurz, während eine Möwe auf der Suche nach Resten herabstieß und im Tiefflug über den Strand hinwegschoss.
»Hier ist Dr. Li Chengdu«, ertönte die Stimme des chinesischen Akademikers so klar und deutlich, als wäre er hier bei ihm auf der Insel.
»Dr. Li! Wie geht es Ihnen?« Conners setzte sich aufrechter hin.
»Mein Gesundheitszustand ist ausgezeichnet. Und Ihnen?«
»Könnte nicht besser sein«, sagte Connors rituell. In Wahrheit bekam er seit der Landung der Forscher auf dem Mars nicht mehr genug Schlaf und war deshalb häufig schlecht gelaunt.
»Ich möchte Sie über ein mögliches Problem in Kenntnis setzen«, sagte Lis Stimme ausdruckslos und ruhig, ohne jede Emotion.
»Ein Problem?«
»Vielleicht bin ich übermäßig pessimistisch, aber Sie waren besser mit Waterman befreundet als ich, und …«
»Ein Problem mit Jamie?« Connors war verblüfft.
»Nicht mit ihm. Für ihn.«
»Was soll das heißen?«
Li zögerte nur einen Herzschlag lang. »Wie Sie wissen, bin ich im Beirat des Ausschusses des Internationalen Universitätskonsortiums für die Marsexpedition.«
»Des IUK, ja.«
»Ich habe gerade einen Anruf der Ausschussvorsitzenden bekommen, Professor Quentin aus Cambridge.«
»Ich weiß, wer sie ist«, sagte Connors, der sich fragte, wann Li zum Punkt kommen würde.
»Sie wiederum war zuvor von Mr. Trumball angerufen worden.«
Oh, oh, dachte Connors. Der Geldmann ist sauer über irgendwas.
»Mr. Trumball schlägt vor«, fuhr Li fort, »Waterman als Missionsleiter abzulösen.«
»Ihn abzulösen?«, fuhr Connors auf. »Das ist doch Schwach … äh … Unsinn.«
»Trumball ist leider sehr hartnäckig.«
»Wie, zum Teufel, können die Jamie ablösen, solange das Team auf dem Mars ist?«
Diesmal zögerte Li merklicher. »Die Angelegenheit könnte natürlich Auswirkungen auf die Finanzierung der nächsten Expedition haben.«
»Worüber ist Trumball denn so sauer, verdammt noch mal?«, fragte Connors. Er vergaß seinen üblichen Respekt für den Mann, der Missionsleiter der ersten Expedition gewesen war.
»Das ist mir nicht vollständig klar.«
»Was können wir dann dagegen unternehmen?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich dachte allerdings, da Sie Watermans Freund sind, würden Sie ihn vielleicht gern über diese Situation unterrichten. Ihn vorbereiten, sozusagen.«
»Ihm die schlechten Neuigkeiten beibringen, meinen Sie.«
»Nein, nein! Seine Ablösung steht noch nicht fest. Ich glaube sogar, dass der größte Teil des IUK-Ausschusses dafür ist, ihn weiterhin mit der Leitung zu betrauen. Ich dachte einfach, er sollte wissen, was hier vorgeht.«
Connors nickte. »In Ordnung. Ich verstehe.«
»Danke«, sagte Li. Dann war die Leitung tot.
Connors saß lange Zeit im Sand und dachte nach. Der Ausschuss mag Jamie behalten wollen, aber wenn der alte Trumball genug Terror macht, werden sie Jamie fallen lassen, nur um den Mistkerl bei Laune zu halten. Wenn es auf eine Entscheidung zwischen Jamie und dem Geld für die nächste Expedition hinausläuft, werden sie sich für das Geld entscheiden. Das müssen sie auch.
NACHMITTAG: SOL 50
Jamie stieg in seinen Raumanzug und ging hinaus, um die Rückkehr des Raketenflugzeugs zu beobachten. Keine Probleme mit dem Wetter, dachte er. Trotz des Staubsturms, der sich über die südliche Hemisphäre ausbreitete, war der Himmel hier sauber und hell, vielleicht eine Nuance dunkler als das übliche Orangebraun, aber klar und völlig wolkenlos. Nicht einmal ein klitzekleines Zirruswölkchen verschandelte das sanfte, lohfarbene Gewölbe über ihnen.