MORGEN: SOL 56
»Menschenskind, da isser!«
Wiley Craig zeigte mit der rechten Hand hin, während er die linke am Lenkrad behielt.
Dex Trumball spähte mit zusammengekniffenen Augen in die helle Morgensonne. Weit entfernt, am rauen, zinnoberroten Horizont, sah er ein hoch aufragendes, glänzendes Gebilde aus Metall, das in der Marslandschaft völlig fremdartig wirkte. Der Rover pflügte mit Höchstgeschwindigkeit durch ein Geröllfeld, seine dünnen, federartigen Räder holperten über die Steine und schüttelten sie so heftig durch, dass sie sich beide in den Cockpitsitzen angeschnallt hatten.
»Wir sind zu weit nach Norden abgekommen, Wiley«, sagte Trumball. »Es wird uns einen halben Tag kosten, dorthin zu kommen.«
Craigs stoppelbärtiges Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen, das seine weit auseinander stehenden Zähne entblößte. »Is doch egal, wie weit es noch is; er sieht toll aus, findste nich?«
Dex nickte und gab zu: »Ja, sieht wirklich toll aus.«
Der Staubsturm in der südlichen Hemisphäre war dem Wetterbericht der letzten Nacht zufolge endlich abgeflaut.
Craig hatte seine Erleichterung deutlich zum Ausdruck gebracht. Trumball war zwar genauso dankbar, dass sie von dem Sturm verschont bleiben würden, gab sich jedoch viel cooler.
»Selbst wenn er den Äquator überquert hätte, hätten wir ihn abhängen können.«
»Ich weiß nich, Dex«, hatte Craig nüchtern gesagt. »Diese Stürme dauern manchmal Wochen.«
»Nicht in dieser Jahreszeit.«
»Mhm. Und in Kalifornien regnet es nie.«
Trumball stand auf und schwankte nach hinten zu den Ausrüstungsborden in der Nähe der Luftschleuse, taumelte von einem Haltegriff zum nächsten, während Craig den Rover durch das Geröllfeld auf ebeneres, etwas höher gelegenes Gelände lenkte. Der Generator nahm vor seinen Augen Gestalt an, ein hoher Zylinder aus poliertem Aluminium, der das Licht der Morgensonne einfing. Er stand auf drei dünnen Metallbeinen, und die Schubdüsen der drei Raketentriebwerke ragten unter der Gehäuseschürze der Trägerrakete hervor.
»Na los«, rief Dex vom hinteren Ende des Rovermoduls,
»gib ein bisschen Stoff. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
»Aber auch kein Rad«, konterte Craig. »'ne halbe Stunde mehr wird uns nicht umbringen.«
In sich hineingrummelnd, überprüfte Trumball die Videoausrüstung. Die Außenkameras zeichneten alles auf; die Bilder würden nicht nur eine Goldgrube für Geologen sein, die den Mars erforschten, sondern auch großartiges Hintergrundmaterial für die Virtual-Reality-Touren abgeben, die Dex zur Erde ausstrahlen würde.
Als Craig den Rover unmittelbar neben dem Generator stoppte, hatte Dex bereits seinen Raumanzug an und wollte in die Luftschleuse treten.
»Moment noch, Kumpel«, rief Craig ihm zu. »Du gehst nicht raus, ohne überprüft worden zu sein.«
»Nun hör aber auf, Wiley. Ich bin die Checkliste selbst durchgegangen. Lass mich in Ruhe mit dieser Hühnerkacke!«
Craig ließ sich jedoch nicht davon abbringen. Er checkte Trumballs Anzug schnell, aber gründlich durch und erlaubte ihm dann, nach draußen zu gehen.
»Ich schreie, wenn ich angezogen bin, dann kommste wieder rein und checkst mich durch.«
»Ja, ja.«
Der Generator tuckerte vor sich hin, saugte Wasser aus der Leitung, die er, ferngesteuert von Craig, durch die Permafrostschicht gebohrt hatte, sog die dünne Marsluft ein und zerlegte sie automatisch in ihre Komponenten.
Als Craig durch die Luftschleuse hinausging und auf den rostigen Boden trat, hatte Trumball bereits festgestellt, dass der Methantank und der Wassertank nahezu randvoll waren.
»Na prima«, sagte Wiley. »Jetzt können wir unsere Tanks füllen.«
Es dauerte über eine Stunde. Während Craig mit den Schläuchen jonglierte und dabei die Anzeigen im Auge behielt, schickte Dex eine VR-Show nach Tarawa: Die unerschrockenen Forscher, die sich ihren Weg durch die Marswildnis bahnen, beim Auftank-Rendezvous mit dem Generator. Auf zum Pathfinder!
Nachdem sie wieder in den Rover gestiegen waren, entledigte sich Dex in aller Eile seines Anzugs und ging nach vorn ins Cockpit. Er ließ den Blick kurz über die Kontrolltafel schweifen und sah, dass alles im grünen Bereich war, bis auf das rote Licht der Brennstoffzellen. Das kriegen wir auch noch auf Grün, sagte er sich. Sobald Wiley genug Wasser elektrolytisch zerlegt hat, dass wir sie mit Wasserstoff beschicken können.
Bei Sonnenuntergang waren sie schon wieder auf dem Weg zum Ares Vallis. Der Generator war hinter dem Horizont verschwunden. Dex saß noch immer am Lenkrad, während Craig hinten war und an den Brennstoffzellen herumbastelte.
»Wie machen sie sich?«, rief Trumball über die Schulter hinweg.
Craigs erbittertes Seufzen war selbst vorne im Cockpit zu hören. »Leak-proof-Schweißnähte, du dicke Scheiße«, schimpfte er.
»Was ist los?«
»Die verdammten Dewar-Gefäße hier sollen flüssigen Wasserstoff festhalten«, sagte Craig und stupste den rostfreien Stahlzylinder auf dem Boden des Rovers mit einem gestiefelten Zeh an.
»Und?«
»Na ja, die verdammten Schweißnähte an den Dingern lecken wie 'n Sieb!«
»Lecken sie immer noch?«
»Isst der Papst Spaghetti?«
»Wie schlimm ist es?«
Craig stapfte zum Cockpit und glitt auf den rechten Sitz.
»Muss ein paar Berechnungen anstellen. Sieht aber nich gut aus, das kann ich dir auch ohne Computer sagen.«
Trumball sah, dass Craig eher verstimmt als besorgt war.
Wir kommen auch ohne die Brennstoffzellen klar, dachte er.
Zum Teufel, wir kommen jetzt schon eine ganze Woche ohne sie klar. Trotzdem, es wäre gut, wenn wir dieses verdammte rote Licht endlich wegkriegen würden.
»Die neuesten Brennstoffzellen auf der Erde haben Nanoröhrenfäden, um den Wasserstoff zu speichern«, brummte Craig. » Nanoröhren funktionieren, Partner. Die saugen molekularen Wasserstoff auf wie 'n Schwamm und halten ihn so fest wie 'n Schraubstock. Aber wir haben bloß diese verdammten undichten Dewars.«
Die Sonne näherte sich dem Horizont, sah Dex. Ein dünner Wolkenfetzen hoch oben reflektierte bereits strahlende rote Glanzlichter.
»Wir kriegen 'nen wunderschönen Sonnenuntergang, Wiley.«
Craig blickte vom Computerdisplay der Kontrolltafel auf.
»Ja. Hübsch. Erinnert mich an Houston. Da hatten wir immer supertolle Sonnenuntergänge, wegen des ganzen Drecks, den die Raffinerien in die Luft gepustet haben.«
Trumball lachte. »Hier gibt's keine Fabriken.«
»Nein, aber …« Craig verstummte und verfiel in nachdenkliches Schweigen.
»Was ist, Wiley?«
»Die Wolken da.«
In diesem Moment läutete die Kommunikationsglocke.
Trumball tippte auf die EIN-Taste, und Stacy Deschurowas düsteres Gesicht erschien auf dem Bildschirm.
»Der neueste Wetterbericht«, sagte sie mit besorgter Miene. »Ein neuer Staubsturm hat sich gebildet, diesmal in der nördlichen Hemisphäre.«
»Wo?«, fragte Trumball.
»Ihr fahrt genau darauf zu.«
ABEND: SOL 56
Jamie sah sich die Wetterkarte auf dem Bildschirm an. Er hatte die Position von Trumballs und Craigs Rover und ihre Route zum Pathfinder darüber gelegt.
Der Sturm würde direkt über sie wegziehen, sah er.
»Was willst du tun?«, fragte Stacy Deschurowa von ihrem Platz an der Kommunikationskonsole aus.
Jamie sah sie an. Sie wirkte besorgt.
»Sie haben über die Hälfte der Strecke zum Pathfinder hinter sich«, dachte er laut. »Wenn ich ihnen sage, sie sollen umkehren und zum Generator zurückfahren, holt der Sturm sie trotzdem ein.«
»Du meinst also, sie sollten einfach weiterfahren?«
»Der Sturm zieht von Osten nach Westen; sie fahren von Westen nach Osten. Sie könnten durch ihn hindurchfahren.«