Jamie nickte in seinem Helm, als er zur anderen Flügelspitze des Schwebegleiters hinüberging und dort die bereits angebrachten Leinen straffte.
»DiNardo sagt«, fuhr Connors fort, »du solltest nicht mal an Rücktritt denken, außer wenn Trumball den Druck auch nach dem Abflauen des Sturms aufrechterhält und sich abzeichnet, dass eine Mehrheit des Ausschusses mit ihm mitzieht.«
»Rücktritt?«, sagte Jamie laut. »Er denkt, ich sollte zurücktreten?«
Connors fuhr mit seinem unerfreulichen Bericht fort und erklärte Jamie noch mehrmals, es sei ihm zuwider, ihn mit diesen politischen Winkelzügen zu behelligen, er sei jedoch der Meinung, Jamie solle darüber Bescheid wissen.
Schließlich sagte er: »Tja, das ist die ganze Geschichte, bis jetzt. Ich warte auf deine Antwort. Achte darauf, dass du sie an mich persönlich schickst; dann wird sie niemand außer mir anschauen. Zumindest sollte sie niemand außer mir anschauen. Ich weiß nicht, wie viele Leute hier Trumball insgeheim Bericht erstatten.«
Das sind ja wunderbare Neuigkeiten, stöhnte Jamie innerlich.
»Also, das wär's, Kumpel. Ich warte auf deine Antwort.
Mach's gut und bis bald.«
Weit entfernt am östlichen Horizont verdunkelte sich der Himmel, sah Jamie. Oder bildete er sich das nur ein? Ich werde mal einen Blick auf die Instrumente werfen, wenn ich wieder in der Kuppel bin, dachte er. Der Sturm wird uns hier treffen, aber es ist wahrscheinlich noch zu früh, als dass man ihn schon sehen könnte. Und jetzt hab ich's noch mit einem weiteren Sturm zu tun, einem politischen Sturm auf der Erde.
Die Navajos glauben, dass Wolken die Geister der Toten sind, erinnerte sich Jamie. Kommst du mich in einer Wolke besuchen, Großvater? Oder sind es die Geister des Langen Marsches, die Rache an den Weißen nehmen wollen, die sie von ihrem Land vertrieben haben?
Er schüttelte den Kopf, um ihn von solchen irrationalen Gedanken zu befreien, und schaute dann auf das Tastenfeld des Anzugfunks an seinem Handgelenk. »Persönliche Botschaft an Pete Connors in Tarawa«, sagte er bedächtig. »Ich habe deine Nachricht bekommen, Pete. Wir machen gerade alle Luken dicht für den Sturm, deshalb habe ich keine Zeit für eine ausführliche Antwort. Ich möchte sowieso darüber nachdenken, bevor ich mich dazu äußere. Danke für die Nachricht – schätze ich. Ich melde mich wieder.«
Verdammt, dachte er, als er zum östlichen Horizont schaute und die Wolken sah. Sieht wirklich ganz so aus, als würde sich da draußen was zusammenbrauen. Vielleicht hat der Sturm an Tempo zugelegt. Das wäre gut; er würde schneller über Dex und Wiley wegwalzen, und sie hätten es eher hinter sich.
Auf dem Rückweg zur Luftschleuse der Kuppel dachte Jamie: Warum ist Trumball derart auf Hundertachtzig?
Weshalb will er mich unbedingt als Missionsleiter absetzen?
Vorurteil? Oder schlichte Bosheit? Oder ist er der Typ, der nur glücklich ist, wenn er andere zwingen kann, nach seiner Pfeife zu tanzen?
Dann hörte Jamie die leise Stimme seines Großvaters: Versetz dich in seine Lage. Finde heraus, was ihn quält.
Okay, Großvater, antwortete er stumm. Was quält den alten Mann?
Sein Sohn ist in Gefahr, kam die sofortige Antwort. Er macht sich Sorgen um Dex' Sicherheit. Das ist natürlich. Das ist gut.
Aber Trumball hat gewusst, dass die Erforschung des Mars mit Risiken behaftet ist. Vielleicht ist ihm nie in den Sinn gekommen, dass sein Sohn diese Risiken ebenso auf sich nehmen müssen würde wie wir anderen auch.
Er war durchaus dafür, dass wir die Pathfinder-Sonde bergen sollten. Aber er hat nicht gedacht, dass sein Sohn auf diese Exkursion gehen und sich in Gefahr bringen würde.
Jetzt weiß er, dass es doch so ist, und hat Angst. Er sitzt in einem Büro in Boston, und sein Sohn steckt mitten in einem Staubsturm, hundert Millionen Kilometer entfernt, und er kann nichts unternehmen. Er kann nur wütend werden und seinen Zorn auf das bequemste Ziel richten, das er finden kann: den Missionsleiter, der zugelassen hat, dass sein Sohn sich in Gefahr begibt. Auf mich. Er ist sauer auf mich, weil er nichts an der Situation ändern kann. Er ist wütend und frustriert und versucht, sein Problem auf die gleiche Art zu lösen, wie er Probleme schon immer gelöst hat: indem er denjenigen feuert, auf den er wütend ist.
Jamie holte tief Luft und fühlte, wie ihn eine ruhige Wärme durchströmte. Er hörte das leise Lachen seines Großvaters. »Du darfst einem Kunden gegenüber nie die Beherrschung verlieren«, hatte sein Großvater ihm Jahre zuvor erklärt, als Jamie noch ein kleiner Junge gewesen war, der sich über die penetranten, anstrengenden, großmäuligen Touristen ärgerte, die Al in seinem Laden anbrüllten.
»Sollen sie ruhig schreien und brüllen, das ist egal. Sobald sie sich beruhigt haben, schämen sie sich so, dass sie doppelt so viel kaufen, wie sie eigentlich wollten, nur um zu zeigen, dass es ihnen Leid tut.«
Verdammt, dachte Jamie auf dem Rückweg zur Luftschleuse. Es täte mir so gut, wenn ich sauer auf Trumball werden, ihm eine ätzende Botschaft schicken und ihm erklären könnte, er solle sich, verdammt noch mal, um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. Es wäre so leicht, den alten Mann aus hundert Millionen Kilometern Entfernung zu verspotten.
Aber ich kann nicht wütend auf ihn sein, merkte er.
Ich verstehe, was er durchmacht. Ich verstehe ihn, und einen Menschen, den man versteht, kann man nicht hassen.
Als er in die Luftschleuse trat und die Außenluke zuzog, ermahnte er sich: Aber dass du ihn verstehst, heißt nicht, dass er dir keinen Schaden zufügen kann. Eine Klapperschlange versteht man auch, aber man lässt sich nicht von ihr beißen. Nicht, wenn man es vermeiden kann.
»Und das war's dann«, sagte Craig.
Er trat auf die Bremse und brachte den Rover sanft zum Stehen.
»Es ist noch nicht mal sechs Uhr, Wiley«, protestierte Dex.
»Wir können noch eine Stunde oder mehr rausholen.«
Craig erhob sich vom Fahrersitz. »Ich hab eine Idee.«
Der Himmel über ihnen war von düsterem Grau und wurde mit jeder Minute dunkler. Dex konnte jetzt den Wind hören, ein dünnes, kreischendes Geräusch, wie das Heulen einer Todesfee in der Ferne.
»Ich fahre«, erbot er sich.
»Nein«, sagte Craig und ging nach hinten zu den Liegen.
»Man muss wissen, wann man weitermachen kann und wann Schluss is. Wir sitzen jetzt still und bereiten uns auf den Sturm vor.«
»So schlimm ist es doch noch gar nicht«, beharrte Dex und drehte sich auf seinem Sitz um. »Wir könnten wenigstens noch ein kleines Stück fahren.«
Craig kniete sich hin und zog eine Schublade unter der unteren Liege auf. »Das Gefährlichste an dem Sturm is doch, dass der Sand unsre Solarpaneele beschädigen könnte, stimmt's?«
»Stimmt«, antwortete Dex, der sich fragte, was sein Partner vorhatte.
Craig zog einen Satz Bettlaken aus der Schublade.
»Also decken wir die Solarpaneele ab.«
»Abdecken? Mit Bettlaken?«
»Und allem, was wir sonst noch haben«, sagte Craig.
»Overalls, Plastikfolie und so weiter.«
»Aber wenn sie abgedeckt sind, erzeugen sie keinen Strom mehr. Dann müssen wir auf die Batterien umschalten.«
Craig leerte jetzt die Schublade unter der anderen Liege.
»Wirf mal einen Blick auf die Instrumente, Kumpel. Es wird mächtig schnell mächtig dunkel. Die Solarzellen sind schon auf unter dreißig Prozent Nominalleistung runter, stimmt's?«
Dex schaute auf die Instrumente am Armaturenbrett. Die Leistung der Solarpaneele lag knapp über fünfundzwanzig Prozent des Maximalwerts.
»Stimmt«, erwiderte er düster.
»Also sitz da nicht einfach so rum«, rief Craig beinahe jovial. »Steh auf und such das Klebeband, Herrgott noch mal.«
Das ist doch pure Beschäftigungstherapie, dachte Dex.
Wenn der Sturm erst mal richtig zuschlägt, fliegt uns das alles weg. Die Windgeschwindigkeit wird auf über zweihundert Knoten steigen. Dann reißt er alles ab, womit wir die Paneele abzudecken versuchen.