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Frauen. Kleider. Tücher umschmeicheln die Schenkel und Waden ihrer Trägerinnen. Kinder sitzen vor Riesenportionen Eis. Babys nuckeln an Saftflaschen. Wasser plätschert aus einem Wasserrohr ins Auffangbecken. Ein in Rot gekleideter barfüßiger junger Bursche im Till-Eulenspiegel-Look vollführt Kunststücke mit fliegenden Doppelkegeln, fängt seine Kegel vor erstaunten Kindern mit einer Leine wieder ein, nach dem er sie zum Himmel hochwirft. Ein schwarz gekleideter Harry Potter mit spitzem, schwarzem Hut steht neben einem Kamel, das schäumende Zahnreihen zeigt. Walken des Fleisches für das Wohl des Körpers und der Seele, steht auf Stoff gepinselt. Im körpergroßen Holzbottich sitzen zwei Damen, ein Herr, der mir zuwinkt, mich zu sich in die Wanne locken will. Ich würde niemals auch mit dem Gedanken spielen, mich zu entkleiden, den Badenden hinzuzugesellen, auch wenn sie so reizend in einem Fass sitzen. Ich bin der Gegend so dankbar. Es wird alles getan, mich von der Mutterfindung abzuhalten.

Die vielen lauten Plakate versprechen Altstadtprogramm an beiden Tagen. Kein Wegzoll für Magen, Herz, Auge und Ohr, Narretey mit Hubertus zu Putlitz, Jonglage, Zauberey, Gaukeley mit Gauklerduo Forzarella, Tiere und Speisen von Walters Bauernhof, Bewirtung im historischen Keller, Zorans Backstube, eingangs der Fußgängerzone, deftig Speis und Trank, allerley Kulinarisches, altdeutsche Weinstube, Gasthaus Zum Hirsch, Musikantenlager, Spielmannszug, Moritaten mit Moritatensängerinnen, Lieder und Balladen über Adel und Klerus, Handwerk und Warenangebot, friedliche Holzspielwaren, Besen- und Bürsten- und Schindelmacher, Märchen, Bücher, die Schimmeldewaer Waschweiwer, Flachsspinnerei Elisabeth Stettner und Ruth Zwickel, Axtwerfen, Keramik für Haus, Garten und Brunnen, handgefertigte Naturseife, Haarbänder und Glöckchen, Hexenkontor Yvonne Wiedemann, Buchbinderin Hannelore Frank, Holzgartenmöbel, Dekorationspflanzen, Verkauf von handgemachten Grußkarten, eine historische Mandelrösterei, Mosel-Schnaps, Lagerleben auf dem Museums-Vorplatz mit den jungen Leuten. Die Gastwirtschaft am Markt lockt mit Mastochsenbrustgrillteller, Wildragout, Rumpsteak, Sommerschnitzel. Ausdruck von Fremde, in die ich geraten bin. Ruckzuck kehre ich ein, finde die Hausdame, die prompt kommt, schicklich gekleidet, lobe ihre Perlenkette. Die goldene Uhr stammt bestimmt von Ihrem Mann, sage ich frohgemut und weiß nicht zu sagen, warum ich hier so gut gelaunt bin. Die bunten Kleckse auf ihrer weißen Bluse hat bestimmt ein Aquarellmaler auf den Stoff geträufelt. Die Frau hat Klasse, sage ich mir, starre ungeniert auf ihren Hintern, der auf mich aristokratisch wirkt. Ein sportlich angezogenes Kind mit Stirnband und knielangen Shorts schaut herein. Es entwickelt sich ein kurzes Intermezzo zwischen einer Oma und dem Enkel, das von sichtlicher Zuneigung getragen ist und mich aufhorchen lässt. Ich finde sie blöd. Wen denn, mein Kind? Die Männer, die als Ritter angezogenen Männer. Ja, schau an, wieso denn das? Weils gemein ist gegen die echten Ritter früher, die wie Ritter rumlaufen mussten, nichts anderes anzuziehen hatten und unsere Kleidung von heute nicht kannten. Ein Mann setzt sich zu mir, redet mich als Bruder an, erzählt vom Ritter Neidhart, den er durch seine Verkleidung jedermann bekannt zu machen sucht. Hat viele schöne Lieder niedergeschrieben. Sind hundertvierzig an der Zahl erhalten, sagt er, erläutert mir die situative Verlegung des Lobgesangs aus dem ritterlichen in das bäuerliche Milieu. Behauptet, betrunken zu sein wie im Leben nicht, und verliebt. Die Hand wuchtet auf meinen Unterarm. Der Takt seiner Schläge geht auf und ab wie der auf- und abschwenkende Eisenhammer. Redet von der erhabenen Welt des Höfischen, den teils obszönen und ins Bäuerliche abgleitenden Texten der Lieder Neidharts, der etwas geschafft habe in seinem Minneleben, nämlich Minnesommer- und Minnewinterlieder, um die Bauernmädchen und einfachen Frauen zum Tanz im Freien zu gewinnen. Packt mich, umschlingt mich, drückt mich an sich, lässt nicht los, der Mann, stößt mit mir an: Auf die Fastnachtspiele. Auf die Neidhartspiele. Auf den Schwankroman. Auf Neidhart den Fuchs. Ich löse mich langsam aus der Umarmung, zahle und erhebe mich. Mein Unterarm wird blau gefleckt sein am Abend, denke ich.

Die Puppe, im Gegensatz zum leiblichen Schauspieler, begegnet uns von vornherein als Gestaltung,

als Bild, als Geschöpf des Geistes. Der Mensch, auch wenn er ein Bild spielt, bleibt immer noch aus

Fleisch und Blut. Die Puppe ist aus Holz, ein ehrliches, braves Holz, das nie den Anspruch erhebt,

einen wirklichen Menschen darstellen zu wollen und wir sollen sie nicht dafür halten. Sie ist nur

ein Zeichen dafür, eine Form, eine Schrift, die bedeutet, ohne dass sie das Bedeutende sein will.

Sie ist Spiel, nicht Täuschung; sie ist geistig, wie nur das Spiel sein kann.

Max Frisch

IM PUPPENMUSEUM, auf halber Treppe zu den Ausstellungsräumen, entdecke ich einen Holzschnitt mit einem um das Feuer springenden Rumpelstilzchen. Die eingeschriebene Jahreszahl stimmt mit der meiner Geburt überein. Das Plakat stimmt mit dem Plakat im Vorschulkinderheim überein. Wir haben Rumpelstilzchen im Kinderheim gespielt. Ich durfte die Rolle zum Weihnachtsspektakel des Heimes mit Bianca aufführen, im von seinen Tischen befreiten großen Essensaal, in dem ich sonst Strafe gestanden habe und aufessen sollte. Nun stand ich auf den Brettern, die Bühne waren, vor den Kinder des Heimes, das Publikum war eigens wegen uns gekommen, auch mich zu erleben, meinen Feuertanz neben der Klappe der Essensausgabe. Das kleine Feuer ein technisches Meisterwerk, von Ventilatorluft getrieben, bunte Stofffetzen, die schlangenhaft um zur Pyramide gestellte Holzscheite züngeln, unter denen eine rote Glühbirne steht. Ich stecke in einem Lumpensack mit aufgenähten Flicken. Mein künstlicher Bart besteht aus gefärbter Watte und ist an meinem Kopf mit Schlüpfergummiband befestigt, das mich während des Spiels schmerzt.

Die schöne Bianca sitzt im Turm gefangen und soll im Auftrag des Königs Stroh zu Gold spinnen, eine Aufgabe, die sie ohne meine Hilfe nicht bewältigen kann. Ich trete vor Bianca hin, der Gnom, welcher Stroh in Gold zu verwandeln weiß. Die Bianca spielt entzückt und drückt mir ihren Handrücken an die Stirn, dass ich mich in sie verliebe, mein Spiel fast vergesse. Das Spinnrad leuchtet und flackert, von einem Dynamo angetrieben, der unterhalb der Essensklappe hinter einem Strohballen versteckt ist: Spinne, spinne leuchtend froh. Mach zu Gold den Ballen Stroh. Hid bach i, moorn bröu i, iibermoorn hool i in der Cheenigi i ire Chind; Aa, wie gued, as niemes wais, as i Rumbelschdiilzli hais. Der Hausmeister sitzt am Bühnenrand und achtet stolz auf seine Technik. Seine Augen spiegeln die von ihm erräftelten Leuchteffekte wider. Ich springe mit Hingabe um das Lagerfeuer, klatsche in die Hände, freue mich am Gold, das ich schaffe, und bin so diebisch drauf erpicht, niemandem meinen Namen zu sagen, bis ihn mir die Bianca am Ende des Spiels mit spitzer Stimme vor den Latz haut und ich, der Angemeierte, vor Wut und Scham im Boden verschwinde. Wie mein Abgang vonstattenging, mitten durch und in der Luft auseinandergerissen, dass es dem Publikum ein Schockerlebnis ist, weiß ich nicht mehr zu sagen, ich sehe mich und meine Bianca an die Hand genommen uns vor den Leuten verbeugen.