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„Sie haben sich entschuldigt?“ unterbrach ihn O'Mara ungläubig. „Damit. damit habe ich allerdings nicht gerechnet.“

„Dasselbe kann man vom Verhalten der Cromsaggi behaupten“, stellte Lioren trocken fest. „Angesichts meines Verbrechens hatte ich nämlich eine gewalttätige Reaktion von ihnen erwartet, doch statt dessen haben sie.“

„Hatten Sie gehofft, von den Cromsaggi umgebracht zu werden?“ fiel ihm O'Mara abermals ins Wort. „Ist das etwa der Grund für Ihren Besuch gewesen?“

„Keineswegs!“ widersprach Lioren heftig. „Ich bin dort hingegangen, weil ich mich entschuldigen wollte. Eine solche Maßnahme zu ergreifen ist für einen Tarlaner schon schmachvoll genug, weil es als ein feiger und unehrenhafter Versuch betrachtet wird, die persönliche Schuld zu mindern und der gerechten Strafe zu entgehen. Aber dieses Verhalten gilt als weniger schändlich, wie sich der Strafe zu entziehen, indem man sich vorsätzlich das Leben nimmt. Die Schande hat mehrere Abstufungen, und durch meine jüngsten Kontakte mit Patienten habe ich herausgefunden, daß es Schamgefühle gibt, die unangebracht oder überflüssig sein können.“

„Fahren Sie fort“, warf O'Mara ein.

„Zwar verstehe ich bisher die psychologischen Mechanismen, die dabei eine Rolle spielen, nicht ganz, aber ich habe festgestellt, daß unter gewissen Umständen eine persönliche Entschuldigung, auch wenn sie für denjenigen, der sie vorbringt, beschämend ist, manchmal mehr dazu beitragen kann, den Schmerz eines Opfers zu lindern, als das bloße Wissen, daß der Übeltäter seine gerechte Strafe erhält. Anscheinend stellt Rache das Opfer nicht voll und ganz zufrieden, selbst wenn sie gerecht ist, und wenn der Täter aufrichtig beteuert, das begangene Unrecht zu bereuen, kann das den Schmerz oder den Verlust mehr erleichtern als das bloße Wissen, daß Gerechtigkeit geübt wird. Wenn der Entschuldigung die Vergebung durch denjenigen folgt, dem das Unrecht zugefügt worden ist, hat das sowohl für das Opfer als auch für den Täter viel heilsamere und dauerhaftere Folgen.

Als ich mich den Cromsaggi auf der Station vorgestellt habe, ist es höchst wahrscheinlich gewesen, daß es zu Gewalttätigkeiten mit tödlichem Ausgang kommt“, fuhr Lioren fort. „Ich habe nicht mehr den Wunsch gehabt zu sterben, weil die Arbeit in dieser Abteilung sehr interessant ist und es vielleicht noch mehr gibt, was ich hier tun kann, aber ich bin restlos davon überzeugt gewesen, daß ich versuchen sollte, den Schmerz der Cromsaggi durch eine Entschuldigung zu lindern, und das habe ich getan. Was dann geschehen ist, hatte ich nicht erwartet.“

Mit sehr leiser Stimme fragte O'Mara: „Sie bleiben immer noch dabei, daß Sie, ein Träger des Blauen Umhangs von Tarla mit allem, was damit zusammenhängt, sich entschuldigt haben?“

Da die Frage bereits beantwortet worden war, fuhr Lioren fort. „Ich hatte vergessen, daß es sich bei den Cromsaggi um eine zivilisierte Spezies handelt, die durch eine Krankheit dazu gezwungen worden ist, Krieg zu führen. Sie haben mit großer Grausamkeit gegeneinander gekämpft, weil sie alles in ihren Kräften Stehende versuchen mußten, um bei sich gegenseitig die Angst vor dem drohenden Tod hervorzurufen, wenn ihr ehemals beeinträchtigtes, für das Geschlechtsleben unerläßliches inneres Sekretionssystem bis zu dem Punkt angeregt werden sollte, an dem sie kurzzeitig die Fähigkeit erlangten, Kinder zu empfangen. Doch beim Kämpfen haben sie gelernt, Geist und Gefühle streng unter Kontrolle zu halten und sich nicht Wut oder Haß zu überlassen, weil sie den Gegner, den sie fast bis auf den Tod zu verletzen versuchten, geliebt und respektiert haben. Sie mußten kämpfen, um das ständige Überleben ihrer Spezies zu sichern, doch die Wunden, die sie anderen zugefügt und selbst erhalten haben, sind eine persönliche Angelegenheit gewesen. Sie hätten nicht weiterhin kämpfen und sich gegenseitig lieben und respektieren können, wenn sie nicht außerdem gelernt hätten, sich für die furchtbaren Schmerzen, die sie einander zufügten, zu entschuldigen und sich gegenseitig zu vergeben.

Auf Cromsag ist die Fähigkeit zu verzeihen das, was es der Gesellschaft überhaupt erst ermöglicht hat, derart lange zu überleben.“

Plötzlich sah und hörte Lioren wieder die cromsaggischen Patienten, die sich um ihn herum zusammengedrängt hatten, und einen Augenblick konnte er nicht sprechen, weil ihn seine Gefühle auf eine Weise überwältigten, die jeder Tarlaner mit einem Rest an Selbstachtung als schändliche Schwäche betrachtet hätte. Doch er wußte, daß diese Aufwallung nur eins von den geringfügigeren Schamgefühlen war, mit denen er sich gerade abzufinden lernte. „Sie haben mich wie einen Cromsaggi behandelt, wie einen Freund, der ein sehr schweres Unrecht begangen hat und von dem viel Leid verursacht wurde, als er versuchte, ihre Spezies zu retten“, setzte Lioren seinen Bericht fort. „Und anders als die Cromsaggi selbst hatte ich damit Erfolg. Sie. sie haben mir verziehen und sind mir dankbar gewesen.

Aber sie haben auch Angst vor der Rückkehr auf Cromsag gehabt“, fuhr er schnell fort. „Sie haben das Rehabilitationsprogramm, das das Monitorkorps für sie geplant hat, verstanden und sind dafür dankbar und werden nach eigener Aussage vorbehaltlos mitarbeiten. Es handelt sich um ein psychologisches Problem, das mit dem tiefen Zweifel an der eigenen Fähigkeit verbunden ist, ohne ständigen, starken Stress existieren zu können, wozu sich noch der Glaube gesellt, daß das Schicksal — oder eine nichtmaterielle Macht, deren genaues Wesen Gegenstand vieler Auseinandersetzungen gewesen ist — nicht beabsichtigt, sie in der materiellen Welt ein zufriedenes Leben führen zu lassen. Im Grunde handelt es sich dabei um eine religiöse Angelegenheit. Ich habe den Cromsaggi von der gemeinsamen Erinnerung der Gogleskaner berichtet, von dem dunklen Teufel, der sie zur Selbstvernichtung zu treiben versucht, und davon, wie ihn Khone zum besten hält. Und von den Problemen der Beschützer der Ungeborenen habe ich ihnen auch erzählt, sowie von anderen Dingen, mit denen ich sie beruhigen konnte. Mein Bericht wird alles enthalten, was bei dem Gespräch im einzelnen gesagt worden ist. Für die Psychologen des Monitorkorps sehe ich bei dem Problem keine ernsthaften Schwierigkeiten voraus. Eine sich anschließende religiöse Diskussion, an der sich die Cromsaggi mit großer Begeisterung beteiligt haben, wurde durch das Eintreffen des Wächters unterbrochen.“

O'Mara lehnte sich im Stuhl zurück. „Abgesehen davon, dieses irrsinnige Risiko eingegangen zu haben, haben Sie gute Arbeit geleistet, aber das Glück begünstigt ja oft den Dummen. Zudem sind Sie in ganz kurzer Zeit so etwas wie eine Kapazität auf dem Gebiet der religiösen Überzeugungen anderer Spezies geworden, und zwar in erster Linie dadurch, daß Sie, wie mir zu Ohren gekommen ist, in Ihrer Freizeit die verfügbaren Unterlagen studiert haben. Das ist ein äußerst heikles Thema, das die Abteilung normalerweise lieber unangetastet läßt, aber bisher haben Sie ja damit kaum Probleme gehabt. Und zwar so wenige, daß Sie sich jetzt nicht mehr als Auszubildender, sondern als uneingeschränkter Mitarbeiter der Abteilung betrachten können. Das wird mein Verhalten Ihnen gegenüber in keiner Weise verbessern, weil Sie das zweitaufsässigste und in bestimmten Dingen verschwiegenste Wesen geworden sind, das ich jemals gekannt habe. Warum wollen Sie mir eigentlich nicht verraten, was sich zwischen Ihnen und dem ehemaligen Diagnostiker Mannon abgespielt hat?“

Lioren entschloß sich, das Ganze als rhetorische Frage zu behandeln, weil er sich schon geweigert hatte, sie zu beantworten, als sie ihm zum erstenmal gestellt worden war. Statt dessen fragte er zurück: „Haben Sie denn schon irgendwelche neuen Aufgaben für mich, Sir?“

Der Chefpsychologe atmete mit einem ungewöhnlich lauten Zischen aus und antwortete dann: „Ja. Chefarzt Edanelt will, daß Sie sich mit einem seiner postoperativen Patienten unterhalten, Cresk-Sar hat einen Dwerlaner unter seinen Auszubildenden, der vor einem nicht näher angeführten moralischen Problem steht, und die Patienten von Cromsag möchten von Ihnen so häufig besucht werden, wie es Ihnen in den Kram paßt. Khone sagt, sie sei bereit, meinen Vorschlag auszuprobieren, die durchsichtige Wand, die ihre Unterkunft trennt, nach und nach niedriger zu machen und schließlich durch einen weißen, auf den Boden gemalten Strich zu ersetzen, und sie möchte Sie ebenfalls sprechen. Außerdem gibt es nach wie vor den ursprünglichen Auftrag bezüglich Seldal, den Sie anscheinend vollkommen vergessen haben.“