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„Nein, Sir, den Fall habe ich abgeschlossen“, sagte Lioren und fuhr schnell fort: „Aus den Informationen, die Sie mir selbst gegeben haben, und aus meinen anschließenden Gesprächen mit und über Chefarzt Seldal war klar ersichtlich, daß es eine deutliche Veränderung in der Persönlichkeit und im Verhalten Seldals gegeben hatte, wenn auch nicht zum Schlechten hin. Als erstes ist die Veränderung an der verringerten Zahl der Paarungen mit nallajimischen Mitarbeiterinnen und an Seldals Verhalten gegenüber Kollegen und Untergebenen offenbar geworden. Normalerweise sind die Mitglieder der nallajimischen Spezies körperlich und emotional äußerst aktiv, ungeduldig, unhöflich und rücksichtslos. Zudem unterliegen sie raschen Stimmungsschwankungen, was sie als leitende Chirurgen höchst unbeliebt macht. Nicht so Seldal. Sein Operations- und Stationspersonal würde ihm sämtliche Bitten erfüllen und wird nicht ein einziges kritisches Wort über seinen Vorgesetzten, weder in seiner Rolle als Chirurg noch als Privatperson, gelten lassen, und ich pfichte dem Personal voll und ganz bei. Der Grund für seine Veränderung, dessen bin ich mir sicher, ist der, daß eine der Persönlichkeiten von den Schulungsbändern, die Seldal momentan im Kopf gespeichert hat, teilweise die Kontrolle über den Verstand des Chefarzts erlangt hat oder zumindest einen beachtlichen Einfluß auf ihn ausübt.

Daß für das Band ein tralthariischer Arzt verantwortlich war, ist mir bis zum Zwischenfall bei Hellishomars Operation nicht klar gewesen, als die Wucherung außer Kontrolle zu geraten drohte und Conway Hilfe gebraucht hat“, fuhr Lioren fort. „In dem Moment hat Seldal einen Augenblick äußerster Belastung und Unschlüssigkeit durchlebt, in dessen Verlauf er vergessen haben muß, wer er eigentlich ist. Die Bemerkung, keine weiteren Riesenfüße im Operationsfeld haben zu wollen, war auf Thornnastor gemünzt, der seine Hilfe angeboten hatte, und hat sich auf die sechs übermäßig großen Füße des Tralthaners bezogen und nicht auf Conways, denn in dem Moment hatte gerade der Urheber des tralthanischen Schulungsbands Seldals Gedanken beherrscht.

Dabei handelt es sich um eine ungewöhnliche und vielleicht einzigartige Situation, denn gewisse Anzeichen, die sich auf Beobachtungen gründen, erhärten meine Theorie, daß Seldal die teilweise Kontrolle über seinen Verstand bereitwillig zugelassen hat“, setzte Lioren seine Ausführungen fort. „Ich möchte behaupten, Seldal hat den tralthanischen Chirurgen in seinem Kopf nicht unter strenger Kontrolle gehalten, sondern sich mit ihm angefreundet. Vielleicht gehen die Gefühle sogar noch über Freundschaft hinaus. Seldal begegnet dem Tralthaner in beruflicher Hinsicht mit Respekt und bewundert eine Persönlichkeit, die über solche tralthanischen Eigenschaften wie innere Gemütsruhe und Selbstsicherheit verfügt, die sich so sehr von Seldals eigenen unterscheiden. Wahrscheinlich hat sich zwischen dem Chefarzt und diesem immateriellen Tralthaner eine starke emotionale Beziehung entwickelt, die von nichtkörperlicher Liebe nicht mehr zu unterscheiden ist. Folglich haben wir es mit einem nallajimischen Chefarzt zu tun, der bereitwillig die Charakterzüge eines Tralthaners angenommen hat, wodurch er ein besserer Arzt und ein zufriedeneres Individuum geworden ist. Da das so ist, würde ich empfehlen, in diesem Fall nicht das geringste zu unternehmen.“

„Einverstanden“, stimmte O'Mara leise zu, und einen Augenblick lang starrte er Lioren in einer Weise an, durch die sich dem Tarlaner die Frage aufdrängte, ob der Chefpsychologe über telepathische Fähigkeiten verfügte. „Sie haben noch etwas zu sagen?“

„Ich möchte keineswegs einen Vorgesetzten in Verlegenheit bringen oder vielleicht sogar erzürnen, indem ich das Folgende als Frage formuliere“, sagte Lioren vorsichtig, „aber mir ist der Verdacht gekommen, daß Sie, da Ihnen bekannt gewesen ist, welche Schulungsbänder der Chefarzt im Kopf gespeichert hatte, geahnt oder bereits gewußt haben, wie es sich mit Seldal verhält, und daß es sich bei dem Auftrag nur um einen Eignungstest für mich gehandelt hat. Dabei hat die Nebenabsicht — oder vielleicht auch der Hauptzweck — darin bestanden zu versuchen, mich dazu zu bringen, hinauszugehen und andere Lebewesen zu treffen, damit ich mich in Gedanken nicht ausschließlich mit meiner eigenen furchtbaren Schuld beschäftigte. Ich habe die Vorfälle auf Cromsag nicht vergessen und werde dazu auch niemals imstande sein. Aber Ihr Plan hat funktioniert, und dafür bin ich Ihnen wirklich dankbar. Insbesondere möchte ich Ihnen danken, daß Sie mir klargemacht haben, daß es außer mir noch andere gegeben hat, die Kummer gehabt haben, Wesen wie Khone, Hellishomar und Mannon, der.“

„Mannon ist ein Freund von mir“, unterbrach ihn O'Mara. „Sein Gesundheitszustand hat sich nicht geändert, er könnte jeden Augenblick sterben, und trotzdem läuft er mit diesem G-Gürtel herum wie ein. Verdammt, das ist wirklich und wahrhaftig ein Wunder! Ich würde gern wissen, worüber Sie miteinander gesprochen haben. Was Sie mir auch verraten, es wird kein einziges Wort davon in diese psychologische Akte kommen, und ich werde mit niemandem darüber sprechen, aber ich will es wissen. Der Tod ereilt alle, und einige von uns haben unglücklicherweise zuviel Zeit, um darüber nachzudenken. Ich werde Mannons Vertrauen nicht brechen. Schließlich ist er ein alter Freund von mir.“

Erneut stellte ihm der Chefpsychologe die bewußte Frage, doch Liorens augenblickliche Verärgerung wich rasch einem Gefühl des Mitleids, als er merkte, daß der Chefpsychologe bei dem Gedanken an Mannons Tod und den Verfall von Geist und Körper, der ihm vorausging, tief bekümmert war. Seine Antwort mußte genauso lauten wie vorher, doch diesmal glaubte Lioren, sie hoffnungsvoller klingen lassen zu können.

„Der ehemalige Diagnostiker ist nicht mehr beunruhigt“, sagte er behutsam. „Ich bin mir sicher, wenn Sie als ein alter Freund Mannons ihm die Fragen selbst stellen, würde er Ihnen alles sagen, was Sie wissen wollen. Aber ich kann das nicht.“

Der Chefpsychologe blickte nach unten auf den Schreibtisch, als schämte er sich der vorübergehenden Schwäche, die er gezeigt hatte, und sah dann wieder auf.

„Also gut“, sagte er in forschem Ton. „Wenn Sie nicht reden wollen, dann wollen Sie eben nicht. In der Zwischenzeit wird sich die Abteilung mit einem zweiten — vorsichtig ausgedrückt — aufsässigen Carmody herumschlagen müssen. Wegen Ihres Besuchs auf der Station der Cromsaggi werde ich keine disziplinarischen Maßnahmen ergreifen. Schließen Sie beim Hinausgehen die Tür hinter sich. Aber leise.“

Lioren kehrte erleichtert, aber äußerst verwirrt an seinen Schreibtisch zurück und kam zu dem Schluß, daß er die Verwirrung verringern mußte; ansonsten würde die Qualität seines Berichts darunter leiden. Doch allen Suchens in den Computerdateien zum Trotz blieb die Information, die er haben wollte, unauffindbar, und er fing an, auf die Tastatur einzuhämmern, als wäre sie ein Todfeind.

Am anderen Ende des Vorzimmers machte sich Braithwaite die Atemwege mit einem Geräusch frei, das, wie Lioren wußte, Mitgefühl bedeutete. „Was ist los? Probleme?“ „Ich bin mir nicht ganz sicher“, antwortete Lioren. „O'Mara hat zwar gesagt, er werde keine disziplinarischen Maßnahmen ergreifen, aber er hat mich mit einem Ausdruck bezeichnet. Wer oder was ist ein Carmody, und wo kann ich die entsprechende Auskunft finden?“

Braithwaite fuhr herum, sah ihn an und antwortete: „Dort werden Sie die nicht finden. Lieutenant Carmodys Akte ist nach seinem Unfall gelöscht worden. Er ist zwar vor meiner Zeit in dieser Abteilung gewesen, aber ein bißchen weiß ich trotzdem über ihn. Er ist auf eigenen Wunsch vom Stützpunkt des Monitorkorps auf Orligia ans Orbit Hospital gekommen und hat es geschafft, sich zwölf Jahre lang in dieser Abteilung zu halten, obwohl er sich ständig mit O'Mara gestritten hat. Als ein schwerverletzter Pilot beim Anflug aufs Hospital die Kontrolle über sein Schiff verloren hat und mit ihm durch die Außenhaut gekracht ist, hat Carmody die Rettungsmannschaft begleitet und versucht, einen Überlebenden zu beruhigen, den er für ein Besatzungsmitglied hielt. Dieser Überlebende hat sich dann jedoch als ein riesengroßes, vor Angst rasend gewordenes und nichtintelligentes Schiffstier herausgestellt, von dem Carmody sofort angegriffen wurde. Da der Lieutenant sehr alt, schwach und gebrechlich war, hat er seine Verletzungen nicht überlebt.