Ich wußte, daß sie eines kaltblütigen Mordes an unschuldigen Menschen nicht fähig war, und ich vertraute ihren kaufmännischen Instinkten. Je länger ich lebte, um so mehr würde sie in jeder Hinsicht profitieren. So einfach war das.
Honey Harley. hatte gesagt, sie würde» alles «tun, um Derrydown vor dem Konkurs zu bewahren, und durch die Explosion der Cherokee hatte sich die finanzielle Situation dort entspannt. Was man auf Mietkaufbasis erwarb, konnte man nicht ohne weiteres verkaufen, und wenn Derrydown die Raten für die Cherokee nicht mehr hätte aufbringen können, wäre das Flugzeug an den Vermieter/Verkäufer zurückgefallen, der es dann zu einem Preis verkauft haben würde, der gerade seine eigenen Unkosten deckte und für Derrydown nichts mehr abwerfen würde. Die Versicherungssumme dagegen war ein warmer Regen: Reichte für die restlichen Raten und brachte darüber hinaus etwas Geld in die Kasse.
Andererseits hätte Colin Ross’ Tod Derrydowns endgültigen Ruin bedeutet. Honey Harley hätte niemals irgendwelche Kunden getötet, und schon gar nicht Colin Ross. Dasselbe galt in allen Punkten für Harley selbst.
Dann vielleicht die Polyplane-Leute? Immer in der Nähe, immer feindselig, immer bestrebt, Derrydown auf Biegen und Brechen aus dem Geschäft zu drängen und Colin Ross zurückzugewinnen. Tja… Ziel Nummer eins hätten sie mit der Bombe erreicht, Ziel Nummer zwei dagegen völlig konterkariert. Nicht einmal der verrückteste Polyplane-Pilot würde meiner Meinung nach eine goldene Gans umbringen.
Kenny Bayst… Mit einer Mordswut auf Eric Goldenberg, Major Tyderman und Annie Villars. Aber wie ich bereits zu Colin sagte, woher hätte er so schnell eine Bombe nehmen sollen, und hätte er auch Colin und mich getötet? Es schien undenkbar, das eine wie das andere. Nicht bei Kenny Bayst.
Wer dann?
Wer?
Da mir sonst niemand einfallen wollte, ging ich sämtliche Möglichkeiten noch einmal durch. Larry, Susan, die Harleys, Polyplane, Kenny Bayst. Sah sie mir von oben an, von unten und von der Seite. Erreichte nichts. Machte mir einen Kaffee, ging ins Bett, schlief ein.
Wachte um vier Uhr morgens auf. Der Mond schien mir mitten ins Gesicht, und eine Tatsache wurde mir wie mit einem Paukenschlag bewußt. Betrachte die Dinge von allen Seiten. Fang ganz unten an.
Ich fing ganz unten an. Dabei schälte sich die Antwort wie von selbst heraus. Sie drängte sich auf, starrte mich regelrecht an. Ich konnte es nicht glauben. Es war zu einfach, verdammt noch mal zu einfach.
Am Morgen führte ich ein längeres Telefongespräch mit einem halbvergessenen Vetter und bekam zwei Stunden später einen Rückruf. Und danach rief ich in Erwartung einer kategorischen Abfuhr das Handelsministerium an.
Der große, höfliche Mann war nicht da. Er würde mich, so sagte man mir, später zurückrufen.
Als er das tat, war Harley gerade mit einem Schüler oben in den Lüften, und Honey ging im Tower an den Apparat. Sie stellte das Gespräch in den Mannschaftsraum durch, wo ich meine Berichte schrieb.»Das Handelsministerium für Sie. Was haben Sie jetzt schon wieder angestellt?«
«Die alte Bombensache«, sagte ich beschwichtigend.
«Oh.«
Sie stellte den großen Mann zu mir durch, hörte aber weiter an ihrem Apparat mit.
«Honey«, sagte ich,»legen Sie auf.«
«Wie bitte?«sagte das Handelsministerium.
Honey kicherte, aber sie legte den Hörer auf. Ich hörte es klicken.
«Captain Shore?«sagte die Stimme mißbilligend.
«Ähm, ja.«
«Sie wollten mich sprechen?«
«Sie sagten… wenn mir zu der Bombe noch irgend etwas einfiele…«
«O ja. «Ein Hauch von Wärme.
«Ich habe nachgedacht«, sagte ich,»und zwar über den Sender, der benötigt wurde, um die Bombe zu zünden.«
«Ja?«
«Wie groß muß die Bombe ungefähr gewesen sein?«fragte ich.»Der ganze Kram, Plastiksprengstoff, Schießpulver, Drähte und Solenoide?«
«Ich denke, recht klein… Eine Bombe wie die könnte man wahrscheinlich in einer flachen Dose von zirka achtzehn Zentimeter Länge, zehn Zentimeter Breite und fünf Zentimeter Tiefe unterbringen. Möglicherweise sogar in einer noch kleineren. Je enger man diese Dinger packt, um so heftiger explodieren sie.«
«Und wie groß müßte der Sender gewesen sein, damit man vielleicht drei verschiedene Signale damit ausschik-ken könnte?«
«Heutzutage nicht mehr besonders groß. Wenn es darauf ankäme… wie ein Päckchen Spielkarten vielleicht. Aber in unserem Fall würde ich vermuten… größer. Die Signale mußten eine ziemlich große Entfernung überwinden. Und um die Reichweite eines Senders zu verdoppeln, muß man seine Ausgangsleistung vervierfachen, wie Sie zweifellos wissen.«
«Ja… Entschuldigen Sie, daß ich die Sache so umständlich angehe, aber ich wollte mir meiner Sache sicher sein.
Also: Ich weiß zwar nicht, warum, habe aber eine gewisse Vorstellung vom Wann und Wer.«
«Was sagen Sie da?«Seine Stimme klang erstickt.
«Ich sagte.«
«Jaja«, unterbrach er mich.»Das habe ich gehört. Wann… gut, also wann?«
«Die Bombe wurde in White Waltham an Bord gebracht. Wurde in Haydock aus dem Flugzeug genommen. Und in Haydock auch wieder zurückgebracht.«
«Wovon reden Sie?«
«Einer der Passagiere hat sie mitgebracht.«
«Welcher?«
«Ach übrigens«, sagte ich.»Wieviel würde eine solche Bombe kosten?«
«Oh. etwa achtzig Pfund oder so«, sagte er ungeduldig.»Wer?«
«Und muß man ein ausgefuchster Experte sein, um eine solche Bombe anzufertigen?«
«Man muß mit Sprengstoffen umgehen können und außerdem über praktische Kenntnisse der Funktechnik verfügen.«
«Das habe ich mir gedacht.«
«Sehen Sie mal«, sagte er,»sehen Sie, würden Sie bitte aufhören, Katz und Maus mit mir zu spielen. Ich kann mir vorstellen, daß es Ihnen Spaß macht, das Handelsministerium zu foppen… Ich sage nicht, daß ich Ihnen einen großen Vorwurf daraus mache, aber würden Sie mir jetzt bitte klipp und klar sagen, welcher der Passagiere eine Bombe bei sich hatte?«
«Major Tyderman«, sagte ich.
«Major. «Er holte hörbar Luft.»Wollen Sie damit sagen, daß die Bombe doch nicht in die Züge des Höhenruders geraten ist und auf diese Weise die Reibung verursacht hat, die Sie zur Landung bewog?… Daß Major Tyderman sie vielmehr den ganzen Nachmittag über unwissentlich mit sich herumgetragen hat? Oder was?«
«Nein«, sagte ich.»Und noch mal nein.«
«Um Gottes willen… Sie können die Sache wohl nicht vereinfachen, indem Sie mir genau sagen, wer Major Tyderman die Bombe untergeschoben hat? Wer vorhatte, ihn in die Luft zu sprengen?«
«Wenn Sie wollen.«
Er rang offensichtlich um Fassung. Ich lächelte die Wand des Mannschaftsraumes an.
«Also, wer?«
«Major Tyderman«, sagte ich,»selbst.«
Schweigen. Dann ein Protest.
«Sie meinen Selbstmord? Das ist unmöglich. Die Bombe ging hoch, als das Flugzeug am Boden war…«
«Genau«, sagte ich.
«Was?«
«Wenn eine Bombe in einem Flugzeug hochgeht, denkt jeder automatisch, daß die Maschine eigentlich in der Luft hätte explodieren und alle Menschen, die an Bord waren, töten sollen.«
«Ja, natürlich.«
«Angenommen, das eigentliche Opfer war das Flugzeug selbst und nicht die Menschen?«
«Aber warum?«
«Ich habe es Ihnen schon gesagt, ich weiß nicht, warum.«
«Na schön«, erwiderte er.»Na schön. «Er holte tief Luft.»Lassen Sie uns ganz von vorn beginnen. Sie sagen, daß Major Tyderman mit der Absicht, das Flugzeug aus unbekannten Gründen in die Luft zu sprengen, eine Bombe mit zu den Rennen genommen hat.«
«Ja.«
«Was bringt Sie auf diese Idee?«
«Wenn ich so zurückschaue. Er war den ganzen Tag über völlig angespannt und wollte sich auf keinen Fall von seinem Fernglasfutteral trennen, das groß genug war, um eine Bombe von der Größe, wie Sie sie beschrieben haben, darin unterzubringen.«