Das schlimmste war der Funk. Sie würde weder Verbindung mit dem Boden aufnehmen, noch die Signale der Funkfeuer empfangen können. Nun ja. Dutzende von Piloten flogen ohne Funk, ohne überhaupt Funkgeräte an Bord zu haben. Wenn sie Angst hatte, sich zu verfliegen, konnte sie ja auf dem erstbesten Flugplatz landen.
Vielleicht war es ja auch noch nicht passiert, dachte ich. Ihr Funkgerät arbeitete vielleicht noch. Die Salpetersäure hatte sich vielleicht noch nicht durch das Hauptkabel hindurchgefressen.
Hier am Boden war ich zu tief unten, als daß Manchester Control mich hätte hören können, aber wenn ich schnell genug in die Luft kam, konnte ich den Lotsen dort die Situation erklären, sie dazu bringen, Nancy zu informieren und sie anzuweisen, so bald wie möglich auf einem Flugplatz zu landen. Das Kabel zu reparieren war keine große Sache, sobald sie nur sicher gelandet war.
Ich gab Ambrose seinen Hut. Er war immer noch draußen auf dem Rasen und wartete darauf, daß ich auf meinen Platz auf der linken Seite kletterte. Ich schob mich in die Maschine, ohne auch nur eine Sekunde zu verlieren, und er stieg hinter mir ein. Als er sich anschnallte, hatte ich bereits den Motor angelassen, meinen Kopfhörer aufgesetzt und das Funkgerät zum Warmwerden eingeschaltet.
«Weshalb so eilig?«fragte Ambrose, als wir nur geringfügig unter Startgeschwindigkeit ans andere Ende der Bahn rollten.
«Ich muß einen Funkspruch an Colin Ross absetzen, der schon oben ist und uns vorausfliegt.«
«Oh. «Er nickte gewichtig. Er wußte, daß die Geschwister Ross zusammen mit uns angekommen waren, wußte, daß Nancy flog.»Na gut.«
Mir ging kurz der Gedanke durch den Kopf, daß ihm, falls er glaubte, ich dürfe mich nicht einmal beeilen, ohne vorher seine Erlaubnis einzuholen, eine mittelschwere Überraschung bevorstand. Ich würde ihn jedenfalls nicht zurück nach Cambridge bringen, bevor ich sicher sein konnte, daß Nancy und Colin außer Gefahr waren.
Da es nur einen Kopfhörer an Bord gab, konnte Ambrose hereinkommende Funksprüche nicht mithören, und da ich das Mikrofon dicht an den Lippen hatte, glaubte ich auch nicht, daß er im Motorenlärm irgend etwas von dem hörte, was ich sendete. Ich hatte die Absicht, ihm so lange wie möglich keinen Grund für Einwände zu geben.
In zweihundert Fuß Höhe erreichte ich schließlich einen Fluglotsen in Liverpool. Erklärte ihm, daß Nancys Funkgerät möglicherweise nicht mehr funktionierte, fragte ihn, ob er mit ihr gesprochen habe.
Ja, hatte er. Er hatte ihr die Radarfreigabe zum Verlassen der Kontrollzone gegeben und sie nach Preston Information weitergereicht. Da ich selbst auf meiner Frequenz bleiben mußte, bis ich aus der Kontrollzone heraus war, bat ich ihn, festzustellen, ob Preston immer noch Kontakt mit ihr hatte.
«Warten Sie«, sagte er.
Nach zwei langen Minuten war er wieder da.»Preston hatte Kontakt«, sagte er knapp.»Er brach mitten in einem Funkspruch von ihr ab. Jetzt kann Preston sie nicht mehr erreichen.«
Zum Teufel mit dem Major, dachte ich wütend. Dieses dumme, gefährliche Männchen.
Ich ließ meiner Stimme jedoch nichts anmerken.»Hatte man ihre Position?«
«Warten Sie. «Pause. Dann war er wieder da.»Sie war auf Kurs nach Lichfield, voraussichtliche Ankunftszeit Lichfield fünf drei, Sichtflug über Wolkenobergrenze, Flugfläche vier fünf.«
«Über Wolkenobergrenze?«wiederholte ich ängstlich.
«Positiv.«
Wir waren selbst noch im Steigflug. Bei zweitausend Fuß kamen wir in eine dünne Wolkendecke, die wir bei viertausend Fuß und hellem Sonnenschein unter uns ließen. Eine Wattedecke erstreckte sich unter uns in alle Richtungen und machte die Erde unsichtbar. Sie würde ebenfalls auf diese Höhe steigen müssen, da die Pennines östlich von Manchester fast dreitausend Fuß erreichten, die höheren Gipfel also bis in die Wolken hineinragten. Da zwischen Wolken und Bergen kein Platz mehr blieb, würde sie entweder umkehren oder weiter steigen müssen. Letzteres würde ihr nicht weiter gefährlich erscheinen. Mit Funkpeilung und einem guten Wetterbericht für Cambridge war es das einzig Vernünftige.
«Ihr Ziel ist Cambridge«, sagte ich.»Können Sie das Wetter dort abfragen?«
«Warten Sie. «Eine viel längere Pause. Dann meldete sich seine Stimme wieder, unbeteiligt, emotionslos.»Aktuelle Wetterlage Cambridge: Nach schnellem Wolkenaufzug von Südwest jetzt mit acht Oktas ganz bedeckt, Wolkenuntergrenze zwölfhundert Fuß, Wolkenobergrenze dreitausendfünfhundert.«
Ich bestätigte nicht sofort — mußte die erschreckenden Konsequenzen erst verdauen.
«Bestätigen Sie Wetterbericht erhalten«, sagte er knapp.
«Wetterbericht erhalten.«
«Nach den letzten Wettermeldungen liegt geschlossene Bewölkung über dem gesamten Gebiet südlich des Tees. «Er wußte genau, was er sagte. Die lakonische, von jeder Panik freie Stimme blieb betont ruhig. Nancy flog über der Wolkendecke ohne jede Möglichkeit, herauszufinden, wo sie war. Sie konnte den Boden nicht sehen und niemanden nach dem Kurs fragen. Irgendwann würde sie herunterkommen müssen, weil sie keinen Treibstoff mehr hatte. Weil die Benzinuhr ausgefallen war, wußte sie nicht genau, wie lange sie in der Luft bleiben konnte; es war aber lebenswichtig, daß sie durch die Wolkendecke nach unten ging, solange der Motor noch lief, damit sie, sobald sie unter den Wolken war, einen Platz zum Landen suchen konnte. Aber wenn sie zu früh herunterging oder an der falschen Stelle, konnte sie leicht gegen einen in die Wolken ragenden Berg fliegen. Das war selbst für einen überaus erfahrenen Piloten eine heikle Situation.
Ich erwiderte mit derselben einstudierten, künstlichen Gelassenheit:»Können die Radarstationen der R.A.F. sie aufspüren und feststellen, wohin sie fliegt? Ich kenne ihren Flugplan… Ich habe ihn für sie erstellt. Sie wird sich wahrscheinlich daran halten, da sie glaubt, in Cambridge sei es immer noch klar. Ich könnte ihr folgen… und sie suchen.«
«Warten Sie. «Wieder die Pause, um Rat einzuholen.»Wechseln Sie zu Birmingham Radar auf die Frequenz eins zwei drei drei.«
«Roger«, sagte ich.»Und danke.«
«Viel Glück«, sagte er.»Sie werden es brauchen.«
Kapitel 10
Er hatte Birmingham die Situation erklärt. Ich gab dem Fluglotsen Nancys geplante Route durch sowie ihre Fluggeschwindigkeit und ihre voraussichtliche Ankunftszeit in Lichfield, und nach einigen Augenblicken war er wieder da und sagte, auf seinem Schirm seien mindestens zehn Flugzeuge, die in Frage kämen, aber er habe keine Möglichkeit, herauszufinden, welches ihres sei.»Ich werde mich mit der R.A.F. Wymeswold beraten… vielleicht haben die nicht so viel zu tun wie wir. Die können sich besser auf die Sache konzentrieren.«
«Sagen Sie ihnen, daß sie gegen fünf drei ihren Kurs auf eins zwei fünf ändern wird.«
«Roger«, sagte er.»Warten Sie.«
Dann war er wieder da.»R.A.F. Wymeswold will nach ihr Ausschau halten.«
«Großartig«, sagte ich.
Nach einigen Sekunden sagte er mit ungläubiger Stimme:»Wir haben hier einen Bericht, wonach Colin Ross an Bord des funklosen Flugzeugs ist. Können Sie bestätigen?«
«Positiv«, sagte ich.»Die Pilotin ist seine Schwester.«
«Gütiger Gott«, sagte er.»Dann sollten wir sie in der Tat finden.«
Ich konnte sie dazu bewegen, mich direkt durch die Kontrollzone zu lotsen statt darum herum; von dort aus
flog ich Richtung Northwich und nahm dann Kurs auf das Funkfeuer Lichfield. Wir waren nach meiner Berechnung gut dreißig Minuten später gestartet als sie, und trotz unserer Abkürzung und größeren Geschwindigkeit würde es kaum möglich sein, sie vor Cambridge einzuholen. Ich sah ungefähr zum zwanzigsten Mal auf meine Uhr. Siebzehn Uhr fünfzig. Um siebzehn Uhr dreiundfünfzig würde sie über Lichfield ihren Kurs ändern… Nur daß sie nicht wissen würde, daß sie über Lichfield war. Wenn sie die Kursänderung wie geplant vornahm, dann nur aus blindem Vertrauen.