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Die Gesamtzahl der Versicherten betrug jetzt nach zwei Monaten fünftausendvierhundertzweiundsiebzig. Und die Einnahmen beliefen sich, da einige Versicherungsnehmer die doppelte Prämie für doppelte Leistungen gezahlt hatten, auf achtundzwanzigtausendundvierzig Pfund.

Nach der nächsten Woge von Prämienzahlungen, die nach dem Unfall von Kitch und Ambrose (der sicherlich nicht Carthy-Todds Werk war, da für ihn ja nur Unfälle von Nichtversicherten Nutzen brachten) zu erwarten stand, würde genug in der Kasse sein, um alle Ansprüche zu befriedigen. Ich seufzte nachdenklich. Es war, wie Colin gesagt hatte, eine verdammte Schande. Der Herzog hatte die Versicherung völlig richtig eingeschätzt. Von einem ehrlichen Mann geführt, vielleicht mit einer geringfügigen Korrektur des Verhältnisses der Prämienhöhen zu den Höhen der Auszahlungen, wäre es wirklich eine gute Sache gewesen.

Verärgert knallte ich die obere Schublade zu und spürte sofort, wie das Adrenalin durch meine Adern schoß, als der Lärm in dem leeren Raum nachhallte.

Nichts rührte sich. Das Flattern meiner Nerven ließ nach und wich wieder einer verstärkten Anspannung.

Der verschlossene Schrank war nur gegen zufällige Blicke geschützt. Ich kippte ihn gegen die Wand und tastete die Unterseite ab; tatsächlich handelte es sich um den Typ, der nur durch eine einzige durchgehende Stange an der Rückseite verschlossen wird. Ich drückte die Stange von unten hoch, und alle Schubladen waren entriegelt.

Ich nahm sie mir nacheinander vor, schnell — der Lärm, den ich gemacht hatte, schien mich zu weiterer Eile anzuspornen. Selbst wenn ich Zeit genug hatte, wollte ich nur eins, wieder raus, fort aus diesem Büro.

In der oberen Schublade lagen weitere Hefter. In der mittleren stand ein großer, grauer, metallischer Kasten. Die untere Schublade enthielt zwei Pappschachteln und zwei kleine, rechteckige Blechdosen.

Ich holte tief Luft und arbeitete mich von oben nach unten durch. Die Hefter enthielten die Gründungsurkunden des Versicherungsvereins und die Papiere, die der Herzog so vertrauensselig unterzeichnet hatte. Das juristische Fachvokabular verschleierte auf wunderbare Weise, worauf Carthy-Todd eigentlich hinausgewollt hatte. Ich mußte alles zweimal lesen, mich sehr an die Kandare nehmen und zur Konzentration zwingen, bevor ich die beiden Verträge verstand, die der Herzog mit ihm geschlossen hatte.

Mit dem ersten übertrug der Herzog, wie er mir erzählt hatte, einhunderttausend Pfund aus seinem Besitz in eine Stiftung, die das Grundvermögen der Versicherung für den Fall seines Todes garantierte. Der zweite Vertrag schien auf den ersten Blick mit dem ersten identisch zu sein, war es aber durchaus nicht. Er bestimmte im wesentlichen, daß weitere einhunderttausend Pfund aus dem Nachlaß des Herzogs in die Stiftung eingezahlt werden sollten, falls der Herzog im ersten Jahr nach Gründung der Versicherung sterben sollte.

In beiden Fällen war Carthy-Todd als alleiniger Treuhänder der Stiftung eingesetzt.

In beiden Fällen hatte er völlig freie Hand, das Geld zu investieren oder zu verwenden, wie er es für das beste hielt.

Zweihunderttausend Pfund. Ich blickte ins Leere. Zweihunderttausend Pfund, wenn der Herzog starb. Ein Motiv, bei dem es auf einen Mord mehr oder weniger nicht mehr ankam. Um beispielsweise jemanden zum Schweigen zu bringen.

Die achtundzwanzigtausend Pfund Versicherungseinnahmen waren nur der Anfang. Der Köder. Der Jackpot war der Tod des Herzogs.

Seine Erben würden zahlen müssen. Der kleine Matthew, um genau zu sein. Die Dokumente schienen unanfechtbar, die Unterschriften waren beglaubigt und gestempelt, und es stand außer Frage, daß Carthy-Todd sich nicht erst die Mühe mit ihnen gemacht hätte, wenn sie nicht absolut wasserdicht gewesen wären.

Er würde nicht mehr viel Zeit vergeuden, dachte ich. Nicht jetzt, da bald die Ansprüche wegen des Ambrose-Unfalls geltend gemacht würden. Wenn der Herzog tot war, würden die zweihunderttausend Pfund fast augenblicklich ausgezahlt werden, denn diese Zahlungsverpflichtung würde genau wie eine Schuld aus seinem Nachlaß vorrangig bedient werden. Noch bevor das Testament eröffnet und bestätigt wurde. Wenn Carthy-Todd die Regulierung der Schadensfälle eine Weile verzögern konnte, dann würde er sowohl mit dem Geld des Herzogs als auch mit den gesamten Einnahmen der Versicherungsgesellschaft verschwinden können.

Ich legte den Hefter wieder zurück in die Schublade. Schob sie zu. Sanft. Mein Herz hämmerte.

Die zweite Schublade. Ein großer Metallkasten. Ließ sich öffnen, ohne daß man ihn aus dem Schrank nehmen mußte. Ich öffnete ihn. Viel Platz darin, aber nur spärlicher Inhalt. Etwas Baumwolle, Hautcreme, Klebstoff, ein halb verbrauchter Schminkstift. Ich machte den Kasten zu und schloß die Schublade. Das war zu erwarten gewesen.

Die untere Schublade. Kniete mich hin. Zwei kleine Blechdosen, eine fühlte sich leer an, die andere — voll und schwer — war rundum mit Klebeband umwickelt. Sah erst in die beiden Pappkartons und spürte, wie mir die Luft wegblieb wie nach einem schweren Tritt.

Die Pappschachteln enthielten die Zutaten für eine ferngesteuerte Bombe. Magnetspulen, Sender, Zünddraht, eine Batterie und ein kleiner Behälter mit Schwarzpulver in der ersten Schachtel. Plastiksprengstoff, eingepackt in Alufolie, in der anderen.

Ich hockte auf dem Boden und beäugte die kleine, schwere Blechdose. Was hatte der große Mann vom Handelsministerium gesagt? Je fester man eine Bombe packt, um so heftiger explodiert sie.

Beschloß, die kleine Blechdose nicht zu öffnen. Merkte, daß mir der kalte Schweiß auf der Stirn stand.

Ich schloß die unterste Schublade mit einer Vorsicht, die mir selbst verrückt vorkam angesichts der Unbekümmertheit, mit der ich den ganzen Schrank gekippt hatte, um ihn zu öffnen. Außerdem würde die Bombe nicht explodieren, bevor sie nicht das richtige Signal empfing… und dort, wo sie sich jetzt befand, in dem Schrank mit den wertvollen Dokumenten direkt darüber, war damit ohnehin kaum zu rechnen.

Ich wischte mir mit der Hand übers Gesicht. Stand auf. Schluckte.

Ich hatte alles gefunden, was ich hatte finden wollen, und mehr als das. Alles bis auf eins. Ich blickte mich in dem Büroraum um, suchte nach einem Versteck für etwas Großes.

Hinter Carthy-Todds Schreibtisch war eine Tür, die, wie ich vermutete, nach nebenan ins Büro der Sekretärin führte. Ich versuchte die Tür zu öffnen. Sie war verschlossen.

Ich ging aus Carthy-Todds Büro zurück ins Vorzimmer und von dort durch die unverschlossene Tür ins Sekretariat. Keine Spur von einer Tür zu Carthy-Todds Büro darin zu entdecken, nur glatte Wand. Es mußte also ein Schrank sein, der sich mit einer Tür zu seinem Büro hin öffnete.

Ich ging zurück zu der Schranktür in Carthy-Todds Büro und überlegte. Wenn ich sie aufbrach, würde er es merken. Wenn ich es nicht tat, konnte ich nur vermuten, was sich dahinter verbarg. Der Beweis für einen bereits begangenen Betrug — damit konnte ich das Handelsministerium auf Trab bringen. Ein Beweis, der den Herzog dazu bringen würde, die Verträge zu kündigen oder sie zumindest so abzuändern, daß sie nicht länger sein Todesurteil waren.

Carthy-Todd hatte mit nichts Bösem gerechnet. Der Schlüssel für den Schrank lag auf seinem Schreibtisch in der Schale mit den Federhaltern und Bleistiften. Ein einziger Schlüssel — ich probierte ihn, und er paßte.

Öffnete die Schranktür. Sie quietschte in ihren Angeln, aber ich war von meiner Entdeckung zu sehr in Anspruch genommen, um das zu bemerken.

Da war er also. Mr. Acey Jones. Die Krücken lehnten an der Wand. Der weiße Gipsverband lag auf dem Boden.

Ich nahm den Gips und besah ihn mir. Er war von oben bis unten auf der Innenseite des Beines säuberlich aufgeschnitten. Man konnte den Fuß hineinstecken wie in einen Stiefel; dann schauten die nackten Zehen vorne heraus, und man hatte den Metallklotz, der das Gehen erleichtern sollte, genau unter dem Spann. Der Gips war entlang der Öffnung von oben bis unten mit kleinen Verbandklammern versehen. Man brauchte bloß den Fuß in den Gips zu stecken, ihn mit den Klämmerchen zu schließen, und Bingo, schon hatte man ein gebrochenes Bein.