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Colin Ross ging als Zweiter durchs Ziel. Die Menge pfiff und zerriß eine ganze Anzahl Wettscheine. Nancy schien auch daran gewöhnt zu sein.

Zwischen den beiden nächsten Rennen setzten wir uns auf den Rasen, während Chanter uns ununterbrochen seiner

Ansichten über die verderbliche Wirkung von Geld, Rassismus, Krieg, Religion und Ehe teilhaftig werden ließ. Lauter alte Hüte, nichts Neues. Diesen Gedanken behielt ich jedoch für mich. Während seiner Abhandlung streckte er zweimal ohne Vorwarnung die Hand aus und legte sie auf Nancys Brust. Jedesmal umfaßte sie mit spitzen Fingern sein Handgelenk und warf seine Hand zurück. Keiner von beiden schien einen Kommentar dazu für nötig zu halten.

Nach dem nächsten Rennen (Colin war Dritter geworden) bemerkte Chanter, er habe eine trockene Kehle, und Nancy und ich folgten ihm gehorsam zum Abschmieren in die Tattersall-Bar. Drei Coca-Cola, von einer überarbeiteten Barkeeperin lieblos aus den Flaschen in Gläser gekippt. Chanter hatte alle Hände voll zu tun, mit den drei Gläsern zu jonglieren, so daß ich derjenige war, der zahlte. Typisch.

Die Bar war nur halb voll, aber ein großer Teil des Raumes sowie der allgemeinen Aufmerksamkeit wurde von einem einzigen Mann in Anspruch genommen, einer großen, kräftigen Person mit penetrant australischem Akzent. Er hatte ein offensichtlich ganz frisches Gipsbein und ein Paar Krücken, mit denen er noch nicht so recht fertig wurde. Sein lautes Lachen erhob sich über das amorphe Stimmengewirr, und er entschuldigte sich pausenlos bei irgendwelchen Leuten, die er beinahe umrannte.

«Irgendwie wollen diese Krücken nicht so, wie ich will.«

Chanter betrachtete ihn, wie er die meisten Dinge betrachtete: mit einiger Mißbilligung.

Der hünenhafte Australier erläuterte unterdessen zwei dafür empfänglichen Bekanntschaften seinen Zustand.

«Wissen Sie, es tut mir gar nicht leid, daß ich mir den Knochen gebrochen habe. Beste Investition, die ich je getätigt habe. «Das Lachen scholl ansteckend durch den Raum, und die meisten Leute in der Bar begannen zu grinsen. Chanter natürlich nicht.

«Hatte nämlich gerade eine Woche vorher die Prämie bezahlt, bin dann diese Treppe runtergefallen und habe tausend Pfund dafür gekriegt. Das ist kein Pappenstiel, was? Tausend verdammte Pfund dafür, daß man eine Treppe runterfällt. «Er verfiel abermals in gewaltiges Gelächter über seinen eigenen Witz.»Na los, Freunde«, sagte er,»trinkt aus und laßt uns etwas von diesem himmlischen Segen in meinen guten Freund Kenny Bayst investieren.«

Ich zuckte zusammen und warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Es ging auf halb vier zu. Kenny Bayst hatte seinen guten Freund offensichtlich nicht vorgewarnt. Ging mich aber absolut nichts an. Wenn ich es ihm selbst gesagt hätte, hätte ich Kenny Bayst damit einen denkbar schlechten Gefallen erwiesen.

Der große Australier schaukelte aus der Bar, gefolgt von seinen beiden Kameraden. Chanters Neugier gewann die Oberhand über seine Abneigung, sich unwissend zu zeigen.

«Wer«, fragte er ungehalten,»gibt diesem Deppen tausend Pfund dafür, daß er sich die Knochen bricht?«

Nancy lächelte.»Das ist ein neuer Versicherungsfonds, eigens für Leute, die zum Pferderennen gehen. Unfallversicherung. Genaueres weiß ich auch nicht. Habe in letzter Zeit ein oder zwei Leute mal davon reden hören.«

«Versicherung ist unmoralisch«, sagte Chanter kategorisch, schob sich hinter sie und legte ihr seine Hand flach auf den Bauch. Nancy nahm sie weg und machte einen Schritt zur Seite. Als Leibwächter schien ich keine große Errungenschaft zu sein.

Nancy sagte, sie wolle gerade dieses Rennen richtig sehen können, und ließ einen grollenden Chanter am Fuß der

Treppe stehen. Ohne sie zu fragen, folgte ich ihr die Stufen hinauf — ein Tete-a-tete mit Chanter reizte mich nicht besonders. Kenny Bayst ritt, wie mir ein Seitenblick auf Nancys Rennprogramm verriet, ein Pferd namens» Rudiments«: Nummer sieben, Besitzer der Herzog von Wessex, trainiert von Mrs. Villars, Rennfarben olivgrün mit silbernen Schärpen über Kreuz und silberner Kappe. Ich sah zu, wie das Pferd auf dem olivgrünen Gras an den Tribünen vorbeikanterte, und dachte, daß der Herzog von Wessex Farben gewählt hatte, die man genauso leicht erkennen konnte wie ein Stück Kohle in pechschwarzer Nacht.

Ich fragte Nancy:»Wie hat Rudiments sich in seinem letzten Rennen geschlagen?«

«Hm?«meinte sie geistesabwesend, da ihre ganze Aufmerksamkeit der rosa-weißen Gestalt ihres Bruders galt.»Sagten Sie Rudiments?«

«Genau. Ich habe auch Kenny Bayst und Annie Villars hierhergebracht.«

«Ah. Verstehe. «Sie warf einen Blick auf ihr Rennprogramm.»Beim letzten Mal hat er gewonnen. Davor auch. Davor wurde er Vierter.«

«Dann ist er also gut?«

«Ziemlich, würde ich sagen. «Sie zog die Nase kraus und sah mich an.»Ich habe Ihnen doch prophezeit, daß Sie sich dafür begeistern würden.«

Ich schüttelte den Kopf.»Ich bin bloß neugierig.«

«Läuft auf dasselbe hinaus.«

«Ist Bayst der Favorit?«

«Nein, das ist Colin. Aber — sehen Sie da drüben, auf der großen Tafel? — Rudiments ist zweiter Favorit am Totalisator, steht etwa drei zu eins.«

«Hm«, sagte ich,»was bedeutet es, auf ein Pferd zu legen?«

«Das heißt, daß man eine Wette legt, also anbietet. Das tun auch die Buchmacher. Im Grunde genommen ist das auch das Prinzip des Totalisators.«

«Können das auch Leute tun, die selbst keine Buchmacher sind?«

«Na klar. Tun sie auch. Sagen wir, die Buchmacher bieten drei zu eins, und Sie selbst glauben nicht, daß das Pferd gewinnen wird, dann können Sie zu Ihren Freunden sagen: Ich biete vier zu eins; also würden sie bei Ihnen wetten, weil Sie mehr bieten. Und natürlich ohne Wettsteuern. Eine private Wette, Sie verstehen schon.«

«Und wenn das Pferd gewinnt, bezahlt man?«

«Und ob.«

«Ich verstehe«, sagte ich. Und ich verstand tatsächlich. Eric Goldenberg hatte bei Rudiments letztem Rennen Wetten gegen das Pferd gelegt, weil Kenny Bayst sich bereit erklärt hatte zu verlieren, und dann hatte Bayst es sich anders überlegt und doch gewonnen. Deshalb herrschte immer noch ziemlich dicke Luft zwischen den beiden; und heute hatten sie sich darüber gestritten, ob sie es noch einmal versuchen sollten oder nicht.

«Colin glaubt, er gewinnt dieses Rennen«, sagte Nancy.»Und ich hoffe, er tut’s wirklich.«

Das bedeutete eine dicke Lohntüte für Bayst, dachte ich.

Das Rennen ging anscheinend über eintausendvierhundert Meter. Die Pferde beschleunigten von null auf dreißig Meilen die Stunde in einer Zeit, die jedem Porsche Ehre gemacht hätte. Als sie um die Kurve am anderen Ende der Rennbahn jagten, war Rudiments für mich noch unsichtbar, und erst auf den letzten hundert Metern nahm ich ihn überhaupt wahr. Dann aber war er urplötzlich da, saß jedoch hinter mehreren anderen Tieren an den Rails fest und hatte keine Chance, sich vor Colin Ross an die Spitze zu setzen.

Kenny fand keine Öffnung. Er beendete das Rennen als Dritter, immer noch eingezwängt zwischen Colin auf dem ersten Platz und einem Apfelschimmel neben sich. Ich hatte keinen blassen Schimmer, ob er das absichtlich getan hatte oder nicht.

«War das nicht einfach toll?« rief Nancy der Welt im allgemeinen zu, und eine Frau, die auf der anderen Seite neben ihr gestanden hatte, pflichtete bei und erkundigte sich nach dem Befinden ihrer Schwester Midge.

«Oh, es geht ihr gut, danke«, sagte Nancy. Dann drehte sie sich zu mir um, und in ihren Augen war weit weniger Frohsinn als in ihrer Stimme.»Kommen Sie hier rüber«, sagte sie.»Dann können Sie sehen, wie der Gewinner abgesattelt wird.«

Der Raum für» Besitzer und Trainer «befand sich, wie ich nun entdeckte, über dem Waageraum. Wir beugten uns über die Rails und sahen zu, wie Colin und Kenny die Sattelgurte öffneten, sich die Sättel über den Arm warfen, ihren dampfenden Pferden einen Klaps gaben und im Waageraum verschwanden. Die Leute im Absattelring für den Sieger waren damit beschäftigt, einander auf den Rücken zu klopfen und Zwiesprache mit der Presse zu halten. Die Leute im dritten Absattelring hatten sich für angespannt lächelnde Gesichter und geistesabwesende Blicke entschieden. Ich konnte nicht erkennen, ob sie hochzufrieden waren und sich nichts anmerken ließen oder unter ebenso perfekten Masken fuchsteufelswild.