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»Ich habe ein Auge für so etwas.« Der Fremde sah den Spieler an, und sein Gesicht verfinsterte sich zusehends. »Und eine Nase für Ratten!« Er richtete seinen Blick wieder auf Martin. »Nehmen Sie sich Ihr Geld, Sir. Sie hätten es gewonnen, wenn dieser Mann keine Ratte wäre.«

Zögernd und ungläubig strich Martin die zwanzig Dollar ein.

»Und Sie, Mr. Kanalratte, legen noch einmal zwanzig Dollar drauf!« forderte der Fremde. »Die hätte der Gentleman nämlich auch gewonnen, wenn Sie ein ehrlicher Mann wären. Aber dann würden Sie sich wahrscheinlich nicht mit dem Three Card Monte abgeben!«

»Das können Sie nicht verlangen«, jammerte der Spieler und ließ wieder seine Augen rollen. »Sie rauben mich aus, Sir!«

»Wer raubt hier wohl wen aus?« entgegnete der Fremde scharf. »Ich werde mir nicht die Finger an Ihnen beschmutzen. Wenn Sie dem Gentleman das Geld, das ihm zusteht, nicht freiwillig geben, werde ich den Vorfall dem Sheriff melden. Dann käme allerdings noch ein Mordversuch hinzu.« Er sah auf den Bärtigen, der sich noch immer in der Gewalt des Schwarzen befand. »Genau genommen zwei Mordversuche!«

Der Spitzgesichtige nagte überlegend an seiner Unterlippe und traf schließlich die Entscheidung, es nicht auf eine Begegnung mit dem Sheriff ankommen zu lassen. Widerwillig überreichte er Martin zwanzig Dollar.

»Ich hoffe, Sie und Ihr Nigger-Freund lassen mich jetzt in Ruhe«, sagte er trotzig zu dem Fremden.

»Aber sicher doch«, sagte dieser und gab dem Schwarzen einen Wink.

Der stieß den Bärtigen so nach vorn, daß er gegen die Holzkiste und den dahinterstehenden Spieler stolperte. Letzterer geriet ins Wanken, suchte vergeblich nach dem Gleichgewicht und stürzte nach hinten ins brackige Hafenwasser, das ihn verschluckte wie ein Fisch einen willkommenen Happen.

Prustend und um sich schlagend kam der Spitzgesichtige wieder an die Oberfläche und schrie um Hilfe. Niemand rührte sich, bis sich der Bärtige schließlich hinkniete und ihm einen Arm reichte. Pitschnaß am ganzen Körper und vor Schreck kalkweiß im Gesicht kletterte der Spieler an Land.

Der Schwarze sah ihn verächtlich an. »Das war für den Nigger, Sir.«

Der Spieler sah den eleganten Weißen an. »Das werden Sie und Ihr... Ihr Freund mir noch einmal büßen, Mister...«

»Devlin«, half ihm der Fremde aus.

Die Kulleraugen des Spielers weiteten sich vor Erstaunen. »Etwa Beau Devlin?«

»Beauregard Devlin, um genau zu sein. Beau dürfen mich nur meine Freunde nennen. Aber zu denen werden Sie niemals zählen.«

»Beauregard Devlin«, wiederholte der nasse Spieler langsam und sah dann den dunkelhäutigen Hünen an. »Dann müssen Sie Jim Illinois sein!«

Der Neger bleckte grinsend die Zähne und deutete eine spöttische Verbeugung an. »Stets zu Diensten, Sir.«

Er und sein weißer Freund wandten sich zum Gehen, als Martin die beiden ansprach. »Verzeihung, Gentlemen, aber ich habe mich bei Ihnen noch gar nicht für die Hilfe bedankt.«

»Das könnten Sie in Form eines kühlen Bieres tun, junger Freund«, erwiderte Beauregard Devlin. »Geld genug dürften Sie jetzt in der Tasche haben.«

*

So kam es, daß sich Martin, seine beiden Retter sowie Jacob und Irene in einem Biergarten am Hafen unter großen, Schattenspendenden Platanen einfanden, jeder mit einem Krug Bier vor sich.

»Auf was trinken wir?« fragte Devlin und blickte, seinen Krug bereits angehoben, fragend in die Runde.

»Auf die QUEEN OF NEW ORLEANS«, schlug Irene vor. »Auf daß sie uns sicher und wohlbehalten nach St. Louis bringen möge!«

Devlin und der Schwarze namens Jim Illinois warfen sich, von den drei anderen unbemerkt, einen vielsagenden Blick zu, bevor sie ihre Krüge zusammenstießen und dann kräftige Züge nahmen. Der Zug des Negers mit dem sonderbaren Nachnamen war so bemerkenswert kräftig, daß sein Krug beim Absetzen bereits leer war.

Überhaupt schien der Schwarze ein bemerkenswerter Mann zu sein. Die Art, wie er zuvor mit dem Bärtigen umgesprungen war, hatte die gewaltigen Körperkräfte bewiesen, auf die sein massiger Körperbau bereits hindeutete. Doch wirkte er nicht fett, sondern jedes Gramm Fleisch schien aus Muskeln zu bestehen, die seinen Anzug, der nicht ganz so elegant war wie der Devlins, jeden Moment zu sprengen drohten. Das Auffälligste an ihm waren jedoch zwei golden glänzende, fast handtellergroße Scheiben, die er als Ohrringe trug.

»Ungewöhnlichen Schmuck tragen Sie, Mr. Illinois«, bemerkte dann auch Irene. »Ebenso ungewöhnlich wie Ihr Name. Illinois heißt doch ein Staat im Norden, durch den der Mississippi fließt.«

Wieder bleckte der Schwarze seine Zähne, die vielleicht nur deshalb so blendend weiß aussahen, weil sie so stark mit seiner sehr dunklen Haut kontrastierten. »Sie werden es nicht glauben, Ma'am, aber mein ungewöhnlicher Name und mein ungewöhnlicher Schmuck stehen in einem engen Zusammenhang.«

Die junge Frau mit dem schönen, ebenmäßigen, von goldblonden Locken umrahmten Gesicht sah ihn interessiert an. »Das hört sich nach einer spannenden Geschichte an, Mr. Illinois. Würden Sie uns die erzählen?«

»Wenn alle sie hören wollen, warum nicht?«

Alle wollten.

»Ich verdanke das Gold an meinen Ohren und meinen jetzigen Namen eigentlich dem Mississippi«, begann der Schwarze. »Ich hätte mich also auch Jim Mississippi nennen können, aber das erschien mir etwas zu lang. Früher war mein Name Jim Farley. Farley hieß der Plantagenbesitzer, dessen Sklave ich war und der den Tick hatte, alle seine Sklaven nach sich zu benennen. Selbst die, die - wie ich - nicht seinen Lenden entsprungen sind. Seine Plantage lag in Missouri, nahe dem Old Man River, und das war mein Glück. Eines Abends war es bei der Feldarbeit so spät geworden, daß der Aufseher beschloß, mit uns Sklaven draußen, ganz in der Nähe des Flusses, zu übernachten. Als wir am nächsten Morgen erwachten, war der Fluß immer noch in unserer Nähe, allerdings auf der anderen Seite. Erst dachten wir, wir wären alle verrückt geworden oder hätten die Orientierung verloren. Aber allmählich dämmerte uns, was geschehen war. Der Old Man River hatte einen seiner berühmten Sprünge gemacht.«

»Was für Sprünge?« fragte Martin nach.

»Damit begradigt der Fluß zuweilen seinen Lauf, wenn der Druck des Wassers auf eine bestimmte Stelle zu groß wird. Er sucht sich dann einfach ein neues, bequemeres, weil geraderes Bett. So war es auch in jener Nacht geschehen. Als der Aufseher merkte, was los war, hatte er es plötzlich sehr eilig, uns zurück über den Fluß zu treiben. Fast wären wir ihm gefolgt, bis mir plötzlich ein Licht aufging. Der Mississippi bildet die Grenze zwischen den Staaten Missouri und Illinois. Während in Missouri die Sklaverei erlaubt ist, ist sie in Illinois verboten. Und durch den neuen Flußverlauf befanden wir uns jetzt im Gebiet von Illinois! Daher sagte ich dem Aufseher, wir alle seien ab sofort freie Menschen und könnten unsere eigenen Wege gehen. Als der Aufseher diese Auffassung nicht teilen wollte und sein Gewehr auf mich richtete, schlug ich ihn nieder. Als er wieder erwachte, waren wir längst verschwunden. Auf mich muß er besonders brastig gewesen sein, denn fünf Tage später spürte er mich auf und wollte mich über den Haufen schießen. Aber Mr. Devlin rettete mich, und seitdem arbeite ich als sein Partner. Aus Dankbarkeit änderte ich meinen Namen in Illinois, und meine ersten selbstverdienten Goldstücke ließ ich zur Erinnerung zu Ohrringen umarbeiten.«

»Ich habe gewußt, daß es eine spannende Geschichte ist«, meinte Irene begeistert. »Und als was arbeiten Sie, Mr. Illinois?«

»Ich bin Mr. Devlins Schatten.«

»Wie bitte?«

Der Schwarze wiederholte seinen Satz.

Irene schüttelte den Kopf. »Schatten kenne ich wohl. Aber daß ein Mensch als Schatten arbeitet, das habe ich noch nie gehört.«