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23

IN DER FALLE

Jacob war es, als ritte er in seine eigene Vergangenheit, als sie die Schlucht erreichten, durch die er schon einmal ins Tal der Feen gekommen war. Drei Jahre sind eine lange Zeit, aber alles schien unverändert: der Bach, der am Grund der Schlucht floss, die Fichten, die sich in die Hänge krallten, die Stille zwischen den Felsen ... Nur seine Schulter erinnerte ihn daran, dass seither viel geschehen war. Sie schmerzte, als nähte der Schneider sich tatsächlich Kleider aus seiner Haut.

Valiant saß vor ihm auf dem Pferd und blickte sich immer wieder zu ihm um.

»Oh, du siehst wirklich schlimm aus, Reckless!«, stellte er nicht zum ersten Mal mit unverhohlener Schadenfreude fest. »Und das arme Mädchen starrt schon wieder zu dir herüber. Bestimmt hat sie Angst, dass du vom Pferd fällst, bevor ihr Liebster seine Haut zurückhat. Aber keine Sorge. Wenn du tot und dein Bruder ein Goyl ist, werd ich sie trösten. Ich hab eine Schwäche für Menschenfrauen.«

So ging das, seit sie aufgebrochen waren, aber Jacob war zu betäubt vom Fieber, um etwas zu erwidern. Selbst Wills Worte in der Höhle drangen nicht mehr durch den Schmerz und er sehnte sich nach der heilenden Luft der Feen inzwischen ebenso sehr für sich wie für seinen Bruder.

Es ist nicht mehr weit, Jacob. Du musst nur noch durch die Schlucht und dann bist du in ihrem Tal.

Clara ritt gleich hinter ihm. Will trieb sein Pferd ab und zu an ihre Seite, als wollte er sie vergessen lassen, was in der Höhle geschehen war, und auf Claras Gesicht kämpfte die Liebe mit der Angst. Aber sie ritt weiter.

Wie er selbst. Und Will.

Und der Zwerg konnte sie alle immer noch betrügen.

Die Sonne stand bereits tief und zwischen den Felsen wuchsen die Schatten. Der schäumende Bach, an dem sie entlangritten, war so dunkel, als schwemmte er die Nacht in die Schlucht, und sie waren noch nicht weit gekommen, als Will plötzlich das Pferd zügelte.

»Was ist los?«, fragte Valiant beunruhigt. »Es sind Goyl hier.« Aus Wills Stimme war nicht die Spur von Zweifel zu hören. »Sie sind ganz in der Nähe.«

»Goyl?« Valiant warf Jacob einen hämischen Blick zu. »Bestens. Ich verstehe mich sehr gut mit ihnen.«

Jacob presste ihm die Hand auf den Mund. Er ließ der Stute die Zügel gehen und lauschte, aber das Rauschen des Baches übertönte alle anderen Geräusche. »Tut so, als tränktet ihr die Pferde«, flüsterte er den anderen zu.

»Ich rieche sie auch«, zischte Fuchs. »Sie sind vor uns.«

»Aber warum verstecken sie sich?« Will schauderte wie ein Tier, das sein Rudel wittert.

Valiant musterte ihn, als sähe er ihn zum ersten Mal - und drehte sich so abrupt zu Jacob um, dass er fast vom Pferd rutschte. »Du verschlagener Hund!«, raunte er ihm zu. »Welche Farbe hat der Stein in seiner Haut? Grün, stimmt's?«

»Und?«

»Und? Verkauf mich nicht für dumm! Es ist Jade. Ein Kilo roten Mondstein haben die Goyl auf ihn ausgesetzt. Dein Bruder, dass ich nicht lache!« Der Zwerg zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Du hast ihn gefunden, wie den Gläsernen Schuh und das Tischleindeckdich. Aber was zum Teufel willst du mit ihm bei den Feen?«

Jade.

Jacob starrte auf Wills blassgrüne Haut. Natürlich hatte er die Geschichten gehört. Der Goylkönig und sein unbezwingbarer Leibwächter. Chanute hatte mal davon geträumt, ihn zu finden und an die Kaiserin zu verkaufen. Aber niemand konnte allen Ernstes glauben, dass sein Bruder der Jadegoyl war.

Am Ende der Schlucht sah man schon das nebelverhangene Tal. So nah.

»Lass ihn uns zu einer ihrer Festungen bringen und die Belohnung teilen!«, zischte Valiant ihm zu. »Wenn sie ihn hier in der Schlucht fangen, werden sie uns nichts für ihn geben!«

Jacob beachtete ihn nicht. Er sah, wie Will schauderte.

»Kennst du noch einen anderen Weg in das Tal?«, fragte er den Zwerg.

»Sicher«, gab Valiant hämisch zurück. »Wenn du glaubst, dass dein sogenannter Bruder Zeit für Umwege hat ... Von dir ganz zu schweigen!«

Will blickte sich um, rastlos wie ein gefangenes Tier.

Clara trieb ihr Pferd an Jacobs Seite. »Bring ihn weg von hier!«, flüsterte sie ihm zu. »Bitte.«

Aber was dann?

Ein paar Meter weiter wuchs eine Gruppe Kiefern vor den Felsen. Unter ihren Zweigen war es so dunkel, dass Jacob selbst auf so kurze Entfernung nicht sehen konnte, was darunterlag.

Er beugte sich zu Will hinüber und griff nach seinem Arm. »Reite mir zu den Kiefern dort nach«, raunte er ihm zu. »Und steig ab, wenn ich es tue!«

Es war Zeit, Verstecken zu spielen. Verstecken und verkleiden.

Will zögerte, aber schließlich nahm er die Zügel auf und ritt ihm nach.

Die Schatten unter den Kiefern waren schwarz wie Ruß. Dunkelheit, die, wenn sie Glück hatten, selbst Goylaugen blind machte.

»Erinnerst du dich, wie wir uns als Kinder geprügelt haben?«, raunte Jacob Will zu, bevor er sich vor den Bäumen aus dem Sattel schwang.

»Du hast mich immer gewinnen lassen.«

»So machen wir es jetzt auch.«

Fuchs huschte an seine Seite. »Was hast du vor?«

»Egal, was passiert«, flüsterte er ihr zu. »Ich will, dass du bei Will bleibst. Versprich es mir. Wenn du es nicht tust, sind wir alle tot.«

Will stieg vom Pferd.

»Ich will, dass du dich wehrst, Will«, raunte Jacob ihm zu. »Und sorg dafür, dass es echt aussieht. Wir müssen unter den Bäumen da enden.«

Dann schlug er seinem Bruder ohne Vorwarnung die Faust ins Gesicht.

Das Gold in Wills Augen fing sofort Feuer.

Er schlug so fest zurück, dass Jacob auf die Knie fiel. Haut aus Stein und ein Zorn, den er auf dem Gesicht seines Bruders noch nie gesehen hatte.

Vielleicht doch kein so guter Plan, Jacob.

24

DIE JÄGER

Hentzau hatte die Schlucht bei Morgengrauen erreicht. Die Einhörner, die in dem nebligen Tal grasten, ließen wenig Zweifel daran, dass Nesser sie an den richtigen Ort geführt hatte. Aber inzwischen stand die Sonne tief, und Hentzau begann sich zu fragen, ob der Jadegoyl am Ende doch von seinem Bruder erschossen worden war, als Nesser zum Eingang der Schlucht wies.

Sie hatten ein Mädchen und einen Fuchs dabei, wie der Dreifinger gesagt hatte, und sie hatten sich einen Zwerg gefangen. Nicht dumm. Selbst Nesser wusste nicht, wie man an den Einhörnern vorbeikam, aber Hentzau hatte von dem Gerücht gehört, dass einige Zwerge das Geheimnis kannten. Wie auch immer - er hatte keinen Ehrgeiz, der erste Goyl zu sein, der die verhexte Feeninsel sah. Lieber ritt er durch ein Dutzend Schwarzer Wälder oder schlief bei den Blinden Schlangen, die unter der Erde hausten. Nein. Er würde sich den Jadegoyl holen, bevor er sich hinter den Einhörnern verstecken konnte.

»Kommandant, sie schlagen sich!« Nesser klang erstaunt.

Was hatte sie erwartet? Der Zorn kam mit der steinernen Haut wie das Gold in den Augen. Und gegen wen richtete er sich zuerst? Gegen den Bruder. Ja, schlag ihn tot!, dachte Hentzau, während er den Jadegoyl durch sein Fernrohr musterte. Vielleicht hast du das schon oft gewollt, aber er war immer der Ältere, immer der Stärkere. Du wirst sehen: Der Zorn der Goyl macht all das wett.

Der Ältere kämpfte nicht schlecht, aber er hatte keine Chance.

Da. Er fiel auf die Knie. Das Mädchen lief auf den Jadegoyl zu und zerrte ihn zurück, aber er riss sich los, und als sein Bruder versuchte, wieder auf die Füße zu kommen, trat er ihm so fest gegen die Brust, dass er unter die Kiefern stolperte. Die schwarzen Zweige verschluckten sie beide, und Hentzau wollte gerade den Befehl geben hinunterzureiten, als der Jadegoyl wieder zwischen den Bäumen auftauchte.