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»Da wären wir also. Zufrieden?« Valiant stand zwischen den Weiden und zupfte sich die Einhornhaare von den Ärmeln.

»Wer hat dir die Kette abgenommen?« Jacob versuchte, den Zwerg zu packen, aber Valiant wich ihm behände aus.

»Frauenherzen sind zum Glück so viel mitfühlender als der Stein, der dir in der Brust schlägt«, schnurrte er, während Clara verlegen Jacobs Blick erwiderte. »Und? Was regst du dich auf? Wir sind quitt! Aber die Einhörner haben mir den Hut zertrampelt.« Der Zwerg fuhr sich anklagend über das unbedeckte Haar. »Wenigstens den Schaden könntest du mir bezahlen!«

»Quitt? Willst du die Narben auf meinem Rücken sehen?« Jacob tastete über seine Schulter. Sie fühlte sich so unversehrt an, als hätte er nie gegen den Schneider gekämpft. »Mach, dass du fortkommst«, sagte er zu dem Zwerg. »Bevor ich dich doch noch erschieße.«

»Ach ja?« Valiant warf einen spöttischen Blick auf die Insel, die in der aufziehenden Dämmerung verschwamm. »Ich bin sicher, dein Name steht eher auf einem Grabstein als meiner. Gnädigste?«, sagte er und wandte sich zu Clara um. »Ihr solltet mit mir kommen. Das hier kann nur böse enden. Habt Ihr je von Schneewittchen gehört, der Menschenfrau, die mit ein paar Zwergenbrüdern gelebt hat, bevor sie sich mit einem Vorfahren der Kaiserin einließ? Sie ist kreuzunglücklich mit ihm geworden und ist ihm schließlich davongelaufen. Mit einem Zwerg!«

»Tatsächlich?« Clara schien nicht wirklich gehört zu haben, was der Zwerg ihr erzählt hatte.

Sie trat an das Ufer des blütenbedeckten Sees, als hätte sie alles vergessen, selbst Will, der nur ein paar Schritte entfernt von ihr stand. Zwischen den Weiden wuchsen Glockenblumen, dunkelblau wie der Abendhimmel, und als Clara eine von ihnen pflückte, gab die Blüte ein leises Klingen von sich. Es wischte ihr all die Angst und Traurigkeit vom Gesicht. Valiant ließ ein entnervtes Stöhnen hören.

»Feenzauber!«, murmelte er verächtlich. »Ich denke, ich empfehle mich besser.«

»Warte!«, sagte Jacob. »Es lag immer ein Boot am Ufer. Wo ist es?«

Aber als er sich umdrehte, war der Zwerg schon zwischen den Bäumen verschwunden - und Will starrte sein Spiegelbild auf den Wellen an. Jacob warfeinen Stein in das dunkle Wasser, doch das Abbild seines Bruders war schnell zurück, verzerrt und nur umso bedrohlicher.

»Ich hätte dich in der Schlucht fast erschlagen.« Wills Stimme klang inzwischen so rau, dass sie kaum noch von der eines Goyl zu unterscheiden war. »Sieh mich an! Egal, was du hier zu finden hoffst, es ist zu spät für mich. Gib es endlich zu.«

Clara blickte zu ihnen herüber. Der Feenzauber haftete ihr wie Pollenstaub auf der Haut. Nur Will schien ihn nicht zu spüren. Wo ist dein Bruder, Jacob? Wo hast du ihn gelassen?Das Rauschen der Blätter klang wie die Stimme ihrer Mutter.

Will wich vor Jacob zurück, als hätte er Angst, ihn wieder zu schlagen.

»Lass mich zu ihnen gehen.«

Hinter den Bäumen versank die Sonne. Ihr Licht trieb wie schmelzendes Gold auf den Wellen und die Feenlilien öffneten die Knospen und hießen die Nacht willkommen.

Jacob zog Will vom Wasser fort.

»Du wartest hier am Ufer auf mich«, sagte er. »Rühr dich nicht von der Stelle. Ich bin bald zurück, ich verspreche es.«

Die Füchsin presste sich gegen seine Beine und blickte mit gesträubtem Fell zu der Insel hinüber.

»Worauf wartest du, Fuchs?«, sagte Jacob. »Such das Boot.«

26

DIE ROTE FEE

Fuchs fand das Boot. Und diesmal bat sie Jacob nicht, sie mitzunehmen. Aber als er hineinstieg, biss sie ihn so fest in die Hand, dass ihm das Blut über die Finger rann.

»Damit du mich nicht vergisst!«, schnappte sie, und in ihren Augen war die Angst, dass er auch diesmal, wie vor drei Jahren, verloren gehen würde.

Die Feen hatten Fuchs fortgescheucht, nachdem sie Jacob halb tot in ihrem Wald gefunden hatten, und sie war bei dem Versuch, ihm auf die Insel zu folgen, fast ertrunken. Trotzdem hatte sie auf ihn gewartet, ein ganzes Jahr, während er sie und alles andere vergessen hatte. Nun saß sie wieder da, das Fell geschwärzt von der aufziehenden Nacht, selbst als er schon weit auf den See hinausgerudert war. Auch Clara stand zwischen den Weiden und diesmal blickte sogar Will ihm nach.

Es ist zu spät für mich. Selbst die Wellen, die gegen das schmale Boot schlugen, schienen es seinem Bruder nachzusprechen. Aber wer sollte den Fluch der Dunklen Fee besser brechen können als ihre Schwester? Jacob fasste nach dem Medaillon. Das Blütenblatt darin hatte er an dem Tag gepflückt, an dem er Miranda verlassen hatte. Es machte ihn für sie so unsichtbar, als hätte er mit der Liebe auch den Körper abgelegt, der sie geliebt hatte. Nichts als ein Blütenblatt. Sie selbst hatte ihm verraten, dass er sich so vor ihr verbergen konnte. Wenn sie liebten, verrieten sie all ihre Geheimnisse im Schlaf. Man musste nur die richtige Frage stellen.

Zum Glück machte das Blatt ihn auch für die anderen Feen unsichtbar. Jacob sah vier von ihnen im Wasser stehen, als er das Boot am Ufer der Insel im Schilf versteckte. Ihr langes Haar trieb auf den Wellen, als hätte die Nacht selbst es gesponnen, aber Miranda war nicht bei ihnen. Eine von ihnen blickte in seine Richtung, und Jacob war dankbar für den Blütenteppich, der seine Schritte fast so lautlos machte wie die von Fuchs. Er hatte gesehen, wie sie Männer in Disteln oder Fische verwandelten. Die Blüten waren blau wie die Glockenblume, die Clara gepflückt hatte, und auch das Medaillon konnte Jacob nicht gegen die Erinnerungen schützen, die ihr Duft heraufbeschwor. Vorsicht, Jacob! Er presste die Finger auf den blutigen Abdruck, den Fuchs' Zähne auf seinem Handrücken hinterlassen hatten.

Schon bald sah er das erste der Netze, die die Motten der Feen zwischen die Bäume spannen. Zelte, dünn wie Libellenhaut, in denen es selbst bei Tag so dunkel blieb, als hätte die Nacht sich zwischen ihnen verfangen. Die Feen schliefen nur in ihnen, wenn die Sonne am Himmel stand, aber Jacob wusste keinen besseren Ort, an dem er auf Miranda warten konnte.

Die Rote Fee. Unter diesem Namen hatte er zuerst von ihr gehört. Ein betrunkener Söldner hatte ihm von einem Freund erzählt, den sie auf die Insel gelockt und der sich nach seiner Rückkehr aus Sehnsucht nach ihr ertränkt hatte. Jeder kannte solche Geschichten über die Feen, obwohl die wenigsten sie je zu Gesicht bekamen. Manche hielten ihre Insel für das Reich der Toten, aber die Feen wussten nichts von Menschentod und Menschenzeit. Miranda nannte die Dunkle Fee nur deshalb Schwester, weil sie am selben Tag aus dem See gestiegen war. Wie sollte sie also verstehen, was er dabei empfand, dass seinem Bruder eine Haut aus Stein wuchs?

Das Zelt zwischen den Bäumen, das ein Jahr lang Anfang und Ende seiner Welt gewesen war, heftete sich an Jacobs Kleider, als er sich einen Weg durch die gesponnenen Wände suchte. Seine Augen gewöhnten sich nur langsam an die Dunkelheit, und er wich überrascht zurück, als er eine schlafende Gestalt auf dem Bett aus Moos sah, auf dem er selbst so oft gelegen hatte.

Sie war unverändert. Natürlich. Sie alterten nicht. Ihre Haut war blasser als die Lilien draußen auf dem See und ihr Haar so dunkel wie die Nacht, die sie liebte. Nachts waren auch ihre Augen schwarz, aber bei Tag wurden sie blau wie der Himmel oder grün wie das Wasser des Sees, wenn das Laub der Weiden sich darin spiegelte. So schön. Zu schön für Menschenaugen. Nicht berührt von der Zeit und dem Welken, das sie brachte. Doch irgendwann sehnte sich ein Mann danach, dieselbe Sterblichkeit, die er im eigenen Fleisch fühlte, auch in der Haut zu spüren, über die er strich.

Jacob zog das Medaillon unter dem Hemd hervor und löste es von der Kette an seinem Hals. Miranda regte sich, sobald er es neben sie legte, und Jacob trat einen Schritt zurück, als sie im Traum seinen Namen flüsterte. Es war kein guter Traum und schließlich schreckte sie auf und öffnete die Augen.