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Er wandte das Gesicht ab, als erinnerte er sich an die Jade. Aber Clara sah sie nicht. Es war immer noch das Gesicht, das sie liebte. Der Mund, den sie so oft geküsst hatte. Selbst die Augen waren noch die seinen, trotz des Goldes. Aber als sie die Hand nach ihm ausstreckte, schauderte er, wie er es in der Höhle getan hatte, und die Nacht war wie ein schwarzer Fluss zwischen ihnen.

Will zog die Pistole, die Jacob ihm gegeben hatte, unter dem Mantel hervor.

»Hier, nimm«, sagte er. »Du wirst sie vielleicht brauchen, falls Jacob nicht zurückkommt und ich morgen deinen Namen nicht mehr weiß. Falls du ihn töten musst - den anderen mit dem Steingesicht -, sag dir einfach, dass er dasselbe mit mir getan hat.«

Sie wollte zurückweichen, aber Will hielt sie fest und drückte ihr die Pistole in die Hand. Er vermied es, ihre Haut zu berühren, aber er fuhr ihr mit den Fingern durchs Haar.

»Es tut mir so leid!«, flüsterte er.

Dann ging er an ihr vorbei und verschwand unter den Weiden. Und Clara stand da und starrte die Pistole an. Bis sie an den See trat und sie in das dunkle Wasser warf.

28

NUR EINE ROSE

Jacob blieb die ganze Nacht. Auch wenn sie nach Asche schmeckte. Er löste schwarzes Haar aus der Dunkelheit und suchte nach Trost auf Mirandas weißer Haut. Erlaubte seinen Fingern, sich zu erinnern, und seinem Verstand, zu vergessen. Draußen lachten und flüsterten die anderen Feen, und Jacob fragte sich, ob Miranda ihn beschützen würde, falls sie ihn entdeckten. Aber es war ihm gleich. Alles war ihm gleich in dieser Nacht. Kein Morgen. Kein Gestern. Keine Brüder und Väter. Nur dunkles Haar und weiße Haut und rote Flügel, die etwas in die Nacht schrieben, das er nicht verstand.

Doch als selbst das Zelt sie nicht mehr vor dem Tag schützen konnte, begann der Biss auf seiner Hand zu schmerzen, und alles war zurück: die Angst, der Stein, das Gold in Wills Augen - und die Hoffnung, dass er doch noch einen Weg gefunden hatte, all dem ein Ende zu machen.

Miranda fragte nicht, ob er zurückkommen würde. Bevor er ging, ließ sie ihn nur wiederholen, was sie ihm über ihre dunkle Schwester verraten hatte. Wort für Wort.

Bruder. Schwester.

Die Lilien schlossen sich schon vor dem ersten Morgenlicht und Jacob sah auf dem Weg zum Boot keine andere Fee. Aber der Schaum, der draußen auf dem See trieb, kündigte an, dass das Wasser bald eine weitere gebären würde.

Will war nirgends zu sehen, als Jacob auf das andere Ufer zuruderte, aber Clara schlief zwischen den Weiden. Sie schreckte auf, als er das Boot an Land schob. Nach der Schönheit der Feen glich sie einer Wiesenblume in einem Strauß von Lilien. Doch sie schien weder ihre schmutzigen Kleider noch das Laub in ihrem Haar zu bemerken. Alles, was Jacob auf Claras Gesicht sah, war die Erleichterung darüber, dass er zurück war - und die Angst um seinen Bruder. »Dein Bruder wird sie brauchen. Und du auch.« Fuchs hatte wieder einmal recht gehabt. Sie hatte immer recht. Und diesmal hatte er zum Glück auf sie gehört.

Sie kam mit so gesträubtem Fell unter den Weidenzweigen hervor, als wüsste sie genau, warum er erst jetzt zurückkam.

»Das war eine lange Nacht«, sagte sie mürrisch. »Ich habe mir schon die Fische daraufhin angesehen, ob einer von ihnen dir ähnlich sieht.«

»Ich bin zurück, oder?«, antwortete Jacob. »Und sie wird ihm helfen.«

»Warum?«

»Warum? Was weiß ich? Weil sie es kann. Weil sie ihre Schwester nicht mag. Es ist mir gleich. Solange sie es nur tut!«

Fuchs sah zu der Insel hinüber, die Augen schmal vor Misstrauen. Aber Clara wirkte so erleichtert, dass alle Müdigkeit von ihrem Gesicht verschwand.

»Wann?«, fragte sie.

»Bald.«

Fuchs las Jacob vom Gesicht, dass das nicht alles war, doch sie schwieg. Sie roch, dass ihr die ganze Wahrheit nicht gefallen würde. Clara aber war viel zu glücklich, um das zu bemerken.

»Fuchs dachte, du hättest uns vergessen.« Will trat zwischen den Weiden hervor, und Jacob hatte für einen Moment Angst, dass er zu lange auf der Insel geblieben war. Die Jade war dunkler geworden und verschmolz mit dem Grün der Bäume, als hätte die Welt hinter dem Spiegel seinen Bruder endgültig zu einem Teil von sich gemacht. Sie hatte ihre Saat in Will gelegt, wie eine Schlupfwespe im Körper einer Raupe, und starrte Jacob mit goldenen Augen an, seinen Bruder zwischen den Zähnen. Aber er würde ihn befreien, mit derselben Waffe, die sie gegen ihn benutzt hatte: mit den Worten einer Fee.

»Wir müssen eine Rose finden«, sagte Jacob.

»Eine Rose? Das ist alles?« Das Jadegesicht war undurchdringlich. So vertraut und fremd zugleich.

»Ja. Sie wächst nicht weit von hier.« Und dann wirst du schlafen, Bruder, und ich muss die Dunkle Fee finden.

»Du kannst es nicht einfach verschwinden lassen.« Wie Will ihn ansah. Als erinnerte er sich an nichts mehr - und doch an alles, was sie je entzweit hatte.

»Warum nicht?«, gab Jacob zurück. »Ich habe gewusst, dass sie dir helfen kann. Tu einfach nur, was ich dir sage, und alles wird gut.«

Fuchs ließ ihn nicht aus den Augen.

Was hast du vor, Jacob Reckless?, fragte ihr Blick. Du hast Angst.

Und, Fuchs?, wollte er antworten. Das ist schließlich ein vertrautes Gefühl.

29

INS HERZ

Sie ritten am Seeufer entlang nach Norden. Die Zeit ertrank in Blütenduft und dem Licht, das sich auf dem Wasser brach, und Clara war zum ersten Mal bereit, dieser Welt all die Furcht und Finsternis zu vergeben. Alles würde gut werden. Alles.

Aber Jacob kehrte dem See bald den Rücken zu. Die Pferde versanken in Brombeeren und Farn und über ihnen färbten sich die Blätter gelb. Ein kühler Wind strich durch die Zweige, und Clara konnte hinter den Stämmen plötzlich wieder das Tal sehen, in dem die Einhörner grasten. Sie waren so weit entfernt, dass sie kaum zu sehen waren in dem Nebel, der immer noch zwischen den Bergen hing. Doch ihre Toten lagen zu Claras Füßen.

Ihre Skelette waren überall, Moos und Gras zwischen den Rippen, Spinnennetze in den leeren Augenhöhlen, die weißen Hörner noch auf der knochigen Stirn. Ein Friedhof der Einhörner. Vielleicht kamen sie zum Sterben unter die Bäume, weil es im Schutz der Zweige leichter fiel. Oder weil sie im Tod die Nähe der Feen suchten. Ranken mit weißen Blüten schlangen sich durch die Knochen, wie ein letzter Gruß, den sie ihren Wächtern geschickt hatten.

Jacob stieg vom Pferd und ging auf eins der Skelette zu. Eine rote Rose trieb ihm aus der Brust.

»Will, komm her.« Jacob winkte seinen Bruder an seine Seite.

Fuchs lief zwischen die Bäume und spähte hinüber zu den Einhörnern. Sie hob die Schnauze misstrauisch in den Wind.

»Es riecht nach Goyl.«

»Und? Will steht gleich hinter dir.« Jacob kehrte dem Tal den Rücken zu. »Pflück die Rose, Will.«

Will streckte die Hand aus und zog sie zurück. Er blickte auf seine versteinerten Finger. Dann sah er sich zu Clara um, als suchte er in ihrem Gesicht nach dem, der er einmal gewesen war.

Bitte, Will. Sie sprach es nicht aus, aber sie dachte es. Wieder und wieder. Tu, was dein Bruder sagt! Und zwischen all dem Blühen und dem Tod sah Will sie für einen kostbaren Moment so an, wie er es früher getan hatte. Alles wird gut.

Clara hörte den holzigen Stiel brechen, als er die Rose pflückte. Einer der Dornen stach ihn in den Finger, und Will betrachtete überrascht das bernsteinblasse Blut, das ihm aus der Jadehaut drang. Er ließ die Rose fallen und strich sich über die Stirn.

»Was ist das?«, stammelte er und sah seinen Bruder an. »Was hast du getan?«