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»Hast du Will deshalb nicht gesagt, wozu er die Rose pflücken sollte?« Der Wind wehte ihr ein paar Funken ins Haar. »Ich glaube, dein Bruder weiß mehr über Angst als du.«

Worte. Nichts weiter. Aber sie machten dunkles Glas aus der Nacht und Jacob sah sein eigenes Gesicht darin.

»Ich weiß, warum du hier bist.« Clara sprach mit so abwesender Stimme, als spräche sie nicht über ihn, sondern über sich selbst. »Diese Welt macht dir nicht halb so viel Angst wie die andere. Du hast hier nichts und niemanden zu verlieren, außer Fuchs, und die macht sich mehr Sorgen um dich als du um sie. Alles, was wirklich Angst macht, hast du hinter dem Spiegel gelassen. Aber dann ist Will hergekommen und hat alles mitgebracht.«

Sie richtete sich wieder auf und wischte sich die Erde von den Knien.

»Was immer du vorhast, bitte pass auf dich auf. Du machst nichts wieder gut, indem du dich für Will umbringen lässt. Aber falls es einen anderen Weg gibt, irgendeinen Weg, ihn wieder zu dem zu machen, der er war, lass mich dabei helfen! Auch wenn du denkst, dass es mir Angst machen wird. Du bist nicht der Einzige, der ihn nicht verlieren will. Und wozu sonst bin ich noch hier?«

Clara ließ ihn allein, bevor er ihr antworten konnte. Und Jacob wünschte sie weit fort. Und war froh, dass sie da war. Und sah sein Gesicht in dem dunklen Glas der Nacht. Unverzerrt. Wie sie es gemalt hatte.

32

DER FLUSS

Sie brauchten noch vier Tage, um das Gebirge zu erreichen, das die Goyl ihre Heimat nannten. Frostige Tage und kalte Nächte. Zu viel Regen und feuchte Kleider. Eines der Pferde verlor ein Eisen, und der Schmied, zu dem sie es brachten, erzählte Clara von einem Blaubart, der im nächsten Ort drei Mädchen, kaum älter als sie, von ihren Vätern gekauft und in seinem Schloss getötet hatte. Clara lauschte ihm mit ausdruckslosem Gesicht, aber Jacob las ihr von der Stirn, dass sie ihre eigene Geschichte inzwischen für fast ebenso finster hielt.

»Was macht sie noch hier?«, fragte Valiant ihn irgendwann mit gesenkter Stimme, als Clara am Morgen vor Müdigkeit kaum auf ihr Pferd kam. »Was treibt ihr Menschen nur mit euren Frauen? Sie gehört in ein Haus. Schöne Kleider, Diener, Kuchen, ein weiches Bett, das ist es, was sie braucht.«

»Und einen Zwerg zum Ehemann und ein goldenes Schloss vor der Tür, zu dem du den Schlüssel hast«, gab Jacob zurück.

»Warum nicht?«, erwiderte Valiant - und schenkte Clara sein umwerfendstes Lächeln.

Die Nächte waren so kalt, dass sie in Gasthöfen übernachteten. Clara teilte sich das Bett mit Fuchs, während Jacob neben dem schnarchenden Zwerg lag, aber er schlief nicht nur deshalb unruhig. In seinen Träumen erstickten ihn rote Motten, und wenn er schweißgebadet aus dem Schlaf fuhr, schmeckte er das eigene Blut im Mund.

Am Abend des vierten Tages sahen sie die Türme, die die Goyl entlang ihrer Grenzen bauten. Schlank wie Tropfsteinsäulen, mit faserigen Mauern und Fenstern aus Onyx, aber Valiant kannte einen Weg durch die Berge, der sie umging.

Früher waren die Goyl in diesem Landstrich nur ein Schrecken von vielen gewesen, den man in einem Atemzug mit Menschenfressern und Braunen Wölfen nannte. Aber ihr schlimmstes Verbrechen war schon immer gewesen, dass sie allzu menschlich aussahen. Sie waren die verabscheuten Zwillinge. Die steinernen Vettern, die im Dunkeln hausten. Nirgendwo hatte man sie gnadenloser gejagt als in den Bergen, aus denen sie stammten, und die Goyl zahlten inzwischen mit gleicher Münze zurück. Ihre Herrschaft war nirgends mitleidloser als in ihrer alten Heimat.

Valiant mied die Straßen, die ihre Truppen benutzten, aber trotzdem gerieten sie immer wieder in ihre Patrouillen. Der Zwerg stellte Jacob und Clara als reiche Klienten vor, die beabsichtigten, nah der Königsfestung eine Glasfabrik zu bauen. Jacob hatte Clara einen der mit Goldfäden bestickten Röcke gekauft, die die wohlhabenderen Frauen in dieser Gegend trugen, und seine eigenen Kleider gegen die eines Kaufmanns eingetauscht. Er erkannte sich selbst kaum in dem Mantel mit dem pelzbesetzten Kragen und den weichen grauen Hosen, und für Clara war das Reiten in dem weiten Rock noch mühsamer, aber die Goyl winkten sie jedes Mal durch, wenn Valiant seine Geschichte erzählte.

An einem Abend, der nach Schnee roch, erreichten sie endlich den Fluss, hinter dem die Königsfestung lag. Die Fähre legte in Blenheim ab, einem Ort, den die Goyl schon vor Jahren eingenommen hatten. Fast die Hälfte der Häuser hatte zugemauerte Fenster. Die Besatzer hatten viele Straßen überdacht, um sich vor dem Tageslicht zu schützen, und hinter der Hafenmauer gab es einen bewachten Einstieg, der zeigte, dass Blenheim inzwischen auch ein unterirdisches Viertel hatte.

Während Fuchs zwischen den Häusern verschwand, um eines der mageren Hühner zu fangen, die auf dem Kopfsteinpflaster herumpickten, ging Jacob mit Valiant und Clara hinunter zum Fluss. Der Abendhimmel spiegelte sich in dem trüben Wasser und am anderen Ufer klaffte in der Bergflanke ein quadratisches Tor.

»Ist das der Eingang zur Festung?«, fragte Jacob den Zwerg. Aber Valiant schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist nur eine der Städte, die sie überirdisch angelegt haben. Die Festung liegt weiter landeinwärts und so tief unter der Erde, dass du in ihr das Atmen verlernst.«

Jacob band die Pferde an und ging mit Clara zum Anleger hinunter. Der Fährmann spannte schon die Kette vor. Er war fast so hässlich wie die Trolle im Norden, die vor ihrem eigenen Spiegelbild erschraken, und sein Boot hatte schon bessere Tage gesehen. Der flache Rumpf war mit Metall beschlagen, und der Fährmann verzog den Mund zu einem verächtlichen Lächeln, als Jacob ihn fragte, ob er sie noch vor der Nacht übersetzen konnte.

»Dieser Fluss ist kein gastlicher Ort, wenn es dunkel wird.« Er sprach so laut, als wollte er auch am anderen Ufer zu hören sein. »Und ab morgen ist die Überfahrt verboten, weil der gekrönte Goyl sein Nest verlässt, um zu seiner Hochzeit zu fahren.«

»Hochzeit?«

Jacob warf Valiant einen fragenden Blick zu, aber der Zwerg zuckte die Schultern.

»Wo seid ihr gewesen?«, höhnte der Fährmann. »Eure Kaiserin kauft sich Frieden von den Steingesichtern, indem sie dem König ihre Tochter gibt. Morgen werden sie wie Termiten aus ihren Löchern schwärmen, und der Goyl wird in seinem Teufelszug nach Vena fahren, um die schönste aller Prinzessinnen mit sich unter die Erde zu nehmen.«

»Reist die Fee mit ihm?«, fragte Jacob.

Valiant warf ihm einen neugierigen Blick zu.

Aber der Fährmann zuckte nur die Schultern. »Sicher. Der Goyl geht nirgendwohin ohne sie. Nicht mal zur Hochzeit mit einer anderen.«

Und wieder läuft dir die Zeit davon, Jacob.

Er schob die Hand in die Tasche. »Hast du heute einen Goyloffizier übergesetzt?«

»Was?« Der Fährmann hielt die Hand ans Ohr.

»Einen Goyloffizier. Jaspishaut, ein Auge fast blind. Er hatte einen Gefangenen dabei.«

Der Fährmann blickte hinüber zu dem Goylposten, der hinter der Mauer Wache stand, aber er war weit entfernt und kehrte ihnen den Rücken zu. »Wieso? Bist du einer von denen, die sie immer noch jagen?« Der Fährmann sprach immer noch so laut, dass Jacob dem Posten einen besorgten Blick zuwarf. »Sein Gefangener könnte dir viel Geld einbringen. Er hatte eine Farbe, die ich noch bei keinem von ihnen gesehen habe.«

Jacob hätte ihm zu gern in sein hässliches Gesicht geschlagen. Stattdessen zog er einen Goldtaler aus dem Taschentuch.

»Du bekommst einen zweiten am anderen Ufer, wenn du uns noch heute übersetzt.«

Der Fährmann starrte begierig auf den Taler, aber Valiant griff nach Jacobs Arm und zog ihn zur Seite.

»Lass uns bis morgen warten!«, zischte er ihm zu. »Es wird schon dunkel und der Fluss wimmelt von Loreley.«

Loreley. Jacob blickte über das träge dahinfließende Wasser. Seine Großmutter hatte manchmal ein Lied mit demselben Namen gesungen. Der Text hatte ihn als Kind schaudern lassen, aber die Geschichten, die man in dieser Welt von den Loreley erzählte, waren noch wesentlich finsterer.