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»Nichts!«, murmelte er. »Gar nichts! Ist es der Mantel? Nein, bei dem anderen hat es auch funktioniert! Wachsen sie dir zwischen den Fingern?«

»Genau«, antwortete Jacob und zog die Hand des Zwergs aus der Tasche, bevor sie sich um das Taschentuch schloss.

»Irgendwann komm ich drauf!«, knurrte der Zwerg, während er das Gold in seinen samtenen Taschen verschwinden ließ. »Und jetzt: Kopf runter. Gesenkter Blick. Du bist ein Sklave.«

Die Gassen, die das Häusermeer an den Höhlenwänden durchzogen, waren für Menschen noch unzugänglicher als die Straßen von Terpevas. Oft ging es so steil hinauf, dass Jacobs Füße hilflos abrutschten und er Halt an einem Türrahmen oder Fenstersims suchen musste. Valiant dagegen bewegte sich in ihnen fast so zügig wie ein Goyl. Die Haut der Menschen, denen sie begegneten, war grau vom Mangel an Sonnenlicht, und vielen war der Buchstabe ihres Besitzers in die Stirn gebrannt. Sie beachteten Jacob ebenso wenig wie die Goyl, die ihnen in dem dämmrigen Häuserlabyrinth entgegenkamen. Der Zwerg an seiner Seite schien tatsächlich Erklärung genug, und Valiant genoss es, ihn mit all dem zu beladen, was er in den Geschäften erstand, in denen er verschwand, um etwas über Wills Aufenthaltsort zu erfahren.

»Treffer!«, raunte er endlich, nach dem er Jacob fast eine halbe Stunde vor der Werkstatt eines Juweliers hatte warten lassen. »Gute und schlechte Nachrichten. Die gute ist: Ich habe erfahren, was wir wissen wollen. Der Adjutant des Königs hat einen Gefangenen in die Festung gebracht, nachdem ihn angeblich die Dunkle Fee selbst hat suchen lassen. Bestimmt ist das unser Jaspis-Freund. Aber noch hat sich nicht herumgesprochen, dass sein Gefangener eine Haut aus Jade hat.«

»Und was ist die schlechte Nachricht?«

»Er ist im Palast, in den Quartieren der Fee, und in einen tiefen Schlaf gefallen, aus dem ihn keiner wecken kann. Ich nehme an, du weißt, was es damit auf sich hat?«

»Ja.« Jacob blickte hinauf zu dem großen Stalaktiten.

»Vergiss es!«, raunte der Zwerg ihm zu. »Dein Bruder könnte sich ebenso gut in Luft aufgelöst haben. Die Zimmer der Fee sind in der äußersten Spitze. Du müsstest dich durch den ganzen Palast kämpfen. Nicht einmal du bist verrückt genug, das zu versuchen.«

Jacob musterte die dunklen Fenster in der schimmernden Steinfassade.

»Kannst du eine Audienz bei dem Offizier bekommen, mit dem du handelst?«

»Und dann?« Valiant schüttelte spöttisch den Kopf. »Den Sklaven im Palast wird das Zeichen des Königs auf die Stirn gebrannt. Selbst wenn deine brüderliche Liebe groß genug ist, dir das zuzulegen - keinem von ihnen ist erlaubt, die obersten Quartiere zu verlassen.«

»Was ist mit einer der Brücken?«

»Was soll damit sein?«

Zwei von ihnen waren mit dem Palast verbunden. Die eine war eine Eisenbahnbrücke, die in einem Tunnel im obersten Teil verschwand. Die zweite war eine der Häuserbrücken und auf halber Höhe mit dem Stalaktiten verankert. Dort, wo sie auf den Palast traf, war sie unbebaut und gab den Blick frei auf sein onyxschwarzes Tor und eine Phalanx von Wachtposten.

»Der Ausdruck auf deinem Gesicht gefällt mir nicht!«, knurrte Valiant.

Jacob beachtete ihn nicht. Er musterte die eisernen Streben, die die Häuserbrücke trugen. Auf die Entfernung sahen sie so aus, als wären sie nachträglich angebracht worden, um eine alte Steinkonstruktion zu stützen. Sie krallten sich wie Metallklauen in die Seite des hängenden Palastes.

Jacob suchte Deckung in einem Hauseingang und richtete das Fernglas auf den Stalaktiten. »Die Fenster sind nicht vergittert«, flüsterte er.

»Warum sollten sie vergittert sein?«, raunte Valiant zurück. »Nur Vögel und Fledermäuse kommen in ihre Nähe. Aber offenbar hältst du dich ja für eines von beiden.«

Eine Schar Kinder drängte an der Gasse vorbei. Jacob hatte nie zuvor ein Goylkind gesehen, und für einen verrückten Augenblick glaubte er, in einem der Jungen seinen Bruder zu erkennen. Als sie vorbei waren, starrte Valiant immer noch hinauf zu der Brücke.

»Warte!«, zischte er. »Jetzt weiß ich, was du vorhast! Das ist Selbstmord!«

Jacob schob das Fernrohr zurück in die Manteltasche. »Wenn du den Goldbaum willst, bring mich zu der Brücke.«

Er würde Will finden. Auch wenn er sein Mädchen geküsst hatte.

36

DER FALSCHE NAME

»Fuchs?« Da. Sie rief sie schon wieder. Und Fuchs stellte sich vor, wie der Wassermann sie in den Tümpel zerrte. Wie die Wölfe ihr die Haut zerbissen. Oder der Zwerg sie auf einem Sklavenmarkt verkaufte. Die Rote Fee hatte Fuchs nie so fühlen lassen. Oder die Hexe, in deren Hütte Jacob vor Jahren fast jede Nacht verschwunden war. Oder die Zofe der Kaiserin, deren süßliches Parfüm sie wochenlang an seinen Kleidern gerochen hatte. »Fuchs? Wo bist du?«

Sei still!

Fuchs duckte sich unter den Büschen und wusste nicht mehr, ob sie Haut oder Fell hatte. Sie wollte ihr Fell nicht mehr. Sie wollte Haut und Lippen, die er küssen konnte, so, wie er Claras Lippen geküsst hatte. Sie sah sie in seinen Armen. Immer wieder. Jacob.

Was war das nur? Dieses Sehnen, das in ihr riss und schmerzte wie Hunger oder Durst. Nicht Liebe. Liebe war warm und weich wie ein Bett aus Laub. Aber das hier war dunkel wie die Schatten unter einem Giftbusch - und hungrig.

So hungrig.

Es musste einen anderen Namen haben. Es konnte nicht dasselbe Wort für Leben und Tod geben, denselben Namen für Sonne und Mond.

Jacob. Selbst sein Name schmeckte plötzlich anders. Und Fuchs spürte, wie der kalte Wind ihr wieder über Menschenhaut strich.

»Fuchs?« Clara kniete sich vor ihr in das feuchte Moos.

Ihr Haar war wie Gold. Fuchs' Haar war immer rot, rot wie das Fell der Füchsin. Sie konnte sich nicht erinnern, ob es jemals anders gewesen war.

Sie stieß Clara zur Seite und richtete sich auf. Es tat gut, genauso groß zu sein wie sie.

»Fuchs.« Clara versuchte, sie festzuhalten, als sie sich an ihr vorbeischob. »Ich weiß nicht mal deinen Namen. Deinen wirklichen Namen.«

Wirklich? Was war wirklich an ihm? Und was ging er sie an? Nicht einmal Jacob kannte ihren Menschennamen. »Celeste, wasch dir die Hände. Kämm dir das Haar.«

»Und? Spürst du es noch?« Fuchs starrte ihr in die blauen Augen. Jacob konnte einem in die Augen sehen und dabei lügen. Er war sehr gut darin, doch der Füchsin konnte selbst er nichts vormachen.

Clara wandte den Blick ab, aber Fuchs roch, was sie fühlte: all die Angst und die Scham.

»Hast du je Lerchenwasser getrunken?«

»Nein«, antwortete Fuchs verächtlich. »Keine Füchsin wäre so dumm.« Auch wenn das eine Lüge war.

Clara blickte zum Bach. Die toten Lerchen klemmten immer noch zwischen den Steinen. Clara. Ihr Name klang nach Glas und kühlem Wasser, und Fuchs hatte sie sehr gemocht - bis sie Jacob geküsst hatte.

Es tat immer noch weh.

Ruf das Fell zurück, Fuchs. Aber sie konnte nicht. Sie wollte ihre Haut fühlen, ihre Hände und die Lippen, mit denen man küssen konnte. Fuchs wandte Clara den Rücken zu, aus Angst, ihr Menschengesicht könnte all das verraten. Sie wusste nicht mal genau, wie es aussah. War es hübsch oder hässlich? Ihre Mutter war hübsch gewesen, aber ihr Vater hatte sie trotzdem geschlagen. Oder gerade deshalb.

»Warum bist du lieber ein Fuchs?« Die Nacht färbte Clara die Augen schwarz. »Ist die Welt so leichter zu verstehen?«

»Füchse versuchen nicht, sie zu verstehen.«

Clara strich sich über die Arme, als fühlte sie Jacobs Hände immer noch dort. Und Fuchs sah, dass sie sich auch ein Fell wünschte.

37

DIE FENSTER DER DUNKLEN FEE

Schlachter, Schneider, Bäcker, Juweliere. Die Brücke, die auf den hängenden Palast zuführte, war eine Einkaufsstraße in schwindelerregender Höhe, in deren Ladenfenstern Edelsteine neben Echsenfleisch und schwarzblättrigem Kohl schimmerten, der ohne Sonne wuchs. Brot und Früchte aus den oberirdischen Provinzen lagen neben getrockneten Käfern, die bei den Goyl als Delikatesse galten. Doch das Einzige, was Jacob interessierte, war der Palast am Ende der Ladenfronten.