Выбрать главу

Ein Wünschsack. Chanute besaß einen. Jacob war dabei gewesen, als er ihn einem Stilz gestohlen hatte. Aber selbst Chanute war nicht so gewissenlos, ein solches Ding in die Hände einer Kaiserin zu geben. Man musste nur den Namen eines Feindes nennen und der Sack ließ ihn spurlos verschwinden. Der Krumme König hatte sich auf die Art angeblich schon Hunderter von Männern entledigt.

Jacob blickte hinauf zu dem Balkon, auf dem die Kaiserin am nächsten Tag ihren Untertanen das Brautpaar präsentieren würde.

»Nein, wegen des Wünschsacks bin ich nicht hier«, sagte er. »Ich bringe ein Geschenk für die Braut. Grüß deinen Bruder und deinen Vater von mir.«

Justus Kronsberg war sichtlich enttäuscht, nicht mehr zu erfahren, aber das Tor zum ersten Palasthof öffnete er Jacob trotzdem. Schließlich verdankte sein Bruder ihm, dass er keine Kröte am Grund irgendeines Brunnens war oder, was viele Hexen inzwischen bevorzugten, eine Fußmatte oder ein Tablett für ihr Teegeschirr.

Es war drei Monate her, dass Jacob zuletzt im Palast gewesen war. Er hatte in den Wunderkammern der Kaiserin eine Zaubernuss auf ihre Echtheit geprüft. Die weiten Höfe nahmen sich im Vergleich zu dem, was er in der Goylfestung gesehen hatte, fast bescheiden aus, und die Gebäude, die sie umgaben, schienen trotz ihrer Kristallbalkone und vergoldeten Dachfirste schlicht im Vergleich zu dem hängenden Palast. Aber die Pracht im Inneren war immer noch beeindruckend.

Die austrischen Kaiser hatten besonders im Nordflügel an nichts gespart. Schließlich war er erbaut worden, um ihren Gästen den Reichtum und die Macht des Kaiserreichs zu demonstrieren. An den Säulen der Eingangshalle rankten Früchte und Blüten aus Gold. Der Fußboden war aus weißem Marmor - auch von Mosaiken verstanden die Goyl mehr als ihre Feinde -, und die Wände waren bemalt mit Austriens Sehenswürdigkeiten, den höchsten Bergen, ältesten Städten, schönsten Schlössern. Die Ruine, die den Spiegel beherbergte, war noch in alter Pracht abgebildet, und Schwanstein war ein Märchenidyll zu ihren Füßen. Weder Straßen noch Eisenbahngleise durchzogen die gemalten Hügel. Stattdessen wimmelten sie von all dem, was die Vorfahren der Kaiserin mit Leidenschaft gejagt hatten: Riesen und Hexen, Wassermänner und Loreley, Einhörner und Menschenfresser.

Entlang der Treppe, die in die oberen Stockwerke führte, hingen weniger friedliche Bilder. Der Vater der Kaiserin hatte sie malen lassen: See- und Landschlachten, Sommer- und Winterschlachten, Schlachten gegen seinen Bruder in Lothringen, den Vetter in Albion, rebellische Zwerge und die Wolfsfürsten im Osten. Jeder Gast, wo immer er herkam, fand mit Sicherheit ein Gemälde, das seine Heimat im Krieg mit dem Kaiserreich zeigte. Und natürlich gehörte er immer zu den Verlierern. Nur die Goyl waren die Treppen hinaufgestiegen, ohne ihre Vorfahren auf einem gemalten Schlachtfeld untergehen zu sehen, denn seit sie sich Schlachten mit den Menschen lieferten, waren ohne Ausnahme sie die Sieger gewesen.

Die beiden Wachen, die Jacob auf der Treppe entgegenkamen, hielten ihn nicht an, obwohl er bewaffnet war, und der Diener, der ihnen nachhuschte, nickte ihm ehrerbietig zu. Jeder im Nordflügel kannte Jacob Reckless, denn Therese von Austrien ließ ihn gern rufen, damit er wichtige Gäste durch ihre Wunderkammern führte und ihnen wahre und unwahre Geschichten über die dort ausgestellten Schätze erzählte.

Die Goyl waren im zweiten und prächtigsten Stock untergebracht. Jacob sah ihre Posten, sobald er in den ersten Korridor spähte. Sie blickten zu ihm herüber, aber Jacob tat, als bemerkte er sie nicht, und wandte sich nach links, wo gleich neben der Treppe ein Saal lag, in dem die Kaiserin ihr Interesse am Rest der Welt demonstrierte, indem sie die Reiseandenken ihrer Familie ausstellte.

Der Saal war leer, wie Jacob gehofft hatte. Die Goyl waren nicht an der Trollfellkappe interessiert, die der Urgroßvater der Kaiserin aus Jetland heimgebracht hatte, oder an Leprechaunstiefeln aus Albion, und was immer in den Büchern, die die Wände säumten, über ihresgleichen stand, war sicher nicht schmeichelhaft.

Der Nordflügel war weit entfernt von den Gemächern, in denen die Kaiserin residierte, was ihren Gästen die Illusion gab, unbeobachtet zu sein. Aber hinter den Wänden gab es ein Netz von Geheimgängen, mit dem sich jedes Zimmer beobachten und in einigen Fällen sogar betreten ließ. Jacob hatte der Tochter eines Botschafters auf die Art ein paar nächtliche Besuche abgestattet. Man betrat die Gänge durch getarnte Türen und eine davon verbarg sich hinter einem kaiserlichen Reiseandenken aus Lothringen. Der Vorhang war bestickt mit Perlen, wie man sie im Magen von Däumlingen fand, und die Tür, die der schwere Stoff verbarg, sah aus wie ein Teil der Holztäfelung.

Jacob stolperte über den Kadaver einer Ratte, als er den dunklen Gang dahinter betrat. Die Kaiserin ließ sie regelmäßig vergiften, aber die Nager liebten ihre Geheimgänge. In die Wände waren alle drei Meter Gucklöcher von der Größe eines Daumennagels eingelassen, die auf der anderen Seite durch Stuckornamente oder falsche Spiegel getarnt waren. Im ersten Raum, in den Jacob blickte, staubte ein Kammermädchen die Möbel ab. Im zweiten und dritten hatten die Goyl provisorische Büros eingerichtet, und Jacob hielt unwillkürlich den Atem an, als er Hentzau hinter einem der Tische sitzen sah. Aber er war nicht seinetwegen gekommen.

Es war stickig in den dunklen Gängen und die Enge ließ das Herz schneller schlagen. Das Singen einer Zofe drang durch die dünnen Wände und das Klirren von Geschirr, aber Jacob schaltete hastig die Taschenlampe aus, als er plötzlich direkt vor sich ein Husten hörte. Natürlich. Therese von Austrien ließ all ihre Gäste belauschen. Warum sollte es bei ihrem größten Feind anders sein, auch wenn sie ihm ihre Tochter zur Frau gab?

Eine Gaslampe leuchtete vor ihm auf. Sie beschien einen Mann, der so blass war, als verbrächte er sein ganzes Leben in den lichtlosen Gängen. Jacob verbarg sich mit angehaltenem Atem in der Dunkelheit, bis der kaiserliche Spion an ihm vorbeigeschlurft und durch die getarnte Tür verschwunden war. Falls er ging, um Ablösung zu holen, blieb nicht viel Zeit.

Der Spion hatte den Raum beobachtet, nach dem Jacob gesucht hatte. Er erkannte die Stimme der Dunklen Fee, bevor er sie durch das winzige Loch sah. Nur ein paar Kerzen beleuchteten das Zimmer dahinter. Die Vorhänge waren zugezogen, aber das Sonnenlicht sickerte unter dem blassgoldenen Brokat hervor, und sie stand vor einem der verhängten Fenster, als wollte sie ihren Geliebten vor dem Licht beschützen. Ihre Haut leuchtete selbst in dem abgedunkelten Raum wie fleischgewordenes Mondlicht. Sieh sie nicht an, Jacob.

Der König der Goyl stand an der Tür. Feuer im Dunkeln. Jacob glaubte, seine Ungeduld selbst hinter der Wand zu spüren.

»Du verlangst, dass ich an ein Märchen glaube.« Jedes Wort füllte den Raum. Seine Stimme verriet seine Stärke - und die Fähigkeit, sie in Zaum zu halten. »Ich gebe zu, es amüsiert mich, dass all die es tun, die verlangen, dass wir zurück unter die Erde kriechen. Aber erwarte nicht, dass ich so naiv bin. Kein Mann kann mir nur durch die Farbe seiner Haut verschaffen, was die beste Armee nicht erkämpfen kann. Ich bin nicht unbesiegbar und kein Jadegoyl wird mich dazu machen. Selbst diese Hochzeit wird mir nur für eine Weile Frieden geben.«

Die Fee wollte etwas erwidern, aber er ließ sie nicht zu Wort kommen.

»Es gibt Aufstände im Norden, und im Osten haben wir nur Ruhe, weil sie sich lieber gegenseitig erschlagen. Im Westen nimmt der Krumme König meine Bestechungsgelder und rüstet hinter meinem Rücken auf, von seinem Vetter auf der Insel ganz zu schweigen. Den Onyxgoyl gefällt meine Hautfarbe nicht. Meine Munitionsfabriken produzieren nicht so schnell, wie meine Soldaten schießen. Die Lazarette sind überfüllt und die Partisanen haben zwei meiner wichtigsten Schienenwege gesprengt. Soweit ich mich erinnere, ist in den Märchen, die meine Mutter erzählt hat, von alldem nicht die Rede. Lass das Volk an den Jadegoyl und an Glückssteine glauben. Aber die Welt ist inzwischen aus Eisen gemacht.«