Er legte die Hand auf die Klinke und musterte die Goldbeschläge, die das Türblatt schmückten. »Sie machen schöne Dinge«, murmelte er. »Ich frage mich nur, warum sie so besessen von Gold sind. Silber ist so viel schöner.«
»Versprich, dass er an deiner Seite bleibt.« Die Fee streckte die Hand aus und alles Gold in dem dunklen Raum überzog sich mit Silber. »Selbst, wenn du ihr das Jawort gibst. Bitte!«
»Er ist ein Menschengoyl! Selbst die Jade lässt meine Offiziere diese Tatsache nicht übersehen. Und er ist unerfahrener als jeder andere meiner Leibwächter.«
»Er hat sie trotzdem alle geschlagen! Versprich es.«
Er liebte sie. Jacob sah es auf seinem Gesicht. So sehr, dass es ihm Angst machte.
»Ich muss gehen.« Er wandte sich um, aber als er die Tür öffnen wollte, gehorchte sie ihm nicht. »Lass das!«, fuhr er die Fee an.
Sie ließ die Hand sinken und die Tür sprang auf. »Versprich es«, sagte sie noch einmal. »Bitte!« Doch ihr Geliebter ging, ohne zu antworten, und sie war allein. Jetzt, Jacob!
Er tastete nach einer geheimen Tür, aber seine Finger fanden nichts als eine hölzerne Wand, und die Fee ging auf die Tür zu, durch die ihr Geliebter sie verlassen hatte. Nun mach schon, Jacob. Noch ist sie allein. Draußen wird es Wachen geben! Vielleicht konnte er die Wand eintreten. Und dann? Schon der Lärm würde ein Dutzend Goyl herbeirufen. Jacob stand immer noch in dem engen Gang und wusste nicht, was er tun sollte, als ein Goylsoldat zu der Fee in das dunkle Zimmer trat. Jadehaut.
Es war das erste Mal, dass Jacob seinen Bruder in der grauen Uniform sah. Will trug sie, als hätte er nie etwas anderes getragen. Nichts an ihm erinnerte noch daran, dass er ein Mensch gewesen war. Vielleicht waren seine Lippen im Vergleich zu denen der Goyl etwas voller und sein Haar etwas feiner, aber selbst der Körper seines Bruders sprach eine andere Sprache. Und er blickte die Fee an, als wäre sie Anfang und Ende der Welt.
»Ich habe gehört, dass du Kami'ens besten Leibwächter entwaffnet hast.« Sie strich Will übers Gesicht. Das Gesicht, das ihr Zauber in Jade verwandelt hatte.
»Er ist nicht halb so gut, wie er denkt.«
Sein Bruder hatte nie so geklungen. Will war nie auf einen Kampf aus gewesen oder darauf, seine Kräfte mit jemandem zu messen. Nicht einmal mit seinem Bruder.
Die Dunkle Fee lächelte, als Will die Finger fast zärtlich um den Säbelgriff schloss.
Finger aus Stein.
Ich werde dich für ihn bezahlen lassen, dachte Jacob, während er in Hass und hilflosem Schmerz ertrank. Und deine Schwester hat den Preis festgesetzt.
Den Spion hatte er vollkommen vergessen. Der Mann riss entsetzt die Augen auf, als seine Lampe Jacobs Gestalt aus der Dunkelheit löste. Jacob schlug ihm die Taschenlampe gegen die Schläfe und fing den zusammensackenden Körper auf, aber eine der mageren Schultern streifte die Holzwand, und die Gaslampe fiel zu Boden, bevor Jacob sie auffangen konnte.
»Was war das?«, hörte er die Fee fragen.
Jacob löschte die Lampe und hielt den Atem an.
Schritte.
Er tastete nach der Pistole, bis ihm einfiel, wer da auf die Holzwand zukam.
Will trat sie ein, als wäre sie aus Pappmaschee, und Jacob wartete nicht ab, bis sein Bruder sich durch das zersplitterte Holz zwängte. Er stolperte zurück zu der getarnten Tür, während die Dunkle Fee nach den Wachen rief.
Bleib stehen, Jacob. Aber nichts hatte ihm je so viel Angst gemacht wie die Schritte, die ihm folgten. Will sah in der Dunkelheit sicher ebenso gut wie Fuchs. Und er war bewaffnet.
Mach, dass du aus der Dunkelheit kommst, Jacob. Da ist er im Vorteil. Jacob riss den Vorhang herunter, als er durch die getarnte Tür ins Freie stolperte.
Das plötzliche Licht blendete Will. Er hob schützend den Arm vors Gesicht und Jacob schlug ihm den Säbel aus der Hand.
»Lass den Säbel liegen, Will!«
Er richtete die Pistole auf ihn. Will bückte sich trotzdem. Jacob versuchte, ihm den Säbel aus der Hand zu treten, doch diesmal war sein Bruder schneller. Er wird dich töten, Jacob'. Schießt Aber er konnte nicht. Es war immer noch dasselbe Gesicht, auch wenn es aus Jade war.
»Will, ich bin es!«
Will stieß ihm den Kopf ins Gesicht. Das Blut lief Jacob aus der Nase, und er schlug den Säbel seines Bruders nur mit knapper Not zur Seite, bevor ihm die Klinge die Brust aufschlitzte. Wills nächster Hieb schnitt ihm den Unterarm auf. Er kämpfte wie ein Goyl, ohne zu zögern, kalt und präzise, jede Furcht gelöscht von ihrem Zorn. »Ich habe gehört, dass du Kami'ens besten Leibwächter entwaffnet hast.«
»Er ist nicht so gut, wie er denkt.« Noch ein Hieb. Wehr dich, Jacob.
Klinge auf Klinge, geschliffenes Metall statt der Spielzeugwaffen, mit denen sie sich als Kinder geschlagen hatten. So lange her. Über ihnen fing sich das Sonnenlicht in den Glasblüten eines Kronleuchters, und der Teppich trug das Muster der Hexen, auf dem sie den Frühling herbei tanzten. Will rang nach Atem. Sie keuchten beide so laut, dass sie die kaiserlichen Garden erst bemerkten, als sie die langen Flinten auf sie richteten. Will wich vor den weißen Uniformen zurück, und Jacob stellte sich unwillkürlich schützend vor ihn, so wie er es immer getan hatte. Aber sein Bruder brauchte seine Hilfe nicht. Auch die Goyl hatten sie gefunden. Sie kamen aus der getarnten Tür. Graue Uniformen hinter ihnen, weiße vor ihnen. Will senkte den Säbel erst, als einer der Goyl ihm mit scharfer Stimme den Befehl gab.
Brüder.
»Dieser Mann hat versucht, in die Gemächer des Königs einzudringen!«
Ihr Offizier war ein Onyxgoyl und beherrschte die Sprache des Kaiserreichs fast akzentfrei. Will ließ Jacob nicht aus den Augen, während er an seine Seite trat. Immer noch dasselbe Gesicht, und doch so wenig das seines Bruders, wie ein Hund einem Wolf glich. Jacob wandte ihm den Rücken zu. Er ertrug es nicht mehr, ihn anzusehen.
»Jacob Reckless.« Er hielt den Garden den Säbel hin. »Ich muss mit der Kaiserin sprechen.«
Der Gardist, der den Säbel entgegennahm, raunte dem Offizier etwas zu. Vielleicht hing auf irgendeinem Korridor noch das Porträt, das die Kaiserin von Jacob hatte malen lassen, nachdem er ihr den Gläsernen Schuh gebracht hatte.
Will blickte Jacob nach, als die Garden ihn abführten. Vergiss, dass du einen Bruder hattest, Jacob. Er hat es auch vergessen.
44
DIE KAISERIN
Es war lange her, dass Jacob im Audienzsaal der Kaiserin gestanden hatte. Selbst wenn er oder Chanute etwas abgeliefert hatten, wonach sie seit Jahren suchen ließ, war es meist nur einer ihrer Zwerge gewesen, der die Bezahlung ausgehandelt oder ihnen einen neuen Auftrag erteilt hatte. Die Kaiserin gewährte bloß dann eine persönliche Audienz, wenn die Aufgabe sich, wie beim Gläsernen Schuh oder dem Tischleindeckdich, als besonders gefährlich herausgestellt hatte und die Geschichte, die man ihr erzählen konnte, ausreichend Blut und Todesangst enthielt. Therese von Austrien hätte eine gute Schatzjägerin abgegeben, wäre sie nicht als Tochter eines Kaisers geboren worden.
Sie saß hinter ihrem Schreibtisch, als die Garden Jacob hereinbrachten. Die Seide ihres Kleides war bestickt mit Elfenglas und es war ebenso goldgelb wie die Rosen auf ihrem Schreibtisch. Ihre Schönheit war Legende, doch Krieg und Niederlage hatten sich ihr ins Gesicht geschrieben. Die Linien auf der Stirn waren schärfer, die Schatten unter den Augen dunkler, und ihr Blick war noch etwas kühler geworden.
Einer ihrer Generäle und drei Minister standen vor den Fenstern, durch die man auf die Dächer und Türme der Stadt blickte und auf die Berge, die die Goyl bereits erobert hatten. Den Adjutanten, der neben der Büste des vorletzten Kaisers lehnte, erkannte Jacob erst, als er sich umwandte. Donnersmarck. Er hatte Jacob auf drei Expeditionen für die Kaiserin begleitet. Zwei davon waren erfolgreich gewesen und hatten Jacob sehr viel Geld und Donnersmarck einen Orden eingebracht. Sie waren Freunde, aber der Blick, den er Jacob zuwarf, verriet nichts davon. An seiner weißen Uniform steckten ein paar Orden mehr als bei ihrer letzten Begegnung, und als er zu dem General trat, sah Jacob, dass er das linke Bein nachzog. Verglichen mit dem Krieg war die Schatzsuche ein harmloses Vergnügen.