»Unerlaubtes Eindringen in den Palast. Bedrohung meiner Gäste. Einen meiner Spione bewusstlos geschlagen.« Die Kaiserin legte den Federhalter zur Seite und winkte den Zwerg zu sich, der neben ihrem Schreibtisch stand. Er ließ Jacob nicht aus den Augen, während er ihr den Stuhl zurückzog. Die Zwerge der austrischen Kaiser hatten im Lauf der Jahrhunderte schon mehr als ein Dutzend Mordanschläge verhindert, und Therese von Austrien hatte mindestens drei von ihnen stets an ihrer Seite. Angeblich nahmen sie es sogar mit Rieslingen auf.
Auberon, der Favorit der Kaiserin, zupfte ihr das Kleid zurecht, bevor sie hinter dem Schreibtisch hervortrat. Sie war immer noch schlank wie ein junges Mädchen.
»Was soll das, Jacob? Hattest du nicht den Auftrag, ein Stundenglas zu finden? Stattdessen duellierst du dich in meinem Palast mit dem Leibwächter meines künftigen Schwiegersohns.«
Jacob beugte den Kopf. Sie mochte es nicht, wenn man ihr in die Augen sah. »Ich hatte keine Wahl. Er hat mich angegriffen und ich habe mich gewehrt.« Sein Unterarm blutete immer noch. Die neue Handschrift seines Bruders.
»Liefert ihn aus, Euer Majestät«, sagte einer der Minister. »Oder noch besser: Lasst ihn erschießen, um Euren Friedenswillen zu beweisen.«
»Unsinn«, erwiderte die Kaiserin gereizt. »Als ob mich dieser Krieg nicht schon genug gekostet hat. Er ist der beste Schatzsucher, den ich habe! Er ist sogar besser als Chanute.«
Sie trat so dicht an Jacob heran, dass er ihr Parfüm roch. Angeblich ließ sie Zaubermohn hineinmischen. Wer den Duft allzu tief einatmete, tat, was immer man verlangte - und hielt es für den eigenen Entschluss.
»Hat dich jemand bezahlt?«, fragte sie. »Jemand, dem dieser Frieden nicht gefällt? Richte ihm etwas aus: Mir gefällt er auch nicht.«
»Majestät!« Die Minister blickten so alarmiert zur Tür, als lauschten die Goyl daran.
»Oh, seid still!«, fuhr die Kaiserin sie an. »Ich bezahle mit meiner Tochter für diesen Frieden.«
Jacob blickte zu Donnersmarck, aber der mied seinen Blick.
»Es hat mich niemand bezahlt«, sagte er. »Und es hat nichts mit Eurem Frieden zu tun. Ich bin wegen der Fee hier.«
Das Gesicht der Kaiserin wurde fast so ausdruckslos wie das ihrer Tochter.
»Die Fee?«
Sie gab sich Mühe, gleichgültig zu klingen, aber ihre Stimme verriet sie. Hass und Abscheu. Jacob hörte beides heraus. Und Ärger. Ärger darüber, dass sie die Fee fürchtete.
»Was willst du von ihr?«
»Verschafft mir fünf Minuten mit ihr allein. Ihr werdet es nicht bereuen. Oder gefällt es Eurer Tochter, dass ihr Bräutigam seine dunkle Geliebte mitgebracht hat?«
Vorsicht, Jacob. Doch er war zu verzweifelt, um vorsichtig zu sein. Sie hatte ihm seinen Bruder gestohlen. Und er wollte ihn zurück.
Die Kaiserin wechselte einen Blick mit ihrem General.
»Genauso respektlos wie sein Lehrmeister«, sagte sie. »Chanute hat in demselben impertinenten Ton mit meinem Vater gesprochen.«
»Fünf Minuten nur«, wiederholte Jacob. »Ihr Fluch hat Euch den Sieg gekostet! Und Tausende von Untertanen!« Sie sah ihn nachdenklich an.
»Majestät!«, sagte der General - und verstummte, als sie ihm einen warnenden Blick zuwarf. Sie wandte sich um und kehrte zu ihrem Schreibtisch zurück.
»Du kommst zu spät«, sagte sie über die Schulter zu Jacob. »Ich habe den Vertrag schon unterzeichnet. Richtet den Goyl aus, dass er Elfenstaub eingeatmet hatte«, befahl sie, während eine der Garden nach Jacobs Arm griff. »Bringt ihn zum Tor und gebt Befehl, ihn nicht wieder einzulassen.«
»Und, Jacob«, rief sie, als die Zwerge die Türen öffneten, »vergiss das Stundenglas. Ich will einen Wünschsack.«
45
VERGANGENE ZEITEN
Jacob wusste nicht, wie er zum Hotel zurückfand. In jedem Schaufenster, an dem er vorbeikam, glaubte er das hassverzerrte Gesicht seines Bruders zu sehen, und jede Frau, die ihm entgegenkam, verwandelte sich in die Dunkle Fee.
Es konnte nicht vorbei sein. Er würde sie finden. Bei der Hochzeit. Am Bahnhof, wenn sie mit ihrem frisch verheirateten Geliebten in seinen onyxschwarzen Zug stieg. Oder in dem hängenden Palast, trotz ihrer Schlangen.
Jacob war nicht mehr sicher, was ihn inzwischen antrieb: der Wunsch nach Rache, die Hoffnung, Will doch noch zurückzubekommen, oder einfach nur sein verletzter Stolz.
In der Eingangshalle des Hotels warteten zwischen Koffern und umherhastenden Pagen die frisch eingetroffenen Gäste. Sie alle kamen zur Hochzeit. Sogar ein paar Goyl waren darunter. Sie zogen mehr Blicke auf sich als die jüngste Schwester der Kaiserin. Sie war ohne ihren fürstlichen Ehemann aus dem Osten angereist und trug schwarzen Pelz, als wäre sie in Trauer wegen der Heirat ihrer Nichte.
Die Hochzeit würde am nächsten Morgen stattfinden, so viel wusste Jacob inzwischen. In der Kathedrale, in der auch Therese von Austrien getraut worden war und vor ihr ihr Vater.
Das Zimmermädchen hatte ihm die Kleider geflickt und gewaschen, und Jacob trug sie unter dem Arm, als er sein Zimmer aufschloss. Er ließ sie fallen, sobald er den Mann vor dem Fenster stehen sah, aber Donnersmarck wandte sich um, bevor er die Pistole zog. Seine Uniform war so makellos weiß, als wollte sie vergessen machen, dass Schlamm und Blut die Farben eines Soldaten waren.
»Gibt es irgendeinen Raum, in den der Adjutant der Kaiserin nicht hineinkommt?«, fragte Jacob, während er die Kleider aufhob und die Tür hinter sich schloss.
»Das Geheimzimmer eines Blaubarts. Dort helfen deine Talente immer noch besser als die Uniform.«
Donnersmarck hinkte auf Jacob zu.
»Was hast du mit der Dunklen Fee zu schaffen?«
Sie hatten sich fast ein Jahr nicht gesehen, aber gemeinsam einem Blaubart zu entkommen oder nach dem Haar eines Teufels zu suchen, knüpft ein Band, das nicht so leicht zerreißt. Jacob hatte mit Donnersmarck all das und noch einiges mehr überstanden. Nach dem Teufelshaar hatten sie vergebens gesucht, aber Donnersmarck hatte Jacob den Braunen Wolf vom Leib gehalten, der den Gläsernen Schuh bewacht hatte, und Jacob hatte ihn davor bewahrt, von einem Knüppelausdemsack erschlagen zu werden.
»Was ist mit deinem Bein passiert?«
Donnersmarck blieb vor ihm stehen.
»Was denkst du? Wir hatten Krieg.«
Unter dem Fenster lärmten die Droschken. Pferde wieherten, Kutscher fluchten. Nicht so viel anders als die andere Welt. Aber über einem Strauß Rosen, der auf dem Nachttisch neben dem Bett stand, schwirrten zwei hummelgroße Elfen. Viele Hotels setzten sie in den Zimmern aus, weil ihr Staub zu guten Träumen verhalf.
»Ich bin mit einer Frage hier. Du kannst dir sicher vorstellen, in wessen Auftrag ich sie stelle.«
Donnersmarck scheuchte eine Fliege von seiner weißen Uniform.
»Wenn du die fünf Minuten bekämst, würde der König der Goyl danach immer noch eine Geliebte haben?«
Jacob brauchte ein paar Augenblicke, um zu begreifen, was er gehört hatte.
»Nein«, antwortete er schließlich. »Er würde sie nie wiedersehen.«
Donnersmarck musterte ihn, als wollte er ihm von der Stirn lesen, was er vorhatte. Schließlich wies er auf Jacobs Hals.