»Wo ist sie?«, fragte Jacob, als er wieder aus dem Badezimmer kam. Er musste sich gegen die Wand lehnen, damit ihm die Knie nicht nachgaben.
»Ich habe sie in den Schrank gesperrt!« Der Soldat hielt ihm anklagend seine mit einem blutigen Taschentuch umwickelte Hand hin. »Sie hat mich gebissen!«
Jacob schob ihn auf den Korridor hinaus. »Richte Donnersmarck aus, dass erledigt ist, was ich versprochen habe.«
Er lehnte sich erschöpft gegen die Tür. Eine der Elfen, die immer noch in dem Zimmer herumschwirrten, hinterließ ihren silbrigen Staub auf seiner Schulter. Süße Träume, Jacob.
Fuchs trug ihr Fell und entblößte die Zähne, als er den Schrank öffnete. Falls sie erleichtert war, ihn zu sehen, verbarg sie es gut.
»War das die Fee?«, fragte sie nur beim Anblick seines blutverschmierten Hemdes und beobachtete mit unbewegtem Gesicht, wie er vergebens versuchte, es auszuziehen. Seine Finger waren inzwischen steif wie Holz.
»Ich rieche Schwindschleim.« Fuchs leckte sich das Fell, als spürte sie immer noch, wo der Soldat sie zu packen versucht hatte.
Jacob setzte sich aufs Bett, solange er es noch konnte. Seine Knie wurden auch schon steif.
»Hilf mir, Fuchs. Ich muss morgen auf die Hochzeit und ich kann mich kaum noch bewegen.«
Sie musterte ihn so lange, dass Jacob dachte, sie hätte das Sprechen verlernt.
»Ein fester Biss könnte dir vielleicht helfen«, sagte sie schließlich. »Und ich gebe zu, es würde mir ein Vergnügen sein. Aber vorher verrätst du mir, was du vorhast.«
48
HOCHZEITSPLÄNE
Das erste Morgenrot zeigte sich über den Dächern der Stadt und die Kaiserin hatte nicht geschlafen.
Sie hatte gewartet, Stunde um Stunde, aber als endlich einer der Zwerge Donnersmarck in ihr Audienzzimmer führte, verbarg ihr Gesicht all das Warten und Hoffen hinter einer Maske aus Puder.
»Er hat es getan. Kami'en lässt bereits nach ihr suchen, aber falls Jacob die Wahrheit sagt, werden sie sie nicht finden.«
Donnersmark schien nicht sehr glücklich über die Nachricht, die er brachte, doch Thereses Herz schlug schneller, denn es war die Nachricht, auf die sie gehofft hatte.
»Gut.« Sie strich sich über das straff zurückgesteckte Haar. Es wurde grau, aber sie ließ es färben. Golden wie das ihrer Tochter. Sie würde sie behalten. Ebenso wie ihren Thron. Und ihren Stolz.
»Gib die vorbereiteten Befehle.«
Donnersmarck senkte den Kopf, wie immer, wenn er von einem Befehl wenig hielt. »Was?«
»Ihr könnt ihren König töten, aber seine Armeen stehen immer noch kaum zwanzig Meilen entfernt.«
»Sie sind verloren ohne Kami'en und die Fee.«
»Einer der Onyxgoyl wird ihn ersetzen.«
»Und Frieden machen! Die Onyxgoyl wollen nur unter der Erde herrschen.« Sie hörte selbst, wie ungeduldig ihre Stimme klang. Sie wollte nicht denken, sie wollte handeln. Bevor die Gelegenheit verstrich.
»Aber ihre unterirdischen Städte sind überfüllt. Und sein Volk wird Rache wollen. Sie vergöttern ihren König!«
Er war so störrisch. Und er war den Krieg leid. Aber keiner war klüger als er. Und unbestechlicher.
»Ich sage es nicht noch einmal. Gib die vorbereiteten Befehle!«
Sie winkte dem jüngsten ihrer Zwerge. »Bring mein Frühstück. Ich bin hungrig.«
Der Zwerg huschte davon und Donnersmarck hatte sich immer noch nicht gerührt.
»Was ist mit seinem Bruder?«
»Was soll mit ihm sein? Er ist der Leibwächter des Königs. Also erwarte ich, dass er mit ihm sterben wird. Hast du die Dinge für meine Tochter?«
Donnersmarck legte alles auf den Tisch, an dem sie als Kind oft gesessen und ihrem Vater dabei zugesehen hatte, wie er Verträge und Todesurteile besiegelte. Inzwischen trug sie den Siegelring.
Eine Heilende Nadel, eine Drachenkralle und eine Wassermannhaut. Therese von Austrien trat an den Tisch und strich über die mattgrünen Schuppen, die einmal die Hand eines Wassermanns bedeckt hatten.
»Lass die Kralle und die Haut ins Brautkleid meiner Tochter einnähen«, befahl sie der Zofe, die wartend neben der Tür stand. »Und die Nadel gebt dem Arzt, der sich in der Sakristei bereithalten wird.«
Donnersmarck reichte ihr eine weitere Kralle.
»Die ist für Euch.«
Er salutierte und wandte sich um.
»Was ist mit Jacob? Hast du ihn verhaften lassen?«
Donnersmarck blieb stehen, als hätte sie ihm eine Leiche in den Weg geworfen. Aber als er sich umdrehte, war sein Gesicht ebenso ausdruckslos wie das ihre.
»Der Soldat, der vor dem Tor auf ihn gewartet hat, sagt, er ist nicht wieder herausgekommen. Im Palast haben wir ihn auch nicht gefunden.«
»Und? Habt ihr sein Hotel überwacht?«
Er blickte ihr in die Augen, aber sie konnte seinen Blick nicht lesen.
»Ja. Er ist nicht dort.«
Die Kaiserin strich über die Drachenkralk in ihrer Hand.
»Finde ihn. Du weißt, wie er ist. Du kannst ihn wieder freilassen, sobald die Hochzeit vorbei ist.«
»Für seinen Bruder wird das zu spät sein.«
»Es ist schon jetzt zu spät für ihn. Er ist ein Goyl.«
Der Zwerg kam mit ihrem Frühstück zurück. Draußen wurde es hell und die Nacht hatte die Dunlde Fee mit sich genommen. Zeit, sich zurückzuholen, was ihr Zauber ihr gestohlen hatte. Wer wollte Frieden, wenn man siegen konnte?
49
EINER VON IHNEN
Will versuchte, nicht zuzuhören. Er war der Schatten des Königs und Schatten waren taub und stumm. Doch Hentzau sprach so laut, dass man ihn nur schwer überhören konnte.
»Ohne die Fee kann ich Euch nicht schützen. Die zusätzlichen Truppen, die ich angefordert habe, können nicht vor heute Nacht hier sein, und die Kaiserin weiß das!«
Kami'en knöpfte sich die Jacke zu: kein Frack für den Bräutigam, nur die dunkelgraue Uniform. Seine zweite Haut. Darin hatte er sie geschlagen. Darin würde er eine von ihnen heiraten. Der erste Goyl, der eine Menschenfrau nahm.
»Eure Majestät. Es sieht ihr nicht ähnlich, ohne ein Wort zu verschwinden!« Aus Hentzaus Stimme klang etwas, das Will dort noch nie gehört hatte. Angst.
»Im Gegenteil. Es sieht ihr sehr ähnlich.« Der König ließ sich von Will den Säbel reichen. »Sie hasst unsere Sitte, sich mehrere Frauen zu nehmen. Auch wenn ich ihr oft genug erklärt habe, dass sie ebenso das Recht hat, andere Männer zu haben.«
Er schnallte sich den Säbel an den silberbeschlagenen Gürtel und trat vor den Spiegel, der neben dem Fenster hing. Das schimmernde Glas erinnerte Will an etwas. Nur an was?
»Vermutlich hat sie es von Anfang an so geplant und dich deshalb den Jadegoyl für mich suchen lassen. Und falls sie recht behält«, setzte der König mit einem Blick auf Will hinzu, »brauche ich eh nur ihn in meiner Nähe, um sicher zu sein.«
»Weich nicht von seiner Seite.« Die Fee hatte es so oft gesagt, dass Will die Worte in seinen Träumen hörte. »Selbst wenn er dich fortschickt, gehorch ihm nicht!«
Sie war so schön. Aber Hentzau verabscheute sie. Trotzdem hatte er Will auf ihren Befehl hin trainiert - manchmal so hart, als wollte er ihn töten. Zum Glück heilte Goylhaut schnell und die Angst hatte ihn nur zu einem besseren Kämpfer gemacht. Erst gestern hatte er Hentzau den Säbel aus der Hand geschlagen. »Was habe ich dir gesagt?«, hatte die Fee ihm zugeraunt. »Du bist zum Schutzengel geboren. Vielleicht lasse ich dir eines Tages Flügel wachsen.«
»Aber was war ich vorher?«, hatte Will gefragt.
»Seit wann fragt der Schmetterling nach der Raupe?«, hatte sie zurückgefragt. »Er vergisst sie. Und liebt, was er ist.«
Und ja, das tat er. Will liebte die Unempfindlichkeit seiner Haut und die Kraft und Unermüdlichkeit seiner Glieder, die alle Goyl den Weichhäuten so überlegen machten - auch wenn er wusste, dass er aus ihrem Fleisch erschaffen worden war. Er warf sich immer noch vor, dass er den einen hatte entkommen lassen, der wie eine Ratte hinter den Wänden des Königs gesteckt hatte. Will konnte sein Gesicht nicht vergessen: die grauen goldlosen Augen, das spinnwebfeine, dunkle Haar, die weiche Haut, die all ihre Schwachheit verriet ... Er strich sich schaudernd über die jadeglatte Hand.