»Die Wahrheit ist, dass du diesen Frieden nicht willst.« Der König klang gereizt und Hentzau senkte den Kopf wie ein alter Wolf vor dem Führer des Rudels. »Du würdest sie am liebsten alle erschlagen. Jeden Einzelnen von ihnen. Männer, Frauen und Kinder.«
»Richtig«, erwiderte Hentzau heiser. »Solange auch nur einer von ihnen lebt, werden sie dasselbe mit uns machen wollen. Verschiebt die Hochzeit um einen Tag. Bis Verstärkung eintrifft.«
Kami'en zog sich die Handschuhe über die Klauen. Sie waren aus dem Leder der Schlangen genäht, die so tief unter der Erde hausten, dass selbst den Goyl auf der Jagd nach ihnen fast die Haut schmolz. Die Fee hatte Will von den Schlangen erzählt. Sie hatte ihm so vieles beschrieben: die Straße der Toten, die Wasserfälle aus Sandstein, unterirdische Seen und Blütenfelder aus Amethyst. Er konnte es nicht erwarten, all diese Wunder endlich mit eigenen Augen zu sehen.
Der König griff nach seinem Helm und strich über die Echsenstacheln, die ihn schmückten. Den Menschen Federbüsche, den Goyl Echsenstacheln. »Du weißt genau, was sie sagen würden: Der Goyl fürchtet uns, weil er sich nicht hinter dem Rock seiner Geliebten verstecken kann. Und: Wir haben immer gewusst, dass er diesen Krieg nur ihretwegen gewonnen hat.«
Hentzau schwieg.
»Siehst du? Du weißt, dass ich recht habe.« Der König wandte ihm den Rücken zu, und Will senkte hastig den Kopf, als er auf ihn zutrat.
»Ich war bei ihr, als sie von dir geträumt hat«, sagte er. »Ich habe dein Gesicht in ihren Augen gesehen. Wie kann man träumen, was noch nicht geschehen, und einen Mann sehen, dem man nie begegnet ist? Oder hat sie dich herbeigeträumt? Hat sie all das Steinerne Fleisch nur gesät, um dich zu ernten?«
Will schloss die Finger um den Säbelknauf. »Ich glaube, etwas in uns kennt die Antworten, Euer Majestät«, sagte er. »Aber es gibt keine Worte für sie. Ich werde Euch nicht enttäuschen. Das ist alles, was ich weiß. Ich schwöre es.«
Der König sah sich zu Hentzau um.
»Hör dir das an. Mein Jadeschatten ist doch nicht stumm. Hast du ihm neben dem Kämpfen endlich auch das Sprechen beigebracht?« Er lächelte Will zu. »Was hat sie zu dir gesagt? Dass du selbst beim Jawort an meiner Seite stehen sollst?«
Will spürte Hentzaus milchigen Blick wie Raureif auf der Haut.
»Hat sie es so gesagt?«, wiederholte der König. Will nickte.
»Dann wird es so sein.« Kami'en drehte sich zu Hentzau um. »Lass anspannen. Der König der Goyl nimmt sich eine Menschenfrau.«
50
DIE SCHÖNE UND DAS BIEST
Hochzeit. Eine Tochter als Bezahlung und ein weißes Kleid, um darunter all die blutigen Schlachtfelder zu verstecken. Die Kirchenfenster färbten das Morgenlicht blau, grün, rot und golden, und Jacob stand hinter einer der blumengeschmückten Säulen und beobachtete, wie die Bankreihen der Kathedrale sich füllten. Er trug die Uniform der kaiserlichen Garden. Der Soldat, dem er sie abgenommen hatte, lag fest verschnürt in einer Seitengasse hinter der Kathedrale, und zwischen ihren Säulen standen so viele Gardisten, dass ein fremdes Gesicht niemandem auffiel. In ihren Uniformen waren sie weiße Flecken in dem Farbenmeer, das mit den Gästen hereinschwemmte. Die Goyl dagegen sahen aus, als hätten die Steine der Kathedrale Menschenform angenommen. Die kühle Luft in der großen Kirche behagte ihnen sicher nicht, aber das Dämmerlicht, das auch Tausende tropfender Kerzen nicht vertreiben konnten, schien wie für sie gemacht. Will würde seine Augen nicht hinter Onyxglas verbergen müssen, um seine neue Rolle zu spielen. Der Jadegoyl. Dein Bruder, Jacob.
Er tastete nach dem Goldenen Ball in seiner Tasche. Nicht, bevor die Hochzeit vorbei ist. Es würde schwer sein, so lange zu warten. Jacob hatte seit drei Nächten kaum geschlafen, und sein Arm schmerzte von dem Biss, mit dem Fuchs ihm das Schwindschleim-Gift aus den Adern getrieben hatte.
Warten ...
Er sah Valiant mit Fuchs und Clara den Mittelgang hinunterkommen. Der Zwerg hatte sich rasiert, und selbst die kaiserlichen Minister, die sich in den ersten Bankreihen drängten, waren nicht besser gekleidet als er. Fuchs blickte sich suchend um, und ihr Gesicht hellte sich auf, als sie Jacob zwischen den Säulen entdeckte. Doch im nächsten Moment war die Sorge zurück. Fuchs hielt nichts von seinem Plan. Wie auch? Er selbst hielt nicht viel davon, aber dies war seine letzte Chance. Folgte Will dem König und seiner Braut erst wieder in die unterirdische Festung, würde die Dunkle Fee nie beweisen können, ob sie imstande war, ihren eigenen Fluch zu brechen.
Draußen wurde es laut. Es klang, als wäre der Wind in die Menge gefahren, die seit Stunden vor der Kathedrale wartete.
Sie kamen. Endlich.
Goyl, Zwerge und Menschen, sie alle drehten sich um und starrten zu dem mit Blumen umkränzten Eingangsportal.
Der Bräutigam. Er nahm die schwarzen Brillengläser ab und blieb für einen Moment in der Tür stehen. Ein Murmeln erhob sich, als Will neben ihm erschien. Karneol und Jade. Sie schienen so sehr füreinander gemacht, dass selbst Jacob sich daran erinnern musste, dass sein Bruder nicht immer ein Gesicht aus Stein gehabt hatte.
Mit Will waren es sechs Leibwächter, die Kami'en folgten. Und Hentzau.
Auf der Empore hob die Orgel an und die Goyl schritten auf den Altar zu. Bestimmt spürten sie den Hass, der ihnen entgegenschlug, trotz der steinernen Haut, aber der Bräutigam blickte so gelassen drein, als befände er sich in seinem hängenden Palast und nicht in der Hauptstadt seiner Feinde.
Will ging so dicht an Clara und Fuchs vorbei, dass sie ihn hätten berühren können, und Claras Gesicht wurde starr vor Schmerz. Fuchs legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter.
Der Bräutigam hatte die Stufen vor dem Altar gerade erreicht, als die Kaiserin erschien. Ihr elfenbeinfarbenes Kleid hätte selbst der Braut alle Ehre gemacht. Die vier Zwerge, die ihre Schleppe trugen, beachteten den Bräutigam mit keinem Blick, aber die Kaiserin lächelte ihm wohlwollend zu, bevor sie die Stufen hinaufstieg und hinter dem Gitter aus geschnitzten Rosen Platz nahm, das links vom Altar die kaiserliche Loge umgab. Therese von Austrien war schon immer eine sehr begabte Schauspielerin gewesen.
Als Nächstes musste die Braut erscheinen.
Es war einmal eine Königin, die hatte einen Krieg verloren. Aber sie hatte eine Tochter.
Selbst die Orgel konnte das Geschrei nicht übertönen, das Amalies Ankunft ankündigte. Was immer die Menge, die die Straßen säumte, über den Bräutigam dachte, die Hochzeit einer Kaisertochter war trotzdem ein Anlass, zu jubeln und von besseren Zeiten zu träumen.
Die Prinzessin trug das puppenschöne Gesicht, das die Lilie der Feen ihr verschafft hatte, wie eine Maske, aber trotzdem glaubte Jacob auf den perfekten Zügen so etwas wie Freude zu entdecken. Ihre Augen hingen an dem steinernen Bräutigam, als hätte nicht ihre Mutter, sondern sie selbst ihn ausgewählt.
Kami'en erwartete sie mit einem Lächeln. Will stand immer noch direkt neben ihm. Er muss an seiner Seite bleiben, bis die Hochzeit vorbei ist... Geh schneller, wollte Jacob der Prinzessin zurufen. Bringt es hinter euch. Aber der höchste General ihrer Mutter führte die Braut zum Altar und er hatte es ganz offensichtlich nicht eilig.