Die Prinzessin trat mit unsicherem Schritt auf den Mittelgang hinaus. Ihr Schleier war zerrissen. Sie raffte ihr Kleid, um über den Körper des Generals zu steigen, der sie in die Kirche geführt hatte, und ging wie eine Schlafwandlerin auf den Altar zu, die lange Schleppe feucht und schwer von Blut.
Ihr Bräutigam blickte ihr entgegen, als wägte er ab, ob er sie selbst töten oder dieses Vergnügen der Dunklen Fee überlassen sollte. Der Zorn der Goyl. Bei ihrem König war er ein kaltes Feuer.
»Bring mir einen von ihren Priestern«, befahl er Will. »Irgendeiner ist bestimmt noch am Leben.«
Die Kaiserin sah ihn ungläubig an. Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten, aber einer ihrer Zwerge taumelte an ihre Seite und stützte sie.
»Was?«, fragte Kami'en und trat auf sie zu, den Säbel in der Hand. »Ihr habt versucht, mich umzubringen. Ändert das etwas an unserer Vereinbarung?«
Er blickte hinab auf seine Braut, die immer noch am Fuß der Treppe stand.
»Nein«, antwortete Amalie mit stockender Stimme. »Es ändert nichts. Aber der Preis ist immer noch Frieden.«
Ihre Mutter wollte protestieren, aber ein Blick von Kami'en ließ sie verstummen.
»Frieden?«, wiederholte er und musterte seine toten Männer, die die Motten nicht ins Leben zurückgebracht hatten. »Ich glaube, ich habe vergessen, was das Wort bedeutet. Aber ich mache es dir zum Hochzeitsgeschenk, dass ich dich und deine Mutter am Leben lasse.«
Der Priester, den Will aus der Sakristei zerrte, stolperte über die Toten. Das Gesicht der Dunklen Fee war weißer als das Kleid der Braut, als die Prinzessin die Stufen zum Altar hinaufstieg. Und Kami'en, König der Goyl, gab Amalie von Austrien das Jawort.
51
BRING IHN ZU MIR
Als die Braut aus der Kathedrale trat, war ihr Kleid mit Blüten bedeckt. Die Fee hatte aus dem Blut der Goyl weiße und aus dem der Menschen rote Rosen gemacht. Auf der Uniform des Bräutigams hatten sich die Flecken in Rubine und Mondstein verwandelt und die wartende Menge jubelte. Vielleicht fragten sich einige, wieso dem Paar so wenige Gäste folgten. Oder sie bemerkten die Angst auf den Gesichtern. Aber der Lärm auf den Straßen hatte die Schüsse in der Kathedrale übertönt, die Toten schwiegen, und der König der Goyl stieg mit seiner Menschenbraut in die goldene Kutsche, in der vor langer Zeit auch schon Amalies Urgroßmutter zu ihrer Hochzeit gefahren war.
Eine endlose Reihe von Kutschen wartete vor der Kathedrale, und die Dunkle Fee blieb wie eine Drohung auf der Treppe stehen, während die überlebenden Goyl ein Spalier bildeten, aus dem es kein Entrinnen gab. Nicht einer der Kaiserlichen, die die wartende Menge bewachten, begriff, dass die Kutschen sich vor ihren Augen mit Geiseln füllten. Und dass eine davon ihre Kaiserin war.
Sie schwankte, als Donnersmarck ihr in die Kutsche half. Er hatte das Blutbad ebenso überlebt wie zwei ihrer Zwerge. Einer von ihnen war Auberon, ihr Favorit. Er konnte kaum gehen und sein bärtiges Gesicht war verquollen vom Gift der Motten. Jacob wusste nur zu gut, wie der Zwerg sich fühlte. Er selbst war immer noch wie betäubt. Clara ging es nicht besser, und Valiant stolperte über die eigenen Füße, während sie die Treppe vor der Kathedrale hinunterstiegen. Jacob trug Fuchs auf dem Arm, damit die Goyl sie nicht fortscheuchten. Sie waren Geiseln und menschliche Dekoration, tarnendes Geleit für den Geliebten der Fee, dessen Truppen kaum einen Tagesmarsch entfernt standen.
Was hast du getan, Jacob?
Er hatte seinen Bruder beschützt. Und Will lebte. Mit einer Haut aus Jade, doch er lebte, und Jacob bereute nur eins: dass er die Weidenblätter verloren hatte und mit ihnen jede Hoffnung, sich und die anderen vor der Dunklen Fee zu schützen. Sie sah Jacob nach, als er Clara mit Fuchs in die Kutsche folgte. Ihr Zorn brannte ihm immer noch auf der Haut und er hatte sich nun auch die Kaiserin und mit ihr die halbe Spiegelwelt zum Feind gemacht. Alles, um seinen Bruder zu retten.
Bevor sie losfuhren, kletterte zu jedem Kutscher ein Goyl auf den Bock. Sie stießen die Kutscher herunter, sobald sie eine der Brücken erreichten, die aus der Stadt führten. Die Gardisten, die das Brautpaar eskortierten, versuchten sie aufzuhalten, aber die Dunkle Fee ließ ihre Motten los, und die Goyl lenkten die Kutschen über die Brücke, die ein Vorfahre der Braut erbaut hatte, und von dort in eine der Straßen am anderen Flussufer.
Ein Dutzend Kutschen, vierzig Soldaten. Eine Fee, die ihren Geliebten beschützte. Eine Prinzessin, die zwischen Leichen geheiratet hatte. Und ein König, der seiner Feindin getraut und von ihr betrogen worden war. Er würde sich dafür rächen. Aber Jacob wiederholte sich immer wieder nur eins, während Valiant sich dafür verfluchte, dass er es für eine gute Idee gehalten hatte, auf eine kaiserliche Hochzeit zu gehen: Dein Bruder ist am Leben, Jacob. Nichts anderes zählt.
Am Himmel trieben dunkle Wolken, als die Kutschen durch ein Tor fuhren, hinter dem eine Ansammlung schmuckloser Gebäude einen weiten Hof umstand. Jeder in Vena kannte die alte Munitionsfabrik - und mied sie. Die Fabrik war verlassen, seit der Fluss vor ein paar Jahren über die Ufer getreten war und die Gebäude mit Wasser und stinkendem Schlamm gefüllt hatte. Während der letzten Choleraepidemie waren viele Kranke zum Sterben hergebracht worden, aber die Goyl beunruhigte das nicht. Sie waren gegen die meisten Menschenkrankheiten immun.
»Was haben sie vor?«, flüsterte Clara, als die Kutschen zwischen den roten Mauern anhielten.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Jacob.
Aber Valiant stieg auf die Kutschbank und lugte auf den verlassenen Hof hinaus. »Ich hab da so eine Idee«, knurrte er.
Will war der Erste, der aus der goldenen Kutsche stieg. Dann folgten der König und seine Braut, während die Goyl die Geiseln aus den anderen Kutschen zerrten. Einer von ihnen stieß die Kaiserin zurück, als sie versuchte, zu ihrer Tochter zu kommen, und Donnersmarck zog sie schützend an seine Seite. Die Dunkle Fee aber trat in die Mitte des Hofes und musterte die leeren Gebäude. Sie würde ihren Geliebten nicht noch einmal in einen Hinterhalt stolpern lassen. Fünf Motten lösten sich von ihrem Kleid und flogen auf die leeren Gebäude zu. Lautlose Spione. Geflügelter Tod.
Die Goyl aber blickten ihren König an. Vierzig Soldaten, knapp dem Tod entkommen, auf dem Gebiet ihrer Feinde. Was nun?, fragten ihre Gesichter. Sie verbargen ihre Angst nur mühsam unter ihrem hilflosen Zorn. Kami'en winkte einen von ihnen zu sich. Er hatte die Alabasterhaut ihrer Spione.
»Prüft, ob der Tunnel sicher ist.« Der König klang gelassen. Falls er Angst hatte, verbarg er sie besser als seine Soldaten.
»Ich verwette meinen Goldbaum darauf, dass ich weiß, wo sie hinwollen!«, raunte Valiant, als der Alabastergoyl zwischen den verlassenen Gebäuden verschwand. »Einer unserer dümmsten Minister hat vor Jahren zwei Tunnel nach Vena bauen lassen, weil er nicht an die Zukunft der Eisenbahn glaubte. Einer sollte diese Fabrik beliefern. Es gibt Gerüchte, dass die Goyl ihn mit ihrer westlichsten Festung verbunden haben und ihre Spione ihn benutzen.«
Ein Tunnel. Es geht wieder unter die Erde, Jacob. Falls sie die Geiseln nicht vorher erschossen.
Die Goyl trieben sie zusammen, und Jacob bückte sich nach Fuchs, damit sie zwischen all den panischen Menschenfüßen nicht verloren ging, doch einer der Soldaten packte ihn und zerrte ihn grob zwischen den anderen hervor. Jaspis und Amethyst. Nesser. Jacob erinnerte sich noch gut daran, wie sie ihm die Skorpione auf die Brust gesetzt hatte. Fuchs wollte ihm nach, aber Clara nahm sie hastig auf den Arm, als die Goyl die Pistole auf sie richtete.