«Es war nicht als ein gesponsertes Rennen angekündigt«, sagte Harold überrascht.
«Nein. aber Mr. den Relgan hat sich großzügigerweise zu dieser Geste bereitgefunden. Die Übergabe wird übrigens durch seine Tochter erfolgen. «Er sah mir ins Gesicht.»Nore, nicht wahr?«
«Ja, Sir.«
«Haben Sie alles mitbekommen? Gut. Schön. «Er nickte, drehte sich um und ging, um mit einem anderen Trainer zu sprechen, der ein Pferd im gleichen Rennen laufen hatte.
«Wie viele Pokale man wohl stiften muß, um sich in den Jockey Club einzukaufen?«sagte Harold mit gedämpfter Stimme. Und mit normaler Stimme fügte er hinzu:»Victor ist hier.«
Ich sagte besorgt:»Aber Sharpener wird sein Bestes geben.«
Harold sah belustigt drein.»Aber sicher. Diesmal. Gewinn den Pott, wenn du kannst. Es wäre Victor ein Hochgenuß, den Relgans Pokal zu holen. Sie können einander nicht ausstehen.«
«Ich wußte gar nicht, daß sie sich kennen.«
«Jeder kennt jeden«, sagte Harold achselzuckend.»Ich glaube, sie sind im selben Spielclub. «Sein Interesse erlahmte, er verließ den Waageraum, und ich stand einen Moment planlos herum und sah zu, wie Lord White noch zu einem anderen Trainer ging, um seine Anweisungen loszuwerden.
Lord White war ein gutaussehender, gutgebauter Mann in den Fünfzigern, mit dichtem hellgrauem Haar, das zunehmend die Farbe seines Namens annahm. Er hatte beunruhigend klare blaue Augen und eine Art, die jeden entwaffnete, der sich bei ihm beschweren wollte. Und obwohl er nicht der Senior Steward war, war er der wahre Kopf des Jockey Clubs, dazu geworden nicht durch Wahl, sondern durch seine natürliche Autorität.
Ein aufrechter Mann, allenthalben respektiert, dessen Spitzname >Schneesturm< (der nur hinter seinem Rücken ausgesprochen wurde) wohl nur teilweise aus Bewunderung geprägt worden war. In erster Linie wollte man sich wohl über sein offensichtliches Übermaß an Tugend lustig machen.
Ich ging zum Umkleideraum und zur Tagesordnung über, und war schlechten Gewissens erleichtert, Steve Mil-lace nicht vorzufinden. Keine flehenden Blicke und keine allgemeine Hilflosigkeit, die mich dazu verleiten könnten, auf ein neues irgend etwas zu holen und zu transportieren und die Kranken zu besuchen. Ich legte Tishoos Farben an und dachte nur an das Rennen, in dem er starten sollte. Es war ein Hürdenrennen für den Nachwuchs.
Das Ereignis brachte keine größeren Probleme, aber auch keine Wiederholung der gestrigen Freuden mit sich. Tishoo galoppierte in der Zielgeraden durchaus willig auf den vierten Platz, was seine Besitzerin freute. Und ich trug meinen Sattel zum Zurückwiegen zur Waage und ging dann an meinen Platz im Umkleideraum, um Victor Briggs’ Farben für Sharpener anzulegen. Ein weiteres Stück Tagewerk. Jeder Tag in sich einzigartig, aber im Grunde doch gleich. An die zweitausend Tage war ich in Umkleideräume gegangen, hatte Farben angelegt, das Gewicht prüfen lassen und war Rennen geritten. Zweitausend Tage voller Hoffnung und Anstrengung und Schweiß bei unangemessenem Lohn. Es war mehr als ein Job, es war ein Teil meines Wesens.
Ich zog eine Jacke über Victor Briggs’ Farben, weil vor Sharpeners Rennen noch zwei andere Rennen kamen, und ging für eine Weile hinaus, um zu schauen, was sich allgemein so abspielte. Was sich insbesondere abspielte, war Mrs. White mit einem finsteren Ausdruck auf ihrem schmalen, aristokratischen Gesicht.
Lady White kannte mich nicht direkt, aber ich hatte ihr, zusammen mit den meisten anderen Springreitern, auf zwei Partys, die sie für die Rennwelt gegeben hatte, die Hand geschüttelt, während sie elegant an Lord Whites Seite stand. Die Partys waren große Ereignisse gewesen, zu denen alle Welt eingeladen war, und hatten im Abstand von drei oder vier Jahren während der März-Meetings auf der Rennbahn in Cheltenham stattgefunden. Lord White hatte sie selbst angeregt, bezahlt und veranstaltet, weil er offenbar daran glaubte, daß alle, die am Springreitsport teilhatten, eine große brüderliche Gemeinschaft seien und sich bei solchen Ereignissen begegnen sollten, um sich zu amüsieren. Der Alte Schneesturm von seiner unschätzbar besten Seite. Und ich war, wie alle anderen auch, zu den Partys gegangen und hatte mich amüsiert.
Lady White hatte ihren Nerz um sich geschlungen und stierte fast unter ihrem breitkrempigen Hut hervor. Und zwar so durchdringend, daß ich ihrem Blick folgte und feststellte, daß er auf ihren mustergültigen Ehemann gerichtet war, der mit einem Mädchen sprach.
Lord White redete nicht einfach mit dem Mädchen, er genoß es geradezu und sprühte von den funkelnden Augen bis zu den gestikulierenden Fingerspitzen vor Koketterie. Ich wandte kühl den Blick ab von diesem Bild, das eine uralte Geschichte erzählte, stellte fest, daß Lady Whites Aufmerksamkeit immer noch erbost darauf gerichtet war, und dachte amüsiert: >Du liebe Güte<, wie man es eben so tut. Den reinen weißen Lord erwartete heute abend ein ganz unaristokratischer Anpfiff.
Ivor den Relgan hielt immer noch hof bei einer Horde von Journalisten, unter denen sich zwei Rennsportreporter und drei Klatschkolumnisten von den größeren Tageszeitungen befanden. Ivor den Relgan war eindeutig ein gefundenes Fressen für die Klatschspalten.
Bart Underfield erzählte lauthals einem älteren Ehepaar, daß Osborne eigentlich nicht so dumm sein sollte, Sharpener in einem Drei-Meilen-Rennen laufen zu lassen, wo doch jeder Idiot wüßte, daß das Pferd nicht mehr als zwei schaffte. Das ältliche Ehepaar nickte beeindruckt.
Mir wurde nach und nach bewußt, daß ein Mann, der in meiner Nähe stand, genau wie Lady White konzentriert Lord White und das Mädchen beobachtete. Der Mann in meiner Nähe war eine unauffällige Erscheinung; ein normaler Durchschnittsmensch, nicht mehr ganz jung, aber auch noch nicht sehr alt, mit dunklem schütterem Haar und einer schwarzrandigen Brille. Graue Hosen, olivgrünes Jackett, Wildleder, kein Tweed, gutgeschnitten. Als er bemerkte, daß ich ihn ansah, warf er mir einen raschen Blick zu und entfernte sich; und ich verlor ihn für die nächste Stunde aus dem Gedächtnis.
Victor Briggs war ausnehmend freundlich, als ich vor Sharpeners Rennen zu ihm in den Führring trat, und machte keinerlei Anspielungen auf die Angelegenheit, die zwischen uns stand. Harold hatte sich in einen zuversichtlichen Zustand hineingesteigert und stand da, die langen Beine gespreizt, den Hut zurückgeschoben, in einer Hand das rhythmisch schlenkernde Fernglas.
«Eine Formalität«, sagte er.»Sharpener war nie besser in Form, stimmt’s, Philip? Hast doch ein gutes Gefühl gehabt, draußen in den Downs, oder? Ging ab wie ein D-Zug. «Seine kräftige Stimme trug problemlos bis zu einigen Besitzer-Trainer-Jockey-Grüppchen in der Nähe, die alle unter ihrer Anspannung vor dem Rennen litten und gut ohne Harold ausgekommen wären.
«Springt geradezu aus seiner Haut«, tönte Harold.»Besser als je zuvor. Die andern werden sich die Beine aus dem Hals rennen, was, Victor?«
Das einzig Gute an Harolds Ausbrüchen von übertriebener Zuversicht war, daß sie nie in Bissigkeit und Trübsinn umschlugen, wenn die Realität dann anders aussah. Mißerfolge wurden überschwenglich damit verziehen, daß»das Gewicht ihm natürlich zu schaffen gemacht hat«, und nur selten wurde dem Jockey die Schuld gegeben, selbst wenn sie bei ihm zu suchen war.
Sharpener reagierte ausgesprochen positiv auf Harolds Optimismus und lief, vielleicht auch angespornt durch meine Zuversicht, die noch von den zwei gestrigen Siegen in mir steckte, ein fehlerloses Rennen voller Kraft und Mut, so daß zum dritten Mal bei diesem Meeting der Applaus meinem Pferd galt. Harold schwebte zu diesem Zeitpunkt buchstäblich einen halben Meter über dem Boden, und selbst Victor brachte ein kleines Lächeln über die Lippen.