Es gab keinen Hinweis darauf, wo die Fotos aufgenommen waren. Kein erkennbarer Hintergrund. Die schwachen Flecken auf dem durchsichtigen Film hatten sich in Menschen verwandelt, aber hinter ihnen war alles grau.
Ich schaltete das Episkop aus und machte das Licht an.
«Warum sagen Sie, daß es keine Pornographie ist?«fragte Jeremy.»Was ist es dann?«
«Ich kenne die Leute«, sagte ich.»Ich weiß, wer das ist.«
Er starrte mich an.
«Da Sie Anwalt sind«, sagte ich,»können Sie mir helfen. Was macht man, wenn man nach dem Tod eines Mannes herausfindet, daß er zu Lebzeiten wahrscheinlich ein Erpresser war?«
«Meinen Sie das ernst?«
«Allerdings.«
«Nun ja… ähm… er kann ja wohl nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden.«
«Also unternimmt man nichts?«
Er runzelte die Stirn.»Wollen Sie mir… ähm… vielleicht erzählen, worum es geht?«
«Ich denke, ja.«
Ich erzählte ihm von George Millace. Von den Einbrüchen, dem Überfall auf Marie Millace und dem Brand ihres Hauses. Ich erzählte ihm von Elgin Yaxley und Terence O’Tree und den fünf erschossenen Pferden, und ich informierte ihn über das Liebespaar.
«George hat diese Abfälle sorgfältig in der Schachtel da aufbewahrt«, sagte ich.»Zwei davon habe ich enträtselt. Was ist, wenn noch mehr davon ein Rätsel enthalten? Oder gar alle?«
«Und alle… die Grundlage für Erpressung?«
«Weiß der Himmel.«
«Der Himmel weiß es… und Sie wollen es herausfinden.«
Ich nickte langsam.»Die Erpressungsgeschichten interessieren mich weniger als die fototechnischen Rätsel. Wenn George sie sich ausgedacht hat, will ich sie gerne lösen. Einfach um zu sehen, ob ich es kann. Sie haben völlig recht. Ich habe eine Schwäche für so was.«
Jeremy starrte den Fußboden an. Er schauderte, als wäre ihm kalt. Dann sagte er unvermittelt:»Ich denke, Sie sollten den ganzen Kram vernichten.«
«Da spricht der Instinkt, nicht die Vernunft.«
«Sie haben denselben Instinkt. Sie haben von… Dynamit gesprochen.«
«Tja… jemand ist in George Millaces Haus eingebrochen und hat es angesteckt. Als ich das erste Bild fand, habe ich gedacht, daß Elgin Yaxley der Täter sein muß, aber er war in Hongkong, und es ist kaum anzunehmen. Und jetzt könnte man glauben, daß das Liebespaar dahinter steckt. aber vielleicht waren die beiden es auch nicht.«
Jeremy stand auf und lief mit abgehackten, unkoordinierten Bewegungen unruhig im Zimmer auf und ab.
«Ich habe kein gutes Gefühl dabei«, sagte er.»Es könnte gefährlich werden.«
«Für mich?«
«Natürlich für Sie.«
«Niemand weiß, was ich da habe«, sagte ich.»Außer Ihnen, natürlich.«
Seine Bewegungen wurden noch unruhiger, er wedelte mit den Ellbogen, als imitierte er einen Vogel. Innerer Aufruhr, dachte ich; echter Aufruhr, keine Tarnung.
«Ich denke.«, sagte er.»Hm… äh.«
«Fragen Sie nur.«
Er warf mir einen raschen Blick zu.»Ach so, ja. Also.
Gab es irgendwelche Zweifel. bezüglich der Todesursache von George Millace?«
«Großer Gott…«, sagte ich. Es verschlug mir schier den Atem.»Ich glaube nicht.«
«Was genau ist passiert?«
«Er ist von Doncaster nach Hause gefahren und dabei eingeschlafen und gegen einen Baum gefahren.«
«Ist das alles? Wirklich alles?«
«Hm…«Ich dachte zurück.»Sein Sohn hat gesagt, sein Vater hätte noch bei einem Freund auf einen Drink vorbeigeschaut. Dann ist er weitergefahren. Dann ist er gegen einen Baum gefahren.«
Jeremy machte wieder ein paar ruckartige Bewegungen und sagte:»Woher wußte man eigentlich, daß er bei einem Freund vorbeigeschaut hat? Und woher weiß man, daß er eingeschlafen ist?«
«Das sind echte Anwaltsfragen«, sagte ich.»Auf die erste weiß ich keine Antwort, und was die zweite betrifft, kann das natürlich niemand wissen, aber man vermutet es allgemein. Daß jemand gegen Ende einer langen Fahrt in der Dunkelheit einschläft, ist so ungewöhnlich nicht. Tödlich. Tragisch. Aber so was passiert.«
«Wurde eine Autopsie vorgenommen?«
«Weiß ich nicht. Ist das üblich?«
Er zuckte die Achseln.»Manchmal. Sie haben sicher eine Blutprobe auf Alkohol gemacht. Vielleicht haben sie ihn auf Herzanfall oder Herzschlag untersucht, wenn er nicht zu übel zugerichtet war. Wenn es keine verdächtigen Umstände gab, wird das wohl alles gewesen sein.«
«Sein Sohn hätte es mir erzählt — hätte es allen auf der
Rennbahn erzählt —, falls man irgendwelche sonderbaren Fragen gestellt hätte. Ich bin sicher, da war nichts in der Richtung.«
«Diese Einbrüche müssen die Polizei doch ein bißchen stutzig gemacht haben«, sagte er stirnrunzelnd.
Ich sagte matt:»Der erste Einbruch erfolgte übrigens während der Bestattung.«
«Einäscherung?«
Ich nickte.»Einäscherung. «Ich überlegte.»Die Polizei hat sich möglicherweise gefragt, ob George Bilder besaß, die andere Leute verschwinden lassen wollten, bevor sie gefunden wurden — sie haben sich ja Marie Millace gegenüber ziemlich deutlich geäußert und sie ordentlich aufgeregt. Aber sie wissen nicht, daß er solche Bilder hatte.«
«Im Gegensatz zu uns.«
«Sie sagen es.«
«Geben Sie’s auf«, sagte er unvermittelt.»Verbrennen Sie die Bilder. Konzentrieren Sie sich auf Amanda.«
«Sie sind Anwalt. Es überrascht mich, daß Sie belastendes Material unterdrücken wollen.«
«Das Lachen können Sie sich getrost sparen«, sagte er.»Sie könnten genauso enden wie George Millace. An einen Baum geklatscht.«
Jeremy ging um sechs, und ich machte mich zur Lagebesprechung mit Harold auf den Weg. Er hatte für die nächste Woche sechs Rennen für mich vorgesehen, dazu kamen noch die fünf Zusatzritte, die man mir in Windsor angeboten hatte, so daß ich ziemlich ausgebucht war.
«Bau bloß keinen Sturz mit einer von diesen Hyänen, die du dir da aufgehalst hast«, sagte Harold.»Ich kapier nicht, warum du so was machst, wo du doch alle meine Pferde reiten kannst.«
«Geld«, sagte ich.
«Puh.«
Er mochte es nicht, wenn ich außerhalb etwas annahm, konnte mich allerdings nicht daran hindern, weil ich selbständig war. Er wollte nie zugeben, daß ich einige der größten Rennen für andere Ställe gewonnen hatte. Wenn man ihn festnagelte, betonte er, daß ich in diesen Fällen die zweite Wahl dieser Ställe geritten hätte, was die Einschätzung der Trainer durcheinandergebracht und zu unerwarteten Siegen geführt hatte.
«Nächsten Samstag habe ich in Ascot zwei Pferde von Victor im Rennen«, sagte er.»Chainmail. und Daylight.«
Ich sah ihn prüfend an, aber er wich meinem Blick aus.
«In Sandown hat er natürlich kein richtiges Rennen gehabt«, sagte er.»Er ist immer noch in Höchstform.«
«In Ascot wird er es schwerer haben. Erheblich stärkere Gegner.«
Er nickte, und nach einer Pause sagte er beiläufig:»Chainmail könnte der Favorit werden. Hängt natürlich davon ab, was in den vier Tagen noch drin ist. Und wer sonst noch meldet… Am Freitag wissen wir besser, wie die Aussichten stehen.«
Schweigen.
«Aussichten auf Sieg«, sagte ich schließlich,»oder auf Niederlage?«
«Philip.«
«Ich mach’s nicht«, sagte ich.
«Aber.«
«Sag’s mir, Harold«, sagte ich.»Sag’s mir Samstag früh, wenn ich dir nicht völlig gleichgültig bin. Ich kriege dann akute Magenschmerzen oder eine Gallenkolik oder Dünnschiß. Werde unmöglich starten können.«