«Autsch«, sagte sie.»Das hat gesessen,«
Ich lächelte.»Sie würden sich wundern, was für ein Haß sich oft gegen Pferde richtet. In allen Abstufungen von Hohn bis Hysterie.«
«Und das macht Ihnen nichts aus?«
«Was die Leute empfinden, ist deren Problem, nicht meins.«
Sie sah mich aus ihren großen grauen Augen offen an.
«Was kann Sie denn verletzen?«sagte sie.
«Leute, die sagen, ich wäre über Bord gesprungen, wenn ich in Wirklichkeit mit dem Schiff untergegangen bin.«
«Äh… was?«
«Leute, die sagen, daß ich runtergefallen bin, wenn das Pferd gestürzt ist und mich mitgerissen hat.«
«Und das ist ein Unterschied?«
«Ein ganz wesentlicher.«
«Sie nehmen mich auf den Arm«, sagte sie.
«Ein bißchen. «Ich nahm ihre leere Tasse und stellte sie in die Spülmaschine.»Und was kann Sie verletzen?«
Sie blinzelte, aber nach einem Zögern antwortete sie.
«Wenn mich jemand für einen Idioten hält.«
«Das ist eine bestechend ehrliche Antwort.«
Anscheinend verlegen wandte sie den Blick von mir ab und sagte, das Haus und die Küche gefielen ihr und ob sie mal das Bad benutzen dürfe. Sie kam bald wieder heraus, ohne die Wollmütze und mit frisch geschminkten Lippen, und wollte wissen, ob der Rest des Hauses entsprechend sei.
«Wollen Sie’s sehen?«sagte ich.
«Gerne.«
Ich zeigte ihr das Wohnzimmer, das Schlafzimmer und schließlich die Dunkelkammer.»Und das wär’s«, sagte ich.
Sie drehte sich langsam von der Dunkelkammer zur Diele um, wo ich stand.
«Sie haben gesagt, daß Sie fotografieren.«
«Stimmt.«
«Aber ich hab gedacht, Sie meinten. «Sie runzelte die Stirn.»Meine Mutter meinte, ich hätte Sie vor den Kopf gestoßen, als Sie angeboten haben… aber ich hatte keine Ahnung, daß.«
«Macht nichts«, sagte ich.»Schon in Ordnung.«
«Tja… kann ich sie mal sehen?«
«Wenn Sie wollen. Sie sind da drüben in dem Aktenschrank.«
Ich zog eine Schublade auf und ging die Mappen durch.»Da haben wir’s: Lambourn.«
«Und was ist in all den andern?«sagte sie.
«Einfach Fotos.«
«Wovon?«
«Von fünfzehn Jahren.«
Sie sah mich scharf an, als würde ich dummes Zeug reden, also fügte ich hinzu:»Seit ich eine eigene Kamera habe.«
«Ach so. «Sie überflog die Etiketten der Mappen und las dabei laut:»Amerika, Frankreich, Kinder, Harolds Farm, Jockeyleben.«
«Was heißt >Jockeyleben<?«
«Der Alltag eben, wenn man Jockey ist.«
«Kann ich das mal sehen?«
«Klar.«
Sie zog die prall gefüllte Mappe aus der Schublade und
spähte hinein. Dann trug sie sie in Richtung Küche, und ich folgte mit den Fotos von Lambourn.
Sie legte die Mappe auf den Küchentisch, öffnete sie und ging den umfangreichen Inhalt Bild für Bild durch, sah sich eins nach dem andern mit gerunzelter Stirn an.
Keinerlei Kommentar.
«Kann ich >Lambourn< sehen?«sagte sie.
Ich gab ihr >Lambourn<, und sie sah sich diese Bilder ebenfalls schweigend an.
«Ich weiß, daß sie nicht berühmt sind«, sagte ich schüchtern.»Sie müssen Ihr Gehirn nicht nach einer netten Bemerkung zermartern.«
Sie sah ernst zu mir auf.»Sie lügen. Sie wissen ganz genau, daß sie gut sind.«
Sie klappte die Lambourn-Mappe zu und trommelte mit den Fingern darauf.»Spricht nichts dagegen, daß wir die verwenden«, sagte sie.»Aber das ist natürlich nicht meine Entscheidung.«
Sie wühlte in ihrer großen braunen Handtasche herum und förderte Zigaretten und ein Feuerzeug zutage. Sie steckte sich eine Zigarette in den Mund und zündete sie an, und ich bemerkte überrascht, daß ihre Finger zitterten. Was zum Teufel hatte sie wohl so nervös gemacht? Irgend etwas hatte sie zutiefst durcheinandergebracht, denn die glänzende, extrovertierte Oberfläche war völlig verschwunden, und was ich vor mir hatte, war eine dunkelhaarige Frau, die sich voll und ganz auf die Gedanken in ihrem Kopf konzentrierte.
Sie nahm ein paar tiefe Züge und starrte mit leerem Blick auf ihre Finger, die immer noch zitterten.
«Was ist los?«sagte ich schließlich.
«Nichts. «Sie warf mir einen raschen Blick zu, sah wieder weg und sagte:»So was wie Sie hab ich gesucht.«
«So was?«wiederholte ich verblüfft.
«Mhm. «Sie klopfte die Asche ab.»Meine Mutter hat Ihnen doch erzählt, daß ich Verlegerin werden möchte.«
«Ja, hat sie.«
«Die meisten Leute lächeln darüber, weil ich noch so jung bin. Aber ich arbeite jetzt schon fünf Jahre in der Branche. und ich weiß, was ich tue.«
«Ich zweifle nicht daran.«
«Schön… aber ich brauche… ich möchte… ich muß ein Buch machen, mit dem ich mir in der Verlagswelt einen Namen machen kann. Ich muß bekannt werden als diejenige, die das und das Buch herausgebracht hat. Ein sehr erfolgreiches Buch. Dann ist meine Zukunft im Verlagsgeschäft gesichert. Verstehen Sie?«
«Ja.«
«Nach diesem Buch suche ich jetzt schon an die zwei Jahre. Und verzweifle schier, weil ich etwas ganz Außergewöhnliches haben will. Und jetzt…«, sie holte tief Luft,»jetzt hab ich’s gefunden.«
«Aber >Lambourn< ist nichts Neues«, sagte ich verwirrt.»Und ich dachte, es ist ohnehin das Buch von Ihrem Chef.«
«Das doch nicht, Sie Dussel«, sagte sie.»Das hier. «Sie legte die Hand auf die» Jockeyleben«-Mappe.»Die Bilder hier. Die brauchen keinen Text. Die sprechen für sich. «Sie zog an ihrer Zigarette.»In der richtigen Reihenfolge angeordnet… präsentiert als Lebensstil… als Autobiographie, als Sozialkritik, als Einblick in die menschliche Natur… und gleichzeitig in die Funktionsweise einer Industrie… wird das eine spektakuläre Alternative zu Blumen und Fisch.«
«Die Blumen haben sich millionenfach verkauft, oder?«
«Sie glauben mir nicht, stimmt’s?«fragte sie.»Sie verstehen einfach nicht. «Sie unterbrach sich und runzelte die Stirn.»Von den Fotos sind doch noch keine veröffentlicht worden? In Zeitungen oder Zeitschriften oder sonstwo?«
Ich schüttelte den Kopf.»Nirgendwo. Ich hab mich nie darum bemüht.«
«Sie sind unglaublich. Sie haben so viel Talent und nutzen es nicht.«
«Aber… jeder fotografiert.«
«Natürlich. Aber nicht jeder fotografiert serienweise Bilder, die einen ganzen Lebensstil widerspiegeln. «Sie streifte die Asche ab.»Da ist alles drin. Die harte Arbeit, die Hingabe, das schlechte Wetter, die Eintönigkeit, die Triumphe, der Schmerz… Ich habe die Bilder nur einmal durchgesehen, und auch noch völlig ungeordnet, und ich weiß, was für ein Leben Sie leben. Ich kenne es von Grund auf, weil Sie es so fotografiert haben. Ich kenne Ihr Leben von innen. Ich sehe, was Sie gesehen haben. Ich sehe die Begeisterung bei den Pferdebesitzern. Ich sehe die unterschiedlichen Typen. Ich sehe, was Sie den Stallburschen verdanken. Ich sehe die Sorgen der Trainer, es liegt alles drin. Ich sehe das Lachen, das in den Jockeys steckt, und ihren Gleichmut. Ich sehe, was Sie empfunden haben. Ich sehe, was Sie von den Leuten begriffen haben. Ich sehe die Menschen mit anderen Augen als zuvor, weil ich sie durch Ihre Augen sehe.«
«Ich wußte nicht, daß diese Bilder so aufschlußreich sind«, sagte ich.
«Sehen Sie sich das letzte hier mal an«, sagte sie und zog es heraus.»Diese Aufnahme von einem Mann in einem Overall, der dem Knaben mit der gebrochenen Schulter den Stiefel auszieht… Man braucht keine Worte, um zu erklären, daß der Mann so sanft wie möglich zieht oder daß es weh tut… man sieht das alles, in jeder Linie der Körper und Gesichter. «Sie legte das Bild in die Mappe zurück und sagte ernsthaft:»Ich werde einige Zeit brauchen, bis ich alles so geregelt habe, wie ich es mir vorstelle. Können Sie mir die Zusage geben, daß Sie die Bilder nicht an jemand anderen verkaufen?«