«Ich hab ihm gesagt, daß ich ihn wieder voll bewegen kann. Es ist nicht fair.«
«Es stimmt wirklich, daß der Jockey Club dabei ist, ein neues Komitee zu bilden.«
«Da besucht sie ein Engel und sagt, weil sie all die Jahre im Sommer und Winter geduldig dagestanden haben, werden sie jetzt zur Belohnung für eine halbe Stunde zu menschlichem Leben erweckt, damit sie das tun können, was sie schon immer am allerliebsten tun wollten…«
«Ich kann meinen Arm im Kreis herumschwingen, schaut doch. Was meint ihr dazu?«
«Ein Komitee, das bezahlte Stewards ernennen soll, oder so was.«
«Die zwei Statuen werden also lebendig, gucken sich an, lachen ein bißchen, sagen >Sollen wir?< und >Au ja<, und dann verschwinden sie im Gebüsch und es gibt ein Mordsgeraschel.«»Ich kann jedes Pferd halten. Ich hab’s ihm gesagt, aber der Blödmann hat nicht auf mich gehört.«
«… daß der Senior Steward ein Gehalt kriegen soll.«
«Nach einer Viertelstunde kommen sie aus dem Gebüsch, total verschwitzt und aufgeregt und glücklich, und der Engel sagt, ihr habt erst die Hälfte der Zeit verbraucht, ihr dürft ruhig noch mal…«
«Wie lang braucht so ein Schlüsselbeinbruch eigentlich?«
«Lord White hat der Regelung angeblich zugestimmt.«
«Die Statuen kichern ein bißchen, und die männliche Statue sagt zur weiblichen Statue: >O.k., machen wir’s nochmal, aber diesmal andersrum. Ich halt die dämliche Taube fest, und du kackst drauf.<«
Mitten in der Lachsalve hörte ich den Gerüchteerzähler sagen:». und Ivor den Relgan wird Vorsitzender.«
Ich wandte mich zu ihm.»Was hast du gesagt?«
«Ich weiß nicht, ob es stimmt… aber einer von den Klatschreportern hat mir erzählt, daß Ivor den Relgan beauftragt worden ist, ein Komitee zu bilden, das bezahlte Stewards ernennen soll.«
Ich runzelte die Stirn.»Das verleiht den Relgan aber mit einem Schlag verdammt viel Macht.«
Er zuckte die Schultern.»Keine Ahnung.«
Er hatte vielleicht keine Ahnung, aber andere sehr wohl.
Im Laufe des Nachmittags konnte man förmlich sehen, wie sich das Gerücht als unangenehme Überraschung von einem Jockey Club-Gesicht zum nächsten fortpflanzte. Die einzige Gruppe, die von der allgemeinen Reaktion nicht betroffen schien, war eine schlecht zusammenpas-sende Gesellschaft von vier Leuten, die die Blicke aller an-dern auf sich zog.
Lord White, Lady White, Ivor den Relgan, Dana den Relgan.
Sie standen vor dem Waageraum in der schwachen Novembersonne, beide Frauen in Nerz gekleidet, Lady White, schlank wie immer, sah abgezehrt, unansehnlich und unglücklich aus. Dana den Relgan strotzte vor Gesundheit, lachte strahlend, zwinkerte Lord White zu und warf gönnerhafte Blicke auf seine Lady.
Lord White sonnte sich im Licht von Danas Lächeln und streifte die Jahre ab wie Schlangenhäute. Ivor den Relgan bedachte die Umwelt mit seinem süffisanten Grinsen und rauchte seine Zigarre mit einem gebieterischen Gehabe, als wäre er der Besitzer der Rennbahn von Ascot. Er trug wieder den Kamelhaarmantel mit Gürtel, sein graues Haar war zurückgekämmt, und er sah es als sein natürliches Recht an, daß man ihm stets Aufmerksamkeit schenkte.
Harold tauchte an meinem Ellbogen auf und folgte meinem Blick.
«Dschingis-Khan macht sich auf, die Welt zu erobern«, sagte er.
«Das Komitee?«
«Würdest du nicht auch sagen, daß es etwas dick aufgetragen ist, wenn man jemand wie den Relgan den Vorsitz über ein von ihm selbst ernanntes Komitee gibt?«
«Kosmetik oder Tarnung?«
«Beides. Im Klartext heißt das doch: >O.k., du suchst dir die Stewards aus, die dir passen, und wir bezahlen sie.< Es ist nicht zu fassen.«
«Das kann man wohl sagen.«
«Der Alte Schneesturm ist dermaßen verrückt nach diesem Mädchen«, sagte Harold,»daß er ihrem Vater alles geben würde.«
«War das Ganze Lord Whites Idee?«
Harold grinste wölfisch.»Sei nicht kindisch, Philip. Wer hat denn jahrelang versucht, im Jockey Club mitzumischen? Und wer hat eine umwerfende Tochter, die jetzt alt genug ist, dem Alten Schneesturm den Kopf zu verdrehen? Ivor den Relgan hat endlich einen Fuß in der Tür zur Macht im Pferderennsport, und wenn er erstmal in die Festung eingedrungen ist und Entscheidungen treffen kann, wird die alte Garde sich vergeblich bemühen, ihn wieder rauszuschmeißen.«
«Du machst dir ja echt Sorgen«, sagte ich verwundert.
«Natürlich, verdammt nochmal. Es ist ein großartiger Sport, und noch ist er unabhängig. Wer zum Teufel will schon, daß das Topmanagement des Pferderennsports aufgespalten und manipuliert und verkauft und korrumpiert wird wie etliche andere Sportarten, die ich jetzt nicht nennen will. Die Sauberkeit des Pferderennsports wird dadurch garantiert, daß unbezahlte Aristokraten aus Liebe zur Sache tätig sind. Natürlich bauen sie gelegentlich fürchterlichen Mist, aber das kann man wieder zurechtbiegen. Wenn den Relgan bezahlte Stewards ernennt, für wen werden die dann wohl arbeiten? Für uns? Für den Pferderennsport? Oder für die Interessen von diesem Scheiß Ivor den Relgan?«
Ich hörte mir seinen leidenschaftlichen Ausbruch und seine Überzeugungen an und konnte seinen bebenden Abscheu spüren.
«Das wird doch der Jockey Club sicher nicht zulassen«, sagte ich.
«Es passiert doch schon. Die Typen an der Spitze sind dermaßen an Lord Whites Führung gewöhnt, daß sie alle seinem Vorschlag für das Komitee zugestimmt haben, ohne darüber nachzudenken. Sie gehen fest davon aus, daß er tugendhaft ist und wohlmeinend und grundehrlich. Und das ist er auch. Aber er ist auch verknallt. Und das ist verdammt gefährlich.«
Wir beobachteten das Vierergrüppchen. Lord White machte unablässig kleine Gesten, die ihm erlaubten, seine Hand auf Danas Arm, um ihre Schultern oder an ihre Wange zu legen. Ihr Vater beobachtete sie mit nachsichtigem Lächeln und sichtlicher Befriedigung, und die arme Lady White schien noch mehr zu schrumpfen und noch grauer zu werden in ihrem Nerz. Als sie sich schließlich entfernte, schien es keiner der andern zu bemerken.
«Irgend jemand muß was unternehmen«, sagte Harold grimmig,»um dem Ganzen Einhalt zu gebieten. Und zwar bevor es zu spät ist.«
Er sah Victor Briggs, der wie immer allein abseits stand, und entfernte sich, um ihm Gesellschaft zu leisten, und ich beobachtete, wie Lord White und Dana miteinander flirteten wie zwei fröhliche Kolibris, und dachte, daß sie heute mit erheblich weniger Zurückhaltung auf ihn reagierte als in Kempton.
Ich wandte mich besorgt ab und sah Lance Kinship langsam auf mich zukommen. Sein Blick huschte rasch von mir zu den den Relgans und zurück. Ich begriff, daß er mit mir reden wollte, ohne daß die den Relgans seine
Anwesenheit bemerkten, und ging ihm mit einem innerlichen Lächeln entgegen.
«Ich habe Ihre Bilder im Auto«, sagte ich.»Ich habe sie für alle Fälle mitgebracht.«
«Ah ja? Gut, gut. Ich möchte mit dem Mädchen da sprechen. «Er warf wieder einen raschen Blick hinüber.»Können Sie an sie ran? Ihr was ausrichten? Ohne daß der Mann da es hört? Ohne daß einer von den beiden es hört? Geht das?«
«Ich kann’s versuchen«, sagte ich.
«Gut. Schön. Sagen Sie ihr, daß ich sie nach dem dritten Rennen in einer der Privatlogen erwarte. «Er nannte mir die Nummer.»Sagen Sie ihr, daß sie dahin kommen soll. Klar?«
«Ich werd’s versuchen«, wiederholte ich.
«Gut. Ich werde Sie im Auge behalten. Von da drüben. «Er wies mir die Richtung.»Wenn Sie’s ihr ausgerichtet haben, kommen Sie rüber und sagen Bescheid. Klar?«
Ich nickte, und mit einem weiteren raschen Seitenblick auf Dana trippelte er davon. Er trug heute fast dieselbe Kleidung wie in Newbury, nur hatte er den waschechten Gesamteindruck durch ein Paar blaßgrüne Socken verdorben. Ein jämmerlicher Mann, dachte ich. Versucht etwas darzustellen, was er nicht ist. Weder ein bedeutender Filmproduzent noch blaublütig. Laut Victor Briggs wurde er wegen seiner Mitbringsel zu Parties eingeladen. Ein trauriger, erfolgloser Mann, der sich den Weg in die Große Welt mit kleinen Päckchen mit weißem Puder erkaufte.