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«Es ist eine Menge Geld«, fuhr sie mich an.

«Wenn man’s hat.«

Sie war wieder empört.»Du bist unverschämt!«

«Klar doch. Wenn das dann alles ist, geh ich mal lieber wieder. «Ich drehte mich um und ging zur Tür.

«Warte«, sagte sie hastig.»Willst du nicht wenigstens ein Bild von ihr sehen? Da drüben auf der Kommode liegt ein Foto von deiner Schwester.«

Ich blickte über die Schulter zurück und sah, wie sie Richtung Kommode nickte. Sie mußte das Zögern meiner Hand auf der Türklinke bemerkt haben, denn sie sagte zuversichtlicher:»Schau sie dir mal an. Wirf mal einen Blick auf sie.«

Ohne recht zu wollen, aber getrieben von nicht zu leugnender Neugier, trat ich zur Kommode hinüber. Dort lag ein Foto, ein ganz normaler Schnappschuß fürs Familienalbum in Postkartengröße. Ich nahm es auf und hielt es ins Licht.

Ein kleines Mädchen, drei oder vier Jahre alt, auf einem Pony.

Das Kind hatte schulterlanges braunes Haar und trug ein rotweiß gestreiftes T-Shirt und Jeans. Sie saß auf einem unscheinbaren grauen Welsh-Pony mit gepflegtem Sattel und Zaumzeug. Das Foto war offenbar auf einem Reiterhof aufgenommen, beide sahen zufrieden und wohlgenährt aus, aber der Fotograf hatte zu weit weg gestanden, um das Gesicht des Kindes deutlich herauszuholen. Eine Vergrößerung könnte da etwas weiterhelfen.

Ich drehte das Foto um, aber auf der Rückseite stand kein Hinweis darauf, wo es herkam oder wer es aufgenommen hatte.

Etwas enttäuscht legte ich es wieder auf die Kommode zurück. Dabei fiel mein Blick auf einen Briefumschlag, der in der Handschrift meiner Mutter beschriftet war, und ich verspürte einen Stich von Wehmut. Er war an meine Großmutter, Mrs. Lavinia Nore, in dem alten Haus in Northamptonshire adressiert, wo ich einst in der Halle hatte warten müssen.

Im Umschlag ein Brief.

«Was machst du da?«sagte meine Großmutter aufgeregt.

«Lese einen Brief von meiner Mutter.«

«Aber ich. Der Brief sollte nicht da liegen. Leg ihn sofort zurück. Ich dachte, er liegt in der Schublade.«

Ich ignorierte sie. Die schwungvolle, extravagante, ex-trovertierte Schrift sprang mir so lebendig vom Papier ins Auge, als wäre meine Mutter hier im Raum gewesen mit ihrer Überschwenglichkeit und ihrem halben Lachen, wie immer um Hilfe bittend.

Dieser an irgendeinem zweiten Oktober geschriebene Brief war kein Scherz.

Liebe Mutter,

Ich weiß, daß ich gesagt habe, daß ich Dich nie wieder um irgend etwas bitten würde, aber ich versuche es noch einmal, weil ich — dumm wie ich bin — immer noch hoffe, daß Du Deine Meinung eines Tages doch noch änderst. Ich schicke Dir ein Foto von meiner Tochter Amanda, Deiner Enkelin. Sie ist richtig niedlich und lieb und jetzt schon drei, und sie braucht ein ordentliches Zuhause und muß zur Schule gehen und alles, und ich weiß, daß Du kein Kind um Dich haben willst, aber wenn Du einen Beitrag leisten oder vielleicht sogar eine Unterhaltsverpflichtung unterschreiben würdest, könnte sie bei wirklich himmlischen Leuten unterkommen, die sie lieben und bei sich behalten möchten, sich aber kein weiteres Kind leisten können, weil sie selber schon drei haben. Wenn du regelmäßig was auf ihr Konto überweisen würdest, würdest Du das nicht weiter merken, und es würde bedeuten, daß Deine Enkelin in einem glücklichen Heim aufwachsen kann, und ich wünsche ihr das so verzweifelt, daß ich jetzt an Dich schreibe.

Sie hat nicht den gleichen Vater wie Philip, Du kannst sie also nicht aus den gleichen Gründen hassen, und wenn Du sie sehen würdest, würdest Du sie lieben, aber auch wenn Du sie nicht sehen willst, bitte, Mutter, kümmere Dich um sie. Ich hoffe, bald etwas von Dir zu hören. Bitte, bitte, Mutter, antworte auf diesen Brief

Deine Tochter Caroline (z. Zt. in Pine Woods Lodge, Mindle Bridge, Sussex)

Ich hob den Blick und sah zu der harten alten Frau hinüber.

«Wann hat sie das geschrieben?«

«Vor Jahren.«»Und du hast nicht geantwortet«, sagte ich rundheraus.

«Nein.«

Es hatte wenig Sinn, sich über so eine alte Tragödie aufzuregen. Ich sah auf den Umschlag und versuchte, das Datum auf dem Poststempel zu entziffern, aber es war verschmiert und unleserlich. Wie lange sie wohl in Pine Woods Lodge gewartet hatte, hoffend und bangend und verzweifelt? Verzweiflung war allerdings, was meine Mutter anging, immer ein relativer Begriff.

Verzweiflung war ein Lachen und eine ausgestreckte Hand — und der Herrgott (oder Deborah oder Samantha oder Chloe) würden helfen. Verzweiflung war nichts Schreckliches und Auswegloses, aber sie mußte ganz schön tief gewesen sein, wenn sie ihre eigene Mutter um Hilfe bat.

Ich steckte den Brief, den Umschlag und das Foto in meine Jackentasche. Ich fand es widerwärtig, daß die alte Frau das alles aufgehoben hatte, obwohl sie die Bitte nicht erhört hatte, und ich hatte das dunkle Gefühl, daß die Sachen mir gehörten und nicht ihr.

«Du bist also bereit, es zu tun«, sagte sie.

«Nein.«

«Aber du nimmst das Foto mit.«

«Ja.«

«Na also.«

«Wenn du willst, daß… Amanda… gefunden wird, solltest du einen Privatdetektiv engagieren.«

«Habe ich schon«, sagte sie ungeduldig.»Selbstverständlich. Drei Detektive. Waren allesamt nutzlos.«

«Wenn die drei versagt haben, ist sie nicht auffindbar«, sagte ich.»Wie soll ich sie dann finden?«

«Der Anreiz ist größer«, sagte sie triumphierend.»Du wirst dich gehörig ins Zeug legen, für soviel Geld.«

«Du irrst dich. «Ich starrte sie quer durchs Zimmer verbittert an, und sie starrte ohne ein Lächeln von ihrem mit Kissen beladenen Bett zurück.»Wenn ich nur einen Pfennig von deinem Geld annähme, käme mir das kalte Kotzen.«

Ich ging zur Tür und öffnete sie diesmal ohne zu zögern.

Sie sagte zu meinem entschwindenden Rücken:»Amanda wird mein Geld bekommen, wenn du sie findest.«

Kapitel 2

Als ich am nächsten Tag nach Sandown Park zurückkehrte, hatte ich den Brief und das Foto immer noch in der Tasche, aber die Gefühlswallungen, die sie verursacht hatten, waren abgeebbt. Ich konnte ohne kindische Wut an meine Halbschwester denken, und ein weiteres Bruchstück hatte sich in meine Vergangenheit eingefügt.

Aber im Moment beanspruchte die Gegenwart, in Gestalt von Steve Millace, jedermanns Aufmerksamkeit. Er kam eine halbe Stunde vor dem ersten Rennen in die Jok-key-Stube gefegt, das Haar feucht vom Nieselregen und heiligen Zorn in den Augen.

Während alle bei der Beerdigung seines Vaters waren, sei in das Haus seiner Mutter eingebrochen worden, sagte er.

Wir saßen aufgereiht auf den Bänken, halb umgezogen, und hörten ihm entgeistert zu. Ich sah mir die Szene an — Jockeys in allen Stadien der Entkleidung, in Unterhosen, mit nacktem Oberkörper, im Hemd und beim Anziehen der enganliegenden Reithosen und Stiefel, und alle waren schlagartig verstummt und lauschten mit offenen Mündern, die Augen auf Steve gerichtet.

Fast automatisch griff ich nach meiner Nikon, wählte die richtige Einstellung und machte ein paar Aufnahmen, und was ich tat, war allen so vertraut, daß niemand es groß beachtete.

«Es war schrecklich«, sagte Steve,»absolut widerlich. Sie hatte ein paar Kuchen und so was gebacken, meine Mutter, für die Tanten und so, für später, nach der Einäscherung, und die waren überall verteilt, plattgequetscht, Marmelade und so was an die Wände geschmiert und in den Teppich getreten. Und wo man hinsah, die gleiche Sauerei, in der Küche. im Bad. Es hat ausgesehen, als wäre eine Horde verrückter Kinder durchs Haus getobt und hätte es mit aller Kraft verwüstet. Aber es waren keine Kinder. Kinder hätten nicht gestohlen, was alles gestohlen wurde, sagt die Polizei.«

«Deine Mutter hat wohl ’n Haufen Schmuck?«witzelte jemand.