Schlag mit der Gerte, daß ich fast spüren konnte, wie er ärgerlich dachte: >He, das sieht dir aber gar nicht ähnlich<; und das stimmte auch.
Er kämpfte und rackerte und stürmte und flog. Ich trieb ihn gegen jeden gesunden Menschenverstand zu seiner höchsten Geschwindigkeit an. Ich ritt mir für Victor Briggs die Seele aus dem Leib.
Es reichte nicht. Chainmail wurde Dritter von vierzehn. Keine Schande. Vielleicht besser, als man realistischerweise hatte erwarten können. Nur um eine Länge und einen Hals geschlagen. Aber trotzdem Dritter.
Victor Briggs sah ohne ein Lächeln zu, wie ich den Sattel von seinem zweiten stampfenden, aufgeputschten Pferd abnahm. Ich wickelte die Gurte um den Sattel und blieb einen Moment lang vor ihm stehen. Er sagte kein Wort, und ich auch nicht. Wir sahen uns sekundenlang mit der gleichen Leere in die Augen, und dann ging ich an ihm vorbei zum Wiegen.
Als ich nach dem Umziehen wieder herauskam, war er nicht mehr zu sehen. Ich hätte zwei Siege gebraucht, um meinen Job zu behalten, und hatte keinen errungen. Draufgängertum war nicht genug. Er wollte Siege. Wenn er bestimmte Siege nicht bekommen konnte, würde er bestimmte Niederlagen verlangen. Wie früher. Wie vor drei Jahren. Wie damals, als ich und meine Seele noch jung waren.
Mit einem tiefen Gefühl von Müdigkeit machte ich mich zu meiner Verabredung mit Marie Millace in der bewußten Bar auf.
Kapitel 12
Sie saß in einem Sessel, mit einer andern Frau ins Gespräch vertieft, in der ich zu meiner Überraschung Lady White erkannte.
«Ich komme später wieder«, sagte ich und wollte mich zurückziehen.
«Nein, nein«, sagte Lady White und erhob sich.»Ich weiß, daß Marie mit Ihnen reden will. «Sie lächelte, wobei sich in ihren Kummerfalten ihre sämtlichen Sorgen zeigten und ihre Augen wie in anhaltendem Schmerz zusammengekniffen waren.»Sie hat mir erzählt, daß Sie ihr sehr geholfen haben.«
«Nicht der Rede wert«, sagte ich kopfschüttelnd.
«Da ist sie anderer Meinung.«
Die zwei Frauen lächelten und küßten sich zum Abschied auf die Wangen, und Lady White verließ die Bar mit einem Nicken und einem vagen Lächeln zu mir hin. Ich blickte ihr nach. Eine schmächtige, geschlagene Lady, die sich so zu verhalten suchte, als wüßte nicht die ganze Rennwelt von ihrer Niederlage, und der das nicht recht gelang.
«Wir sind zusammen zur Schule gegangen«, sagte Marie Millace.»Wir haben dort in den letzten drei Jahren zusammen in einem Zimmer gewohnt. Ich mag sie sehr.«
«Sie wissen von… ähm.?«
«Von Dana den Relgan? Ja. «Sie nickte.»Möchten Sie etwas trinken?«
«Ich hole uns etwas.«
Ich holte ein Glas Gin-Tonic für sie und eine Cola für mich und setzte mich in den Sessel, den Lady White verlassen hatte.
Die Bar, ein hübscher Raum mit Korbmöbeln und grünweißen Farben, war selten überfüllt und oft beinahe leer, so wie heute. Weit weg vom Führring und den Buchmachern hoch oben auf der Tribüne versteckt, war sie besser zum Reden als zum Verfolgen der Rennen geeignet, und außerdem war es hier warm, was für die meisten Tribünenplätze nicht galt. Halbinvalide verbrachten hier sehr viel Zeit, während ihre Neffen und Nichten mit Wettscheinen hin und her hasteten.
Marie Millace sagte:»Wendy. Wendy White. hat mich gerade gefragt, ob ich glaube, daß die Affäre ihres Mannes mit Dana den Relgan irgendwann von selbst vorübergeht. Aber ich weiß es nicht. Ich konnte es ihr nicht sagen. Wie sollte ich auch? Ich habe gesagt, ich sei davon überzeugt…«Sie hielt inne, und als ich nichts sagte, fragte sie:»Glauben Sie, daß sich das einfach gibt?«
«Vorläufig nicht, würde ich sagen.«
Sie ließ mit düsterer Miene das Eis in ihrem Glas kreisen.»Wendy sagt, er sei mit ihr weggewesen. Er hat sie über Nacht zu Bekannten mitgenommen. Er hat Wendy erzählt, er ginge zur Jagd, was sie langweilig findet. Sie ist schon seit Jahren nicht mehr mit ihm zur Jagd gegangen. Aber diese Woche hat er Dana den Relgan mitgenommen, und Wendy sagt, ihr Mann sei mit Dana den Relgan im
Haus geblieben, als die ganze Gesellschaft mit den Gewehren loszog… Ich sollte Ihnen das alles eigentlich gar nicht erzählen. Sie hat es von jemand gehört, der dabei war. Erzählen Sie bitte nicht weiter, was ich Ihnen gerade gesagt habe. Versprechen Sie mir das?«
«Natürlich.«
«Es ist so schrecklich für Wendy«, sagte Marie Millace.»Sie hat gedacht, alles wäre längst vorbei.«
«Vorbei? Ich dachte, es hätte gerade erst angefangen.«
Sie seufzte.»Wendy sagt, ihr Mann hätte sich schon vor Monaten unsterblich in diese Dana verliebt, aber dann ist das Luder von der Bildfläche verschwunden und nicht mehr auf den Rennbahnen aufgetaucht, und Wendy dachte, er sähe sie nicht mehr. Und jetzt steht sie wieder im Blickpunkt, und niemand kann es übersehen. Wendy sagt, ihr Mann sei hoffnungsloser verliebt denn je und auch noch stolz darauf. Wendy tut mir so leid. Das Ganze ist so gräßlich. «Sie zerfloß vor Mitleid, dabei waren ihre eigenen Sorgen in jeder Hinsicht viel schlimmer.
«Kennen Sie Dana den Relgan persönlich?«fragte ich.
«Nein, überhaupt nicht. George kannte sie wohl. Wenigstens vom Sehen. Er kannte jeden. Als wir letzten Sommer in St. Tropez waren, hat er sie dort eines Nachmittags angeblich gesehen, aber ich weiß nicht, ob er das ernst gemeint hat, er hat nämlich gelacht, als er es erzählte.«
Ich trank ein paar Schlucke Cola und fragte sie unverbindlich, ob es ihr und George in St. Tropez gefallen habe und ob sie öfter dort gewesen seien. Ja, es habe ihnen sehr gefallen, aber sie seien nur dieses eine Mal da gewesen. George habe wie gewöhnlich die meiste Zeit wie angewachsen hinter seiner Kamera verbracht, aber er und Marie hätten jeden Nachmittag auf dem Balkon mit Meeresblick gelegen und seien wunderbar braun geworden.
«Aber darüber wollte ich natürlich nicht mit Ihnen reden«, sagte sie.»Ich wollte Ihnen für Ihre Freundlichkeit danken und Sie wegen der Ausstellung fragen, die Sie vorgeschlagen haben… und wie ich mit den Fotos etwas Geld verdienen kann. Weil… und ich weiß, das ist ein unerfreuliches Thema… ich brauche nämlich… ähm.«
«Jeder braucht es«, sagte ich beruhigend.»Hat denn George nichts hinterlassen, Versicherungspolicen oder dergleichen?«
«Doch. Etwas. Und ich bekomme das Geld für das Haus, wenn auch unglücklicherweise nicht den vollen Wert. Aber es wird nicht reichen zum Leben, nicht bei der Inflation und so weiter.«
«Hatte George«, fragte ich behutsam,»denn keine… nun ja. Ersparnisse. auf irgendwelchen Sonderkonten?«
Ihr freundlicher Gesichtsausdruck wurde mißtrauisch.»Fragen Sie mich das gleiche wie die Polizei?«
«Marie. Denken Sie an die Einbrüche und an Ihr Gesicht und an die Brandstiftung.«
«So einer war er nicht«, brach es aus ihr hervor.»George hätte nie. Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Glauben Sie mir nicht?«
Ich seufzte, gab keine Antwort und fragte sie, ob sie wisse, bei welchem Freund George auf dem Rückweg von Doncaster auf einen Drink vorbeigeschaut habe.
«Natürlich weiß ich das. Es war kein Freund. Nicht einmal ein Bekannter. Ein Mann namens Lance Kinship.
George hat mich an dem Morgen aus Doncaster angerufen. Das tat er oft, wenn er über Nacht wegblieb. Er meinte, er käme etwa eine halbe Stunde später als üblich, er wolle noch bei dem Mann vorbeischauen, es läge ohnehin auf seinem Heimweg. Dieser Lance Kinship wollte, daß George ein paar Aufnahmen von ihm bei der Arbeit machte. Er ist Regisseur oder so etwas. George sagte, er sei ein widerlicher, sich selbst in die Tasche lügender, kleiner Egoist, aber wenn er ihm schmeichle, würde er gut bezahlen. Das war praktisch das letzte, was er zu mir gesagt hat.«
Sie holte tief Luft und bemühte sich, die Tränen zu unterdrücken, die ihr plötzlich in den Augen standen.»Verzeihung…«Sie schniefte und zwang sich, ihre Gesichtszüge zu straffen, und suchte in ihrer Tasche nach einem Taschentuch.