Ich holte tief Luft. Ich sagte:»Lebt er noch?«
«Ich weiß es nicht. Ich habe seitdem nie mehr mit ihm gesprochen oder von ihm gehört.«
«Und wie. wie hieß er?«
Sie starrte mir ins Gesicht, nicht das geringste hatte sich an ihrem tiefsitzenden Haß geändert.»Das sage ich dir nicht. Ich will nicht, daß du ihn ausfindig machst. Er hat mein Leben zerstört. Er hat unter meinem eigenen Dach mit meiner siebzehnjährigen Tochter geschlafen, und er war hinter meinem Geld her. So ein Mensch war dein Vater. Seinen Namen sage ich dir nicht, das ist der einzige Gefallen, den ich dir tue. Also sei zufrieden.«
Ich nickte. Ich machte eine unbestimmte Handbewegung und sagte verlegen:»Es tut mir leid.«
Ihre Miene wurde nur noch finsterer.
«Jetzt such Amanda für mich«, sagte sie.»Dieser Anwalt hat gesagt, du tust es, wenn ich dich aufkläre. Also geh und tu es. «Sie schloß die Augen und sah sofort kranker, verwundbarer aus.»Ich mag dich nicht«, sagte sie.»Also geh!«
«Und?«sagte Jeremy unten.
«Sie hat’s mir gesagt.«
«Der Milchmann?«
«So ungefähr. «Ich berichtete ihm das Wesentliche, und er reagierte genauso wie ich.
«Arme alte Frau.«
«Ich könnte einen Drink vertragen«, sagte ich.
Kapitel 13
Wenn man Farbabzüge macht, geht es einem normalerweise darum, ein möglichst naturgetreues Ergebnis zu erzielen, und das ist bei weitem nicht so einfach, wie es klingt. Abgesehen von Kleinigkeiten wie Schärfe und optimaler Belichtungszeit und — stärke macht die Farbe selbst einem zu schaffen, da sie je nach Filmhersteller und Fotopapier, ja sogar auf Papier aus zwei verschiedenen Schachteln des gleichen Typs vom gleichen Hersteller unterschiedlich herauskommt. Das liegt daran, daß die vier hauchdünnen Emulsionsschichten des Farbfotopapiers von Serie zu Serie leicht variieren. Es ist ja auch kaum möglich, zwei Kleidungsstücke in verschiedenen Färbebädern so zu färben, daß man ein absolut identisches Ergebnis bekommt; bei lichtempfindlichen Emulsionen verhält es sich ebenso.
Um das auszugleichen und zu bewirken, daß alle Farben möglichst natürlich aussehen, benutzt man Farbfilter — farbige Glasscheiben, die zwischen die helle Lichtquelle des Vergrößerungsapparates und das Negativ gesetzt werden. Bei richtiger Filtermischung werden dann auf dem fertigen Abzug blaue Augen wirklich blau und kirschrote Lippen wirklich kirschrot.
Die drei Filter in meinem Vergrößerungsapparat hatten, wie fast überall auf der ganzen Welt, die gleichen Farben
wie die Farbnegative: Gelb, Magenta und Zyan. Wenn man alle drei Filter gleichzeitig benutzt, ergibt das Grau, daher benutzt man jeweils nur zwei auf einmal, und bei Fotos meiner Art waren das immer Gelb und Magenta. Bei behutsam ausgewogenem Gebrauch konnten sie Hautfarben erzeugen, die für menschliche Gesichter weder zu gelb noch zu rosa waren, und beim Entwickeln orientierte man sich normalerweise an einer natürlich aussehenden Hautfarbe.
Wenn man jedoch eine magentafarbige Glasscheibe über eine gelbe Glasscheibe schob und durch beide Licht fallen ließ, erhielt man Rot.
Wenn man Licht durch Gelb und Zyan fallen ließ, bekam man Grün. Und durch Magenta und Zyan. ein reines Königsblau.
Als Charlie mir das zum ersten Mal gezeigt hatte, war ich ganz verwirrt gewesen, da die Mischung von farbigem Licht zu völlig anderen Ergebnissen führt als die Mischung von Malfarben. Sogar die Primärfarben sind nicht gleich. Vergiß das Malen, hatte Charlie gesagt. Hier geht’s um Licht. Man kann durch die Mischung anderer Farben kein Blau erzeugen, aber mit Licht ist es möglich.
«Zyan wie Zyanid?«sagte ich.»Hat das was mit Blausäure zu tun?«
«Von Blausäure läuft man blau an«, sagte er.»Zyan ist ein griechisches Wort für blau. Kyanos. Vergiß das nicht. Zyan ist ein Grünblau, also ist es ganz logisch, daß man es durch Mischung von blauem mit grünem Licht erhält.«
«Wirklich?«hatte ich zweifelnd gefragt, und er hatte mir die sechs Farben des Lichts gezeigt und sie vor meinen
Augen gemischt, bis sich ihre Beziehung für immer in meinem Kopf festgesetzt hatte, bis sie in meinem Gehirn so fest verankert waren wie die Form der Buchstaben.
Am Anfang waren Rot, Grün und Blau.
Ich ging an diesem schicksalhaften Sonntagmorgen in meine Dunkelkammer und stellte die Filter am Kopf meines Vergrößerungsapparates auf eine für den normalen Farbabzug völlig unübliche Weise ein: das Licht fiel durch einen starken Zyan- und einen starken Magentafilter durch das Negativ, so daß ein tiefes klares Blau herauskam.
Ich wollte Georges leere Farbnegative auf Schwarzweißpapier abziehen und auf diese Weise das Blau der Rechtecke loswerden, aber vielleicht bekam ich statt dessen nichts weiter als graue Rechtecke.
Schwarzweiß-Fotopapier reagiert nur auf blaues Licht (deshalb kann man Schwarzweißabzüge im roten Dunkelkammerlicht machen). Ich dachte, wenn ich die scheinbar leeren Negative durch starkes reines Blau filterte, könnte ich einen stärkeren Kontrast zwischen dem gelben Farbbild auf dem Negativ und der orangenen Schicht, mit der es überzogen war, erzielen. Die Bilder würden sich damit von ihrer Umgebung abheben.
Ich hatte das Gefühl, daß sich unter der Deckschicht ohnehin kein klares Schwarzweiß verbarg. denn wenn das der Fall gewesen wäre, hätte man es trotz des Blaus und durch es hindurch gesehen. Was ich suchte, würde in irgendeiner Form grau sein.
Ich bereitete die Entwicklerwannen, das Stoppbad und den Fixierer vor und schob die ersten sechsunddreißig
fleckenlosen Negative in einen Rahmen für Kontaktabzüge. Hier lag das Negativ direkt auf dem Fotopapier auf, wenn es belichtet wurde, so daß jeder Abzug genau die gleiche Größe hatte wie das Negativ. Der Rahmen hielt die Negative lediglich bequem zusammen, so daß alle sechsunddreißig auf einmal auf einen Bogen im Format zwanzig mal fünfundzwanzig abgezogen werden konnten.
Das größte Problem war die richtige Belichtungszeit, vor allem deswegen, weil das durch starken Blaufilter gefilterte Licht viel schwächer auf das Negativ fiel, als ich es gewohnt war. Ich verschwendete sechs Abzüge für Tests, die unbrauchbare Ergebnisse von Grau bis Schwarz lieferten, während all die kleinen Rechtecke immer noch so aussahen, als gäbe es auf ihnen nichts zu sehen, was immer ich auch anstellte.
Gereizt verkürzte ich schließlich die Entwicklungszeit weit stärker, als es mir vernünftig erschien, und erhielt einen Abzug, der fast völlig weiß war. Ich stand in dem trüben roten Licht und betrachtete das weiße Papier im Entwickler, auf dem sich so gut wie gar nichts tat, außer daß ganz blaß die Bildnummern der Negative sichtbar wurden, sowie schwache Linien, die die Ränder der Negative anzeigten.
Mit einem frustrierten Seufzer ließ ich es so lange im Entwickler liegen, bis sich nichts mehr tat, und legte es dann deprimiert ins Stoppbad, fixierte und wässerte es und knipste das Licht an.
Fünf von den Rechtecken waren nicht völlig weiß. Fünf der kleinen Rechtecke, wahllos verstreut unter den sechsunddreißig, zeigten ganz blasse graue geometrische Formen.
Ich hatte sie gefunden.
Ich merkte, wie ich vor alberner Freude lächelte. George hatte ein Rätsel hinterlassen, und ich hatte es fast gelöst. Falls ich einmal seinen Platz einnehmen würde, dann deshalb, weil er mir zustand.
Falls. Mein Gott, dachte ich. Wo kommen Gedanken her? Ich hatte nicht die Absicht, seinen Platz einzunehmen. Keine bewußte Absicht. Der Gedanke war direkt aus dem Unterbewußtsein gekommen, ungebeten, unerwünscht.
Mit einem leichten Frösteln und einem vagen Gefühl der Beunruhigung notierte ich ohne jedes Lächeln die Bildnummern der fünf graugemusterten Bilder. Dann wanderte ich eine Weile durchs Haus und erledigte unwesentliche Arbeiten wie Bettmachen und Sitzkissen ausklopfen und Geschirrspüler einräumen. Machte mir eine Tasse Kaffee und trank sie in der Küche. Erwog, ins Dorf zu gehen und eine Sonntagszeitung zu kaufen, kehrte aber statt dessen wie unter Zwang in die Dunkelkammer zurück.