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Sie wußte auch, daß sie eine weltweit exklusive Story besaß.

Minh spulte zurück und gab Rita die Betacam. Durch den Sucher betrachtete sie die Aufnahmen. Wie immer, hatte Minh das Wesentliche jedes Ereignisses gefilmt. Die Bilder waren hervorragend. Einige der letzten - Harrys Verwundung, sein Tod im Kugelhagel - waren eindrucksvoll und bewegend. Als Rita die Kamera zurückgab, waren ihre Augen feucht, doch sie wischte sich die Tränen mit dem Handrücken ab. Im Augenblick hatte sie keine Zeit, Harry zu beweinen oder um ihn zu trauern. Beides würde später kommen, wahrscheinlich in der Nacht, wenn sie allein war.

»Hatte Harry eigentlich jemand - eine Freundin?« fragte jetzt Sloane. »Ich weiß nur, daß er nach Gemma nicht wieder geheiratet hat.«

»Ja, da gibt es jemand«, antwortete Rita. »Vivien heißt sie. Sie ist Krankenschwester und lebt in einem Ort namens Port Credit, außerhalb von Toronto.«

»Wir sollten sie anrufen. Ich rede mit ihr, wenn du willst.«

»Ja, das wäre gut«, sagte Rita. »Und wenn du anrufst, sag ihr, daß Harry ein Testament aufgesetzt hat und daß ich es habe. Er hat alles ihr hinterlassen. Vivien weiß es zwar noch nicht, aber sie ist jetzt reich. Wie's aussieht, hat Harry sein Geld in sämtlichen Steueroasen auf der ganzen Welt angelegt. Dem Testament ist eine Liste beigefügt.«

Während des Gesprächs hatte Minh Jessica und Nicky gefilmt, ohne daß sie es bemerkten. Rita sah, daß er die Kamera auf Nickys bandagierte rechte Hand gerichtet hatte. Das erinnerte sie an etwas, das sie aus Lima mitgebracht hatte. Sie griff in ihre Aktenmappe und zog ein Telegramm heraus, das bei Entel Peru für sie eingetroffen war.

»Bevor Harry losflog«, sagte sie den anderen, »hat er mich gebeten, ein Telegramm an einen Freund zu schicken - an einen Chirurgen aus Oakland in Kalifornien. Harry meinte, er sei einer der führenden Experten für Handverletzungen. In dem Telegramm ging es um Nicholas. Und das ist die Antwort.«

Sie gab das Telegramm Sloane, der es laut vorlas.

HABE DEINE INFO UND ZEITUNGSBERICHT ÜBER HAND DEINES JUNGEN FREUNDES GELESEN. PROTHESEN NICHT EMPFEHLENSWERT, DA KEINE HILFE BEI KLAVIERSPIELEN, SIND HOECHSTENS IM WEG. MOEGLICHE ALTERNATIVE: SOLLTE LERNEN, HAND ZU DREHEN, BIS FINGERSTUEMPFE IN KONTAKT MIT KLAVIERTASTEN KOMMEN. HAT UEBRIGENS GLUECK, DA DIESES VORGEHEN BEI VERLUST ANDERER FINGER NICHT MOEGLICH. FUNKTIONIERT NUR BEI ZEIGEFINGER UND KLEINEM FINGER.

ERLERNUNG DER DREHTECHNIK ERFORDERT GEDULD UND BEHARRLICHKEIT, IST ABER BEI ENTSPRECHENDER MOTIVATION MACHBAR. HABE PATIENTIN, DIE GLEICHE FINGER VERLOR UND JETZT KLAVIER SPIELT. WUERDE MICH FREUEN, DIE BEIDEN ZUSAMMENZUBRINGEN, WENN DU WILLST.

PASS GUT AUF DICH AUF, HARRY. VIELE GRUESSE JACK TUPPER, M. D.

Nach kurzem Schweigen sagte Nicky: »Darf ich das mal sehen, Dad?« Sloane gab ihm das Blatt.

»Verlier es nicht!« ermahnte Jessica Nicky. »Es ist ein Erinnerungsstück an Harry.« Die spontane, enge Kameradschaft zwischen Harry und Nicky war nur sehr kurz gewesen, dachte sie, aber in dieser Zeit sehr schön.

Jetzt fielen ihr wieder Nickys verzweifelte Worte ein, die er in Nueva Esperanza zu Harry gesagt hatte: »Sie haben meinen Opa getötet und mir zwei Finger abgeschnitten, und jetzt kann ich nie mehr Klavier spielen.« Natürlich konnte Nicky jetzt kein Konzertpianist mehr werden, wie er es sich erträumt hatte. Aber er würde weiterhin Klavier spielen und seine Freude an der Musik auf andere Arten ausleben.

Nicky las das Telegramm, er hielt es in der linken Hand, und allmählich erhellte ein Lächeln sein Gesicht. Er versuchte die Drehbewegung bereits mit der bandagierten Hand.

»Harry hat so viel für uns getan, daß wir ihm ewig dankbar sein werden«, sagte Crawford Sloane.

»Und auch Fernandez«, ergänzte Jessica. Sie hatten bereits über die Opferbereitschaft des Kontaktmannes gesprochen. Jetzt berichtete sie Crawford und Rita von dem Versprechen, das Harry ihm gegeben hatte.

Fernandez hatte von seiner Frau und seinen vier Kindern erzählt und gebeten, daß man sich um sie kümmere, worauf Harry ihm versprach: »Du arbeitest für CBA, und CBA wird dafür sorgen. Ich gebe dir mein Wort, das ist ein offizielles Versprechen. Die Ausbildung der Kinder - alles.«

»Wenn Harry das versprochen hat«, sagte Crawf, »dann hat er es als Vertreter von CBA getan. Gleich nach unserer Rückkehr werde ich dafür sorgen, daß alles in diesem Sinne geregelt wird.«

»Die Sache hat nur einen Haken«, gab Rita zu bedenken. »Harry hat das gesagt, als er schon entlassen war, obwohl er es nicht wußte.«

Minh, der zugehört hatte, sah überrascht auf, und Rita wurde plötzlich wieder klar, daß kaum jemand etwas von Chippinghams Entlassungsschreiben wußte.

»Das ist gleichgültig«, erwiderte Sloane. »Harrys Versprechen wird respektiert.«

»Da ist aber noch etwas«, sagte Rita. »Sollen wir Harrys Entlassung in unserem heutigen Bericht erwähnen?«

»Nein«, antwortete Sloane entschieden. »Das ist interne

Schmutzwäsche. Die werden wir nicht in der Öffentlichkeit waschen.«

Es wird aber trotzdem herauskommen, dachte Rita. Früher oder später.

Crawf wußte noch nichts von dem Hundesohn-Schreiben, das sie über das Hufeisen an Chippingham gefaxt hatte. Innerhalb einer Woche würde es wahrscheinlich in der Times oder der Washington Post auftauchen. Und wenn nicht dort, dann später in der Columbia Journalism Review oder der Washington Journalism Review. Und wenn schon!

Dabei fiel Rita ein, daß sie, aufgrund ihres Briefes, wahrscheinlich ebenfalls bereits entlassen war. Schließlich hatte sie ja unter anderem auch mit »Ex-Produzentin« unterzeichnet. Aber wie sich die ganze Sache auch entwickelte, den augenblicklichen Auftrag wollte sie noch zu Ende bringen.

Jetzt meldete sich Jessica. »Da ist eine Sache, die mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Diese Piste, von der wir eben gestartet sind.«

»Sion«, ergänzte Rita.

Jessica nickte. »Auf dem Dschungelpfad und dann auf der Piste hatte ich das Gefühl, daß ich da schon einmal war. Ich glaube, die Entführer haben uns zuerst dorthin gebracht, und dort sind wir auch aus der Bewußtlosigkeit aufgewacht. Nur wußte ich damals nicht, daß das eine Landepiste ist. Und dann noch etwas.«

»Erzähl«, sagte Rita. Sie hatte einen Block in der Hand und schrieb mit.

»Da war ein Mann in der Hütte, in der wir gefangengehalten wurden. Ich weiß nicht, wer oder was er war, aber ich bin sicher, daß er Amerikaner war. Ich habe ihn gebeten, uns zu helfen, er hat aber nicht darauf reagiert. Doch ich habe das hier.«

Am Tag zuvor hatte sie ihre Zeichnung unter der Matte in der Zelle hervorgeholt und in ihrem BH versteckt. Nun gab sie Rita die Skizze.

Es war das Porträt des Learjetpiloten Denis Underhill. »Heute abend«, sagte Rita, »werden wir das in den National Evening News bringen. Bei zwanzig Millionen Zuschauern sollte doch jemand dabeisein, der ihn identifizieren kann.«

Die Cheyenne gewann noch immer an Höhe und näherte sich dem Gebirgsmassiv der Kordilleren. Rita sah auf die Uhr. Es war wenige Minuten nach neun, noch vierzig Minuten bis zur Landung in Lima.

Es gab noch viel zu tun. Zuerst mußte sie in Zusammenarbeit mit Crawf einen Plan für den Rest des Tages aufstellen. Sie hatte bereits einige Vorkehrungen getroffen, da sie einen Großteil des Geschehens, wenn auch nicht alles, vorausgesehen hatte.

Im Augenblick besaß CBA die dramatische Geschichte der Rettung exklusiv. Bis zur ersten Nachrichtensendung, in Peru also bis 17 Uhr 30, mußten Jessica und Nicky deshalb vor dem Rest der Medien versteckt werden. Sie war sicher, daß Crawf das einsehen würde.