»Ein Varioschwert leistet dasselbe«, entgegnete Louis.
»Aber die Klinge eines Varioschwerts ist ein Metalldraht, der von einem Slaver-Stasisfeld umschlossen ist. Sie läßt sich nicht verbiegen. Dieser Faden hat sich dauernd bewegt, wie Sie selbst sehen konnten.«
»Dann ist es eben ein Material, das wir noch nicht kennen«, beharrte Louis. Ein Material, das jeden Stoff so glatt durchschnitt wie ein Varioschwert. Leicht, dünn, reißfest und außerhalb der technologischen Möglichkeiten der Menschheit.
Etwas, das sogar noch bei Temperaturen fest blieb, wo jedes normale Material zu heißem Plasma wurde. »Etwas ganz Neues also. Aber was hatte es in unserem Weg zu suchen?«
»Überlegen Sie. Wir trieben zwischen zwei Schattenblenden hindurch, als wir mit einem nicht identifizierten Objekt zusammentrafen. Anschließend fanden wir einen scheinbar endlosen Faden mit einer Temperatur vergleichbar dem Innern eines Sterns. Offensichtlich haben wir den Faden getroffen. Er hat die Hitze des Aufpralls absorbiert. Ich vermute, der Faden war zwischen den Schattenblenden gespannt.«
»Wahrscheinlich war er das. Aber warum?«
»Wir können lediglich Spekulationen anstellen«, erwiderte Der-zuden-Tieren-spricht. »Die Konstrukteure der Ringwelt verwendeten die Blenden, um Nachtintervalle zu erzeugen. Dazu müssen die Rechtecke das Sonnenlicht abhalten, was sie aber nicht können, wenn sie mit der flachen Seite der Sonne zugewandt sind.
Die Ringweltkonstrukteure benutzten ihren seltsamen Faden, um die Blenden zu einer Kette zusammenzubinden. Dann versetzten sie die Kette in eine Kreisbewegung, die schneller war, als für eine stabile Umlaufbahn um die Sonne nötig, um Spannung auf die Fäden zu bringen. Sind die Fäden straff, liegen die Blenden mit der Breitseite parallel zum Ring.«
Eine seltsame Vorstellung. Zwanzig Schattenblenden, die einen Ringelreigen um die Sonne tanzten, an den Enden mit fünf Millionen Meilen langen Drähten untereinander verbunden… »Wir brauchen diesen Faden«, sagte Louis. »Wer weiß, was wir damit alles vollbringen könnten.«
Der Kzin zuckte die Achseln. »Ich hatte keine Möglichkeit, ihn an Bord zu schaffen. Oder auch nur ein Stück davon abzuschneiden.«
Der Puppenspieler wechselte das Thema. »Möglicherweise sind wir durch die Kollision auf anderen Kurs gebracht worden. Können wir irgendwie herausfinden, ob wir noch immer an der Ringwelt vorbeisteuern?«
Niemand wußte eine Antwort.
»Vielleicht treffen wir nicht auf den Ring. Die Kollision kann uns aber genausogut zuviel Schwung gekostet haben, und wir fallen für alle Ewigkeit in einen elliptischen Orbit«, jammerte der Puppenspieler. »Teela, Ihr Glück hat uns im Stich gelassen.«
Teela zuckte die Achseln. »Ich habe nie behauptet, daß ich ein Glücksbringer bin.«
»Es war der Hinterste, der mich das glauben machte. Wäre er jetzt hier bei mir, würde ich meinem arroganten Verlobten ein paar passende Worte sagen.«
Das Abendessen wurde zu einem Ritual. Die Besatzung der Lying Bastard nahm ein letztes Souper in der Lounge. Teela sah einfach hinreißend aus. Sie trug ein fließendes, schwarz und orangefarbenes Kleid, das nicht mehr als einen Hauch wiegen konnte.
Hinter ihrem Rücken wurde die Ringwelt langsam größer. Gelegentlich drehte Teela sich um und beobachtete sie. Sie alle beobachteten die Ringwelt. Louis hatte keine Ahnung, welche Gedanken die beiden Aliens bewegten. In Teelas Augen sah er nur Erwartung. Sie spürte es, genau wie Louis: Sie würden die Ringwelt nicht verfehlen.
Nachts liebte er Teela mit einer Wildheit, die sie zuerst verblüffte. Dann genoß sie es. »Das macht also die Angst aus dir! Das muß ich mir merken!«
Er erwiderte ihr Lächeln nicht. »Ich denke dauernd daran, daß es vielleicht das letzte Mal ist.« Und nicht nur mit dir, ergänzte er in Gedanken.
»Oh, Louis! Wir befinden uns in einer General-Products-Zelle!«
»Und wenn das Stasisfeld versagt? Der Rumpf mag vielleicht den Aufprall überstehen, doch wir werden zu Mus zerquetscht.«
»Um Finagles willen, hör endlich auf, dir dauernd Sorgen zu machen!« Sie schlang die Arme um ihn und fuhr mit den Fingernägeln über seinen Rücken. Er zog sie nah an sich, damit sie sein Gesicht nicht sehen konnte…
Als sie tief und fest schlief und wie ein schöner Traum zwischen den beiden Platten schwebte, stand Louis auf. Erschöpft und befriedigt räkelte er sich in einem heißen Bad. Auf dem Rand stand ein kalter Bourbon.
Es gab schließlich noch mehr Freuden, die er ein letztes Mal genießen wollte.
Babyblau mit weißen Streifen und dunkelblau ohne Einzelheiten — so spannte sich die Ringwelt über das All. Zuerst enthüllten nur die Wolken Details: Stürme, parallele Strömungen, wollige Fliese, und alles winzig klein. Wachsend. Dann die Umrisse von Seen… Die Ringwelt bestand fast zur Hälfte aus Wasser…
Nessus lag angeschnallt auf seiner Crashliege und hatte sich wieder einmal schutzsuchend zusammengerollt. Der-zu-den-Tierenspricht, Teela Brown und Louis Wu lagen ebenfalls angeschnallt auf ihren Liegen, doch sie beobachteten die Annäherung.
»Sie sollten besser ebenfalls aufpassen«, riet Louis dem Puppenspieler. »Die Topographie könnte später vielleicht wichtig werden.«
Nessus folgte seinem Rat: Ein flacher Pythonkopf schob sich hervor und studierte die herannahende Oberfläche.
Ozeane, geschwungene glitzernde Flußläufe, eine Gebirgskette.
Kein Zeichen von Leben war zu sehen. Man muß schon niedriger als tausend Meilen gehen, um Anzeichen von Zivilisation zu bemerken. Die Ringwelt raste derart schnell vorbei, daß das Land nur verschwommen zu sehen war. Es spielte keine Rolle; sie würden weit entfernt in unbekanntem Territorium aufschlagen.
Geschätzte Eigengeschwindigkeit des Schiffes: zweihundert Meilen pro Sekunde. Völlig ausreichend, um die Lying Bastard sicher aus dem System zu tragen — wäre nicht die Ringwelt im Weg gewesen.
Das Land raste ihnen entgegen und seitwärts, mit 770 Meilen in der Sekunde seitwärts. Ein salamanderförmiger See kam ihnen schräg von der Seite entgegen, wurde unter ihnen größer und war wieder verschwunden. Plötzlich erstrahlte die Landschaft in grellem violettem Licht!
Diskontinuität.
KAPITEL ZEHN
OBERFLÄCHE
Ein Augenblick aus Licht, violett-weiß, grell wie ein Blitz. Einhundert Meilen Atmosphäre, in einem einzigen Augenblick zu einem sternenheißen Plasmakegel zusammengepreßt, schlugen mit voller Wucht auf die Liar ein.
Louis blinzelte… und sie waren unten.
Er hörte, wie Teela sich frustriert beschwerte: »Tanj! Wir haben alles versäumt!«
Und die Antwort des Puppenspielers: »Titanischen Ereignissen beizuwohnen ist stets gefährlich, in der Regel schmerzhaft und häufig tödlich. Seien Sie dankbar für das Slaver-Stasisfeld, wenn schon nicht Ihrem unzuverlässigen Glück.«
Louis hörte die Unterhaltung und ignorierte sie. Er war schrecklich benommen. Vor seinen Augen drehte sich alles…
Der jähe Übergang von rasendem Fall zu festem Boden allein wäre schon schwindelerregend genug gewesen, ohne die Lage der Liar, die alles noch schlimmer machte. Dem Schiff fehlten fünfunddreißig Grad, um ganz auf dem Rücken zu liegen. Da die Kabinenschwerkraft noch immer funktionierte, sah die Landschaft draußen aus wie ein schief aufgesetzter Hut.
Der Himmel glich dem Mittagshimmel in den gemäßigten Breiten auf der Erde. Die Landschaft sah merkwürdig aus: glänzend, flach, irgendwie durchsichtig, mit weit entfernten rötlich-braunen Höhenrücken.
Louis löste sich aus dem Sicherheitsnetz und stand auf.
Sein Gleichgewicht war prekär; Augen und Innenohr stritten über die Richtung von »unten«. Er ließ es langsam angehen. Nur ruhig Blut. Kein Zwang zur Eile. Die Gefahr war vorüber.