Er drehte sich um und sah Teela in der Luftschleuse. Sie trug keinen Raumanzug. Das innere Schott schloß sich gerade.
»Teela, bist du wahnsinnig?« bellte Louis. »Komm sofort zurück!«
Zu spät. Wahrscheinlich konnte sie ihn durch das hermetisch schließende Schott nicht hören. Louis sprang zu den Spinden.
Die Lufttester auf dem Flügel der Liar waren zusammen mit dem Rest der externen Sensoren verdampft. Louis mußte in einem Druckanzug nach draußen gehen und die eingebauten Sensoren im Brustteil benutzen, um herauszufinden, ob die Luft der Ringwelt gefahrlos atembar war.
Wenn nicht Teela schon vorher zusammenbrach und starb. Dann wußte er es auch so.
Das Außenschott der Luftschleuse glitt auf. Automatisch schaltete sich die Schwerkraft in der Schleuse ab. Teela fiel kopfüber durch die offene Tür. Sie fuchtelte verzweifelt in der Luft herum und bekam den Griff der Luke zu fassen, aber nur lange genug, um ihren Fallwinkel zu ändern. Sie landete auf dem Hintern statt auf dem Kopf. Und sie hatte nicht aufgehört zu atmen, Finagles Geduld sei Dank!
Louis betrat die Schleuse. Sinnlos, den Luftvorrat des Druckanzugs zu überprüfen. Er würde ihn nur so lange anbehalten, bis die Instrumente ihm sagten, ob die Luft draußen atembar war.
Rechtzeitig erinnerte er sich an die Schräglage des Schiffs und hielt sich an einem Griff fest, während die Außenluke aufglitt. Als die Kabinenschwerkraft abschaltete, schwang er herum, hing einen Augenblick an beiden Händen und ließ sich dann fallen.
Seine Füße rutschten unter ihm weg, kaum daß sie den Boden berührten. Louis landete hart auf den Glutei maximi.
Das glatte, graue, durchscheinende Material unter dem Schiff war schrecklich schlüpfrig. Louis versuchte aufzustehen, doch dann gab er auf. Im Sitzen las er die Anzeigen auf seiner Brust ab.
In seinem Helm ertönte die rauhe Stimme von Der-zu-den-Tierenspricht: »Louis?«
»Ja?«
»Ist die Luft atembar?«
»Ja. Allerdings ein wenig dünn. Vielleicht eine Meile über dem Meeresspiegel, Erdstandard.«
»Sollen wir rauskommen?«
»Sicher. Nehmen Sie eine Leine mit in die Schleuse und binden Sie sie irgendwo fest, sonst kommen wir nie wieder hinauf! Passen Sie auf, wenn Sie runterkommen. Der Boden besitzt so gut wie keinen Reibungswiderstand.«
Teela hatte keine Schwierigkeiten mit der glatten Oberfläche. Sie stand betreten mit verschränkten Armen neben dem Schiff und wartete, daß Louis endlich aufhörte herumzuspielen und seinen Helm abnahm.
Er tat es. »Ich muß mit dir reden«, begann er. Und sagte ihr grob die Meinung.
Er erzählte von den Unsicherheiten einer Spektralanalyse aus zwei Lichtjahren Entfernung. Er sprach von subtilen Giften, Metallverbindungen, fremden Sporen, organischen Abfallprodukten und Katalysatoren, die eine ansonsten atembare Atmosphäre vergiften konnten und die nur in einer Probe vor Ort nachweisbar waren. Er sprach von krimineller Sorglosigkeit und fahrlässiger Dummheit und davon, wie unklug es ganz generell war, freiwillig seine Dienste als Versuchskaninchen anzubieten. Er war fertig, bevor die beiden Aliens aus der Schleuse kommen konnten.
Der-zu-den-Tieren-spricht kletterte Hand über Hand die Leine herab, landete auf den Füßen und ging mit Katzenvorsicht ein paar Schritte. Er besaß den Gleichgewichtssinn eines Tänzers. Dann folgte Nessus. Der Puppenspieler hielt die Leine zwischen den Zähnen und stand sicher wie ein Dreibein, als er unten war.
Wenn einer von beiden merkte, daß Teela gekränkt war, dann ließ er sich jedenfalls nichts anmerken. Sie standen unter dem geneigten Rumpf der Liar und sahen sich um. Sie befanden sich in einer gewaltigen flachen Rinne. Der Boden war von einem durchscheinenden Grau und vollkommen glatt, wie eine riesige gläserne Tischplatte. Die Ränder, hundert Yards rechts und links vom Schiff, bildeten sanfte Hänge aus schwarzer Lava. Die Lava schien sich vor Louis’ Augen zu kräuseln und zu fließen. Sie ist noch heiß, dachte er, vom Aufprall der Liar bei der Landung.
Die flachen Lavawälle erstreckten sich hinter dem Schiff in einer vollkommen geraden Linie bis zum Horizont.
Louis versuchte aufzustehen. Er war der einzige der vier, der Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht hatte. Er kam auf die Füße und stand unsicher balancierend, unfähig, auch nur einen Schritt zu gehen.
Der-zu-den-Tieren-spricht zog seinen Flashlaser und feuerte auf eine Stelle vor seinen Füßen. Sie beobachteten schweigend den grünen Lichtpunkt. Es gab nicht das typische Knistern von festem Material, das unter dem Strahl verdampfte. Kein Rauch und kein Qualm entwickelte sich, wo der Strahl auf traf. Als der Kzin den Finger vom Abzug nahm, war das Licht augenblicklich verschwunden. Die Stelle glühte nicht, noch unterschied sie sich sonstwie von dem umgebenden Material.
Der Kzin gab sein Urteil ab: »Wir befinden uns in einer Rinne, die unsere eigene Landung gepflügt hat. Erst das Material, aus dem das Fundament des Rings besteht, hat unseren Sturz aufgehalten. Nessus, was können Sie uns darüber sagen?«
»Es ist etwas völlig Neues«, antwortete der Puppenspieler. »Es scheint keine Hitze zu speichern. Allerdings ist es weder mit der General-Products-Zelle verwandt, noch scheint es sich um ein Stasisfeld zu handeln.«
»Wir benötigen Schutz gegen die Hitze, wenn wir die Lavawälle hinauf wollen«, sagte Louis. Er hatte kein besonderes Interesse am Material des Ringfundaments, jedenfalls nicht im Augenblick. »Ihr bleibt besser hier, und zwar alle, während ich hinaufklettere.« Er trug als einziger einen wärmeisolierten Schutzanzug.
»Ich komme mit!« sagte Teela. Ohne sichtliche Mühe kam sie heran und hakte sich bei Louis unter. Er stützte sich schwer auf sie und stolperte immer wieder, während sie auf den schwarzen Abhang aus Lava zugingen.
Der Lavahang bot guten Halt, obwohl er ziemlich steil war. »Danke«, sagte Louis und machte Anstalten hinaufzuklettern. Einen Augenblick später bemerkte er, daß Teela ihm folgte. Er sagte nichts. Je schneller sie lernte, erst zu denken und dann zu handeln, desto länger blieb sie am Leben.
Sie hatten ein Dutzend Yards zurückgelegt, als Teela aufschrie und zu tanzen anfing. Sie hüpfte von einem Bein aufs andere, machte kehrt und raste die Böschung hinunter. Sie kam auf dem glatten Ringweltboden an und schlitterte weiter wie ein Schlittschuhläufer. Rutschend und gleitend drehte sie mit in die Hüften gestemmten Händen um und funkelte wütend und verletzt zu Louis hinauf.
Es hätte schlimmer kommen können, dachte Louis. Sie hätte ausrutschen und fallen und sich die nackten Hände verbrennen können — und es wäre ihr trotzdem recht geschehen. Louis kletterte weiter und ignorierte das aufkommende schlechte Gewissen.
Die Lavaböschung war gut ein Dutzend Meter hoch. Oben gab sie den Blick auf sauberen weißen Sand frei.
Sie waren mitten in einer Wüste gelandet. Louis blickte sich suchend um, doch nirgendwo war das Grün von Vegetation oder das Blau von Wasser zu sehen. Reines Glück. Die Lying Bastard hätte ebensogut durch eine Stadt pflügen können.
Oder durch mehrere! Die Liar hatte einen ziemlich langen Graben gepflügt…
Er erstreckte sich viele Meilen durch den weißen Sand. In der Ferne, wo der Graben endete, fing gleich wieder ein neuer an. Das Schiff war gehüpft, nicht einmal, sondern oft. Die Furchen der Landung zogen sich weiter und weiter, verengten sich zu einer gepunkteten Linie, einer Spur… Louis Blicke folgten dieser Spur, und ihm wurde bewußt, daß er in die Unendlichkeit sah.