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Die Ringwelt besaß keinen Horizont. Keine gekrümmte Linie trennte Land von Himmel. Statt dessen schienen Erde und Himmel in einer Entfernung miteinander zu verschmelzen, wo ganze Kontinente nur noch so groß wie Punkte waren und wo alle Farben in das Blau des Himmels übergingen. Der Fluchtpunkt schlug Louis in seinen Bann. Als er schließlich blinzelte, mußte er sich förmlich dazu zwingen.

Wie der Nebel über dem Nichts am Mount Lookitthat, viele Dekaden zuvor und Hunderte von Lichtjahren entfernt… wie die unendliche Tiefe des Weltraums vom Einmannschiff eines Schürfers im Asteroidengürtel aus… Der Horizont der Ringwelt konnte Auge und Verstand eines Menschen in den Bann schlagen, bevor er sich der Gefahr bewußt wurde.

Louis wandte sich dem Graben zu. »Die Welt ist flach!« rief er.

Die anderen blickten zu ihm hoch.

»Wir haben eine ziemliche Spur bei der Landung gezogen. Aber ich sehe weit und breit nichts Lebendiges, also hatten wir Glück. Die Erde ist hochgespritzt, wo wir aufgeprallt sind. Ich kann eine Menge sekundärer Krater rechts und links entlang unserer Landebahn entdecken. Sekundäre Einschläge wie von Meteoriten.«

Er drehte sich um. »In der anderen Richtung…« Er verstummte.

»Louis?«

»Das ist der tanj größte Berg, den ich in meinem Leben zu Gesicht bekommen habe!«

»Louis!«

Er hatte zu leise gesprochen. »Ein Berg!« brüllte er. »Wartet, bis ihr ihn sehen könnt! Die Erbauer der Ringwelt wollten wohl einen wirklich großen Berg auf ihrer Welt, einen Berg, der zu groß ist, um ihn zu nutzen. Zu hoch, um Kaffee oder Bäume darauf zu pflanzen, zu hoch selbst zum Skifahren. Er ist einfach großartig!«

Er war wirklich großartig. Ein einzeln stehender Berg, grob kegelförmig, ganz allein, nicht Teil einer Kette, ragte wie ein riesiger Vulkankegel in den Himmel. Ein Pseudovulkan. Unter der Oberfläche der Ringwelt gab es kein Magma, das aus dem Boden hätte austreten können. Der Fuß verlor sich in Nebelschwaden. Die höheren Regionen waren deutlich in der dünner werdenden Atmosphäre zu erkennen. Der Gipfel glänzte wie von Schnee bedeckt, allerdings nicht in makellosem Weiß, sondern schmutzig grau. Vielleicht Permafrost.

Die Ränder des Gipfels waren glasklar wie Kristall und deutlich zu erkennen. Ragte der Gipfel vielleicht über die Atmosphäre hinaus? Ein richtiger Berg von derart gigantischer Größe würde unter seinem eigenen Gewicht zusammenbrechen. Dieser Berg hier war sicher nichts anderes als eine leere Hülle aus dem gleichen Material, aus dem das Fundament der Ringwelt bestand.

Allmählich fange ich an, die Baumeister der Ringwelt zu mögen, dachte Louis Wu. Es gab keinen logischen Grund für einen Berg wie diesen auf einer Welt, die auf dem Reißbrett entstanden war. Trotzdem — jede Welt sollte wenigstens einen Berg haben, den man nicht besteigen kann.

Unter der Rundung der Hülle warteten die anderen auf Louis’ Rückkehr. Ihre Fragen ließen sich im großen und ganzen zu einer einzigen zusammenfassen: »Gibt es Anzeichen einer Zivilisation?«

»Nein.«

Er mußte alles genau beschreiben, was er gesehen hatte. Sie einigten sich auf neue Begriffe für die Himmelsrichtungen. Spinwärts lag dort, wo sich der Graben und die Meteoritenkrater von der Landung der Liar hinzogen. Antispinwärts war die entgegengesetzte Richtung, wo der Berg lag. Backbord war links und Steuerbord rechts von einem Beobachter, der spinwärts blickte.

»Konnten Sie die Randwälle in Richtung Backbord oder Steuerbord erkennen?«

»Nein. Ich verstehe das nicht. Ich hätte sie sehen müssen.«

»Bedauerlich«, flötete Nessus.

»Unmöglich. Man kann von dort oben Hunderttausende von Meilen weit sehen!«

»Nicht unmöglich. Nur bedauerlich.«

Erneut die Frage: »Konnten Sie hinter der Wüste nichts erkennen?«

»Nein. Irgend etwas Blaues unendlich weit entfernt in Richtung Backbord. Vielleicht ein Ozean. Vielleicht auch nur die Entfernung.«

»Keine Gebäude?«

»Nichts.«

»Kondensstreifen am Himmel? Gerade Linien wie von Straßen?«

»Nichts.«

»Irgendein Anzeichen von Zivilisation?«

»Wenn ich etwas gesehen hätte, würde ich es Ihnen sagen. Soweit ich weiß, sind erst letzten Monat alle zehn Trillionen Einwohner in eine echte Dyson-Sphäre umgezogen.«

»Louis, wir müssen eine Zivilisation finden!«

»Das weiß ich!«

Es war offensichtlich. Sie mußten die Ringwelt irgendwie wieder verlassen, und sie würden die Liar nicht allein bewegen können. Unzivilisierte Barbaren waren nicht genug, gleichgültig, wie hilfsbereit oder zahlreich sie sein mochten.

»Wenigstens in einer Hinsicht haben wir Glück«, sagte Louis Wu nachdenklich. »Wir müssen das Schiff nicht reparieren. Wenn wir die Liar nur über den Rand schieben, wird die Ringrotation sie und mit ihr uns aus dem Gravitationstrichter dieses Systems schleudern. Nach draußen, wo wir unseren Hyperraumantrieb einschalten können.«

»Aber zuerst brauchen wir Hilfe.«

»Oder wir erzwingen sie«, sagte Der-zu-den-Tieren-spricht.

»Warum steht ihr alle nur herum und redet?« platzte Teela heraus. Sie hatte schweigend abgewartet, bis die anderen mit ihrer Diskussion fertig waren. »Wir müssen von hier weg, nicht wahr? Warum holen wir nicht die Flugräder aus dem Schiff? Setzen wir uns in Bewegung! Unterwegs können wir immer noch reden.«

»Ich zögere, das Schiff zu verlassen«, verkündete der Puppenspieler.

»Er zögert! Erwarten Sie vielleicht Hilfe? Hat irgend jemand auch nur das geringste Interesse an uns? Hat irgend jemand auf unsere Funksignale reagiert? Louis sagt, daß wir mitten in einer Wüste sind. Wie lange sollen wir denn hier herumsitzen?«

Teela begriff nicht, daß Nessus erst all seinen Mut zusammennehmen mußte. Und sie hat keinen Funken Geduld, dachte Louis.

»Natürlich werden wir aufbrechen«, erwiderte der Puppenspieler. »Ich habe lediglich festgestellt, daß ich nicht gern von hier fortgehe. Außerdem müssen wir entscheiden, wohin wir uns wenden. Ansonsten wissen wir nicht, was wir mitnehmen und was wir zurücklassen.«

»Wir brechen zum nächstgelegenen Randwall auf!« rief Teela.

»Sie hat recht«, sagte Louis. »Wenn es irgendwo eine Zivilisation gibt, dann beim Randwall. Aber wir haben keine Ahnung, wo er liegt. Ich hätte von dort oben aus eigentlich etwas sehen müssen.«

»Nein«, widersprach Nessus.

»Sie waren nicht da oben, tanj! Man kann bis in die Unendlichkeit sehen. Tausende von Meilen ohne jedes Hindernis! Warten Sie…«

»Die Ringwelt mißt von Rand zu Rand fast eine Million Meilen!«

»Genau das wurde mir soeben klar«, gestand Louis Wu. »Der Maßstab. Er spielt mir immer wieder Streiche. Ich kann mir etwas so Riesiges einfach nicht vorstellen.«

»Es wird schon noch kommen«, versicherte ihm der Puppenspieler.

»Mag sein. Vielleicht ist mein Gehirn nicht groß genug, um es zu begreifen. Ich denke andauernd daran, wie schmal der Ring vom All betrachtet ausgesehen hat. Wie ein schmales blaues Band. Ein blaues Band«, wiederholte Louis und erschauerte.

Wenn jeder der beiden Randwälle tausend Meilen hoch war — wie weit mußte Louis dann von beiden entfernt sein, um überhaupt nichts von ihnen zu sehen?

Angenommen, er konnte in einer staubbeladenen, wasserdampfgeschwängerten, erdähnlichen Atmosphäre ungefähr tausend Meilen weit sehen. Wenn eine solche Atmosphäre in ungefähr vierzig Meilen Höhe in Vakuum überging…