Die Fünf kamen auf die Flugräder zu, dann zögerten sie, sichtlich im Zweifel, wer der Anführer der Fremden war. Sie sahen entfernt humanoid aus, doch sie gehörten eindeutig keiner bekannten menschlichen Rasse an.
Sie waren alle wenigstens sechs Zoll kleiner als Louis. Ihre Haut wirkte sehr weiß, wo sie zu sehen war; beinahe geisterhaft im Kontrast zu Teelas nordisch-rosigem Teint oder Louis’ dunklerem Gelbbraun. Ihre Rümpfe waren kurz, die Beine lang. Sie gingen mit identisch verschränkten Armen; die Finger waren außergewöhnlich lang und spitz. Jeder der Fünf hätte einen vorzüglichen Chirurgen abgegeben in einer Zeit, als es auf der Erde noch Chirurgie gegeben hatte.
Ihr Haar war noch außergewöhnlicher als die Hände. Alle fünf Würdenträger besaßen den gleichen aschblonden Farbton. Haare und Bärte waren gekämmt, aber ungeschnitten, und die Bärte bedeckten die Gesichter mit Ausnahme der Augen zur Gänze.
Unnötig zu erwähnen, daß die Fünf sich glichen wie ein Ei dem anderen.
»Sie sind so haarig!« flüsterte Teela.
»Bleibt auf den Fahrzeugen!« befahl Sprecher ebenfalls im Flüsterton. »Wartet, bis sie hier sind. Dann steigen wir ab. Ich nehme an, jeder hat seinen Translator bei sich?«
Louis trug die Scheibe auf der Innenseite des linken Handgelenks. Die Scheiben waren mit dem Schiffsrechner an Bord der Lying Bastard verbunden. Sie sollten eigentlich über diese Entfernung funktionieren, und der Rechner sollte imstande sein, jede neue Sprache zu analysieren und in Echtzeit zu übersetzen.
Doch es gab keine Möglichkeit, die tanj Dinger vor dem Ernstfall zu testen. Und dann waren da noch die vielen Schädel…
Weitere Eingeborene strömten auf den einstigen Parkplatz. Die meisten blieben stehen, als sie die bevorstehende Konfrontation erkannten, so daß die Menge in geziemendem Sicherheitsabstand einen weiten, unregelmäßigen Kreis bildete. Eine normale Menschenmenge wäre in erwartungsvolles Raunen ausgebrochen; Wetten wären abgeschlossen worden und Streitereien entbrannt. Diese Menge hier verhielt sich unnatürlich still.
Vielleicht fühlten sich die Würdenträger durch die Gegenwart der Zuschauer zu einer Entscheidung gedrängt. Jedenfalls beschlossen sie, sich Louis Wu zu nähern.
Die Fünf… sie sahen sich doch nicht so ähnlich. Sie besaßen unterschiedliche Körpergrößen. Sie waren allesamt dünn, doch einer war beinahe so mager wie ein Skelett, und einer war beinahe muskulös. Vier trugen schlaffe, beinahe farblose braune Umhänge, der fünfte trug einen Umhang von beinahe gleichem Schnitt — aus der gleichen Decke geschneidert? —, doch die Farbe war ein verblaßtes Rosa.
Der Dünnste von allen war der, der als erster sprach. Ein eintätowierter blauer Vogel schmückte seinen Handrücken.
Louis antwortete.
Der Tätowierte hielt eine kurze Ansprache. Es war ein glücklicher Umstand. Der Schiffsrechner würde genügend Datenmaterial benötigen, bevor er mit einer Übersetzung beginnen konnte.
Louis antwortete erneut.
Der Tätowierte sprach erneut. Seine vier Begleiter hielten ihr würdevolles Schweigen aufrecht. Genau wie unglaublicherweise die Zuschauer.
Die Scheiben nahmen Worte und Sätze auf…
Später dachte Louis, daß das Schweigen ihn hätte warnen müssen. Es war ihre Haltung, die ihn zum Narren machte. Der weite Kreis aus Humanoiden, die vier haarigen Männer, die in einer Reihe standen und davor der fünfte mit der tätowierten Hand, der seine Rede hielt.
»Wir nennen ihn die Faust Gottes.« Der mit der tätowierten Hand deutete direkt nach Steuerbord. »Warum? Warum nicht! Gefällt dir der Name nicht, Baumeister?« Er schien den gewaltigen Berg zu meinen, den sie zusammen mit dem Schiff hinter sich gelassen hatten. Inzwischen war er völlig im Dunst der schieren Entfernung verschwunden.
Louis lauschte und lernte. Der Schiffsrechner gab einen hervorragenden Dolmetscher ab. Nach und nach entstand ein Bild, ein Bild von einem Bauerndorf, dessen Bewohner in den Ruinen einer einst großartigen Stadt lebten…
»Zugegeben, Zignamucklickklick ist nicht mehr so groß, wie es einst war. Trotzdem sind unsere Behausungen noch immer besser als alles, was wir selbst zu bauen imstande sind. Wenn irgendwo ein Dach fehlt, so bleiben die unteren Stockwerke dennoch trocken, wenn es nicht zu lange regnet. Die Bauwerke der Stadt sind leicht zu heizen und im Krieg gut zu verteidigen. Sie brennen kaum jemals nieder.
So sieht es aus, Baumeister. Morgens gehen wir auf die Felder zur Arbeit, und abends kehren wir in unsere Behausungen am Rand von Zignamucklickklick zurück. Warum sollten wir uns anstrengen, neue Häuser zu bauen, wenn die alten ihren Zweck viel besser erfüllen?«
Zwei furchteinflößende Aliens und zwei Beinahe-Menschen, ohne Bart und unnatürlich groß gewachsen; alle vier auf Metallvögeln ohne Flügel, aus deren Mündern Kauderwelsch kam, das die Metallscheiben an ihren Handgelenken mit Sinn füllten… kein Wunder, daß die Eingeborenen Louis und seine Begleiter für die Erbauer der Ringwelt hielten. Louis unternahm nichts, um den Eindruck zu korrigieren. Eine Erklärung, woher sie kamen, hätte Tage in Anspruch genommen. Sie waren hier, um zu lernen — und nicht, um zu lehren.
»Dieser Turm, Baumeister, ist unser Regierungssitz. Wir herrschen über mehr als tausend Leute. Könnten wir einen besseren Palast finden als diesen Turm? Wir haben die oberen Stockwerke abgedichtet, so daß die Räume, die wir nutzen, die Wärme halten. Einst mußten wir den Turm verteidigen, indem wir Trümmer aus den oberen Stockwerken herabwarfen. Ich erinnere mich noch, daß unsere schlimmste Sorge die Furcht vor der Höhe war…
Trotzdem sehnen wir uns nach der Wiederkehr der Tage voller Wunder, als unsere Stadt tausendmal Tausend Bewohner hatte und Bauwerke in der Luft schwebten. Wir hoffen, daß ihr euch entschließt, uns diese Tage zurückzubringen. Man sagt, daß in den Tagen voller Wunder diese alte Welt selbst ihre jetzige Gestalt erhielt. Vielleicht hättest du die Güte zu verraten, ob das zutrifft?«
»Annähernd«, sagte Louis.
»Und werden diese Tage wiederkehren?«
Louis gab eine Antwort, von der er hoffte, daß sie unverbindlich war. Er spürte die Enttäuschung seines Gegenübers mehr, als daß er sie erriet.
Es war nicht leicht, den Gesichtsausdruck der haarigen Männer zu lesen. Gesten waren eine Art Kode, und die Gesten des Sprechers entstammten keiner terranischen Kultur. Dicht gelocktes platinblondes Haar verbarg sein Gesicht bis auf die Augen, die braun und weich in die Welt blickten. Doch Augen allein sind überhaupt nicht ausdrucksvoll, im Gegensatz zu dem, was man allgemein glaubt.
Die Worte klangen fast wie ein Sprechgesang. Als würde der Tätowierte Poesie rezitieren. Der Schiffsrechner übersetzte Louis’ Worte in ähnlich klingende Laute, obwohl Louis in normalem Konversationston redete. Er konnte die übrigen Translatorscheiben hören: Sie flöteten leise in der Sprache der Puppenspieler oder schnarrten in der Heldensprache der Kzinti.
Louis stellte Fragen…
»Nein, Baumeister. Wir sind kein blutrünstiges Volk. Wir führen nur selten Kriege. Die Schädel? Sie liegen überall im Boden, wo man in Zignamucklickklick geht und steht. Sie liegen seit dem Fall der Stadt dort, heißt es. Wir benutzen sie als Dekoration und wegen ihres Symbolgehalts.« Der Sprecher hob feierlich die Hand und zeigte Louis seine Vogeltätowierung.
Und sämtliche Umstehenden riefen: »…!«
Das Wort wurde nicht übersetzt.
Es war das erste Mal, daß jemand anderes als der Tätowierte überhaupt ein Wort gesagt hatte.
Louis hatte etwas verpaßt, und er wußte es. Unglücklicherweise war nicht genug Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen.
»Zeigt uns ein Wunder«, verlangte der Sprecher. »Wir bezweifeln eure Macht nicht, aber vielleicht kommt ihr nie wieder hier vorbei. Wir möchten eine Erinnerung, die wir unseren Kindern weitergeben können.«